Tja, hatte nicht geklappt. Und so vergaßen wir den Streich bereits am nächsten Tag.
Zwei Tage später war es wieder soweit. Wir zimmerten gerade auf unseren Gitarren, als Klaus feststellte, dass er keine Zigaretten mehr hatte. Er machte sich also auf die Socken, um ein Päckchen zu holen und kurze Zeit später war er wieder da. Aber nicht mit Zigaretten - sondern mit seinem Stein!
Gewohnheitsmäßig hatte er nach Einwurf des Münzgeldes die HB-Schublade gezogen und nicht mehr daran gedacht, dass er wohl doch der einzige HB-Raucher der Straße war.
Wir hätten was darum gegeben, das Gesicht von Klaus in der Sekunde der Erkenntnis zu sehen! Und selbst jetzt schaute er noch ziemlich bedeppert!
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Doch zurück zu der Ausbildung in der Lackfabrik. Ich hatte also das erreicht, was ich wollte. Eine Lehrstelle als Chemikant bei der Firma Dr. Kurt Herberts. Aber sehr schnell wurde mir klar, dass es im Berufsleben selten so ist, wie man es sich als Schulabgänger vorstellt.
Wir Lehrlinge des 1. Ausbildungsjahres mussten die ersten acht Monate - von morgens ab 8 Uhr, bis nachmittags 17 Uhr - die Schulbank der unternehmenseigenen Herbertsschule drücken. Mit meinen erhofften »Krach-Bumm-Zisch-Erlebnissen« wurde es erstmal nichts. Außer einer kurzen Besichtigung der Herberts-Werke sahen wir nichts von dem, was einmal unseren Beruf ausmachen sollte. Jetzt war vorerst Pauken angesagt.
Chemie, Physik, Mathematik, Rohstoffkunde. Dazu Wochenberichte, Monatsberichte, Jahresberichte. Mir rauchte der Schädel!
Die Mehrzahl der Lehrlinge - heute heißt das Auszubildende - verfügte über einen Realschulabschluss. Außer mir hatten nur noch drei andere Jungs die minderwertige Hauptschule besucht. Und aufgrund ihrer Schulbildung in den genannten Fächern hatten uns die Realschüler doch so einiges voraus, wie ich deprimiert feststellen musste.
Die anfängliche Begeisterung für die Laborausbildung war ebenso schnell verflogen, da wir die ersten Stunden nichts anderes machten, als aus Glasröhrchen, mit Hilfe von Bunsenbrenner und Atemluft, Pipetten zu blasen. Unsere Klasse - wir waren zwölf Auszubildende - entwickelte sich jedoch glücklicherweise schnell zu einer eingeschworenen Gemeinschaft. Jeder half jedem. Und sogar abends traf sich die komplette Meute zu gemeinsamen Unternehmungen.
Wir waren, wie schon gesagt, eine tolle Gemeinschaft von 14- bis 17-Jährigen. Ich war natürlich wie immer der Jüngste, aber trotzdem akzeptiert wie jeder andere auch. Außerdem hatten Klaus, Werner und ich den Vorteil, als Exoten angesehen zu werden. Der typische norddeutsche Slang von Klaus und mir kam bei den Rheinländern gut an. Werner kam aus der Eifel und grenzte sich durch seinen Akzent ebenfalls von den Eingeborenen des Bergischen Landes ab.
Im Laufe der Zeit nahmen wir Auswärtigen aber sehr schnell den Dialekt der Wuppertaler an, was mich wiederum, wenn ich mal Urlaub hatte, bei meinen ehemaligen Schulfreunden in Rendsburg zu einem Exoten machte.
Meine schulterlange Frisur und die Kleidung im rheinischen Style, machten bei meinen modisch zurückgebliebenen Rendsburger Kumpels enormen Eindruck. Denn deren Haare waren kurz und akurat gescheitelt. Plötzlich war ich den Rendsburger Jugendlichen um Lichtjahre voraus. Und das steigerte mein Selbstwertgefühl enorm.
Ja, für die Entwicklung meiner Persönlichkeit und für meinen Reifeprozess war Wuppertal genau das Richtige! Ich fühlte mich nicht mehr als Außenseiter und entwickelte mehr und mehr Selbstbewusstsein.
Die relative Selbständigkeit und Eigenverantwortung hatte allerdings auch einen Nachteil. Wenn man als 15-Jähriger kaum kontrolliert wird, dann kehrt ganz automatisch der Schlendrian ein. Und so kam es, dass ich des Öfteren am Wochenanfang nicht zur Arbeit, sondern zum Arzt ging. Ich erzählte ihm etwas von Magenschmerzen und hatte zehn Minuten später den »Gelben Schein« für eine Woche. Manchmal entstand bei mir der Eindruck, der Arzt würde an jeder Krankschreibung besonders gut verdienen. Klaus und Werner machten es mir nach. Und damit der Heimleiter nichts mitbekam von unserer Blaumacherei, verbrachten wir dann den Tag in der City von Wuppertal, gingen in Schallplattenläden und hörten uns durch deren Musiksammlungen.
Wenn unser Heimleiter dann aber doch spitzkriegte, dass wir uns hatten krankschreiben lassen, gab’s immer mächtig Ärger.
Der Lohn war nun auf 185 DM angestiegen, aber ich merkte ja nichts davon. Denn wie gehabt wurde das Lehrlingsentgelt immer noch an das Arbeitsamt überwiesen und mein karges Taschengeld wurde mir weiterhin vom Heimleiter ausgezahlt. Nur das Busgeld für die Fahrt zur Arbeit, das wir vom Arbeitsamt bekamen, erhöhte unser Budget. Denn wir fuhren grundsätzlich schwarz. Erwischt wurde ich jedenfalls nie.
Am Dienstag der Woche war Unterricht in der Herberts-Schule und Donnerstags verbrachten wir in der Berufsschule. So blieben für den Einsatz in den jeweiligen Produktions-Abteilungen nur drei Tage übrig.
Ich wurde nun in verschiedenen Abteilungen eingesetzt. Die Einsätze dauerten im Durchschnitt maximal vier Wochen, dann wechselten wir in die nächste Abteilung. Dieser Umstand brachte natürlich mit sich, dass man kaum Zeit hatte, mit den Kollegen im Betrieb richtig warm zu werden. Man lief so mit und durfte nur wenige selbständige Arbeiten machen. Das war natürlich ziemlich unbefriedigend.
Die einzige Ausnahme, an die ich mich erinnere, war mein Einsatz im Betriebslabor. Der Laborleiter war ein Mann mit enormem Fachwissen und einer Allgemeinbildung, die mich beeindruckte. Ich hatte in der Zeit tolle Gespräche mit ihm, und er ließ mich sehr viele Arbeiten selbstständig in der Rezeptbearbeitung durchführen. Sogar die Qualitätsprüfungen der Muster, welche aus dem laufenden Produktionsprozess kamen, führte ich in Eigenregie durch.
Aber ein paar Wochen später musste ich in die nächste Abteilung. Und der Frust begann von neuem.
Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem ich mich fragte, ob dieser Beruf wirklich der Richtige für mich sei. Ich war jetzt mitten im zweiten Lehrjahr und hatte ehrlich gesagt keinen Bock mehr. Aber jetzt hinschmeißen? Dann wären die letzten zwei Jahre vergeudet gewesen. Und etwas anderes lernen? Nochmal von vorne anfangen? Nein, das wollte ich wiederum auch nicht.
Da kam mir eine Idee! Am Ende des Lehrjahres machten diejenigen aus meiner Klasse, die nicht Chemikant, sondern Chemielaborwerker lernten, ihre Abschlussprüfung. Mein Kumpel Werner gehörte zu denjenigen.
Die Chemielaborwerker lernten zwei Jahre fast das Gleiche wie die Chemikanten. Dabei wurde die betriebliche Ausbildung allerdings auf das nötigste reduziert. Sie machten dann, zu Ende des zweiten Lehrjahres ihre Prüfung und konnten anschließend im Labor arbeiten. Während die Chemikanten neben der Laborausbildung noch eine betriebliche Ausbildung erhielten, um in der Prozess-Steuerung die großen Anlagen zu überwachen und zu bedienen.
So marschierte ich also in das Büro des Ausbildungsleiters Herrn Dr. Essner. Er sollte meinen Ausbildungsvertrag einfach umschreiben. Kann doch kein Problem sein, dachte ich. Aber Pustekuchen!
Essner war von meinem Ansinnen nicht besonders angetan, und erklärte mir die Vorteile der längeren Ausbildung. Ich hätte doch nur noch ein Jahr vor mir und wäre dann auch höher qualifiziert, versuchte er mir klar zu machen. Ich kam bei dem Mann einfach nicht weiter.
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