1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Die Schwestern liefen in der Zeit auf den Fluren »Streife«. So konnten sie Ausflüge kontrollieren und gegebenenfalls unterbinden.
Aber natürlich gab es auch angenehme Momente.
Nach dem Frühstück gingen wir oft mit den Schwestern an den Strand, um bei Spaziergängen die gesunde Inselluft zu inhalieren. Und nach stürmischen Nächten sammelten wir dort Bernstein. Einige Kinder fanden sogar richtig große Stücke. Das machte den meisten von uns großen Spaß. Am Nachmittag wurden die Funde dann geschliffen, poliert und zu kleinen Anhängern verarbeitet.
Eines Tages mussten wir Kinder von unserem extrem knappen Taschengeld (alle Kinder waren aus einfachen Verhältnisen, was das Elternhaus betraf) jeder eine Matrosenmütze kaufen - aus Gründen der Einheitlichkeit. Das waren diese weißen Dinger mit einem blauen »Bommel« obendrauf. Weiss der Teufel warum – aber die Kappen hatten wir bei allen Aufenthalten in der Natur zu tragen.
Bei einem der zahlreichen Inselspaziergänge kam mir meine dummerweise abhanden. Ich weiß nicht mehr wie - ob durch den Wind, oder weil ich meine Kappe irgendwo liegenließ. Jedenfalls war sie plötzlich weg. Zur Strafe musste ich fortan zu meinen kurzen Hosen und den kurzärmeligen Hemden immer eine Winterpudelmütze tragen, trotz herrlichem Sommerwetter.
An einem Tag in der letzten Woche sollte von einem bestellten Fotografen ein Gruppenfoto gemacht werden. Dazu mussten natürlich alle ihre Matrosenmützen aufsetzen. Mein Ansinnen mir eine Neue kaufen zu wollen, weil ich mit meiner bescheuerten Pudelmütze ungern auf dieses Foto wollte, wurde kurz und bündig abgelehnt. Und so saß ich während des Fototermins, bei schönstem Sonnenschein, mit Winterpudelmütze und kurzen Hosen inmitten der Gruppe. Ich habe mich sehr geschämt. Und obwohl dieses Foto doch eine schöne Erinnerung sein sollte, habe ich es später niemandem - außer meinen Eltern - gezeigt.
Endlich, nach schier endlosen Wochen, war das Kapitel Amrum abgeschlossen und es ging wieder nach Hause. Ich war heilfroh meine Mutter am Bahnhof zu sehen. Und Mutti freute sich, dass ich 6 Kilogramm zugenommen hatte.
Kapitel 8: Rot-Weiß und Zahnprobleme
Dezember 1967 - es mag etwa 6 Uhr morgens gewesen sein. Draußen war es kalt und noch dunkel. Wir warteten in der Bahnhofshalle und stiegen in den Zug nach Darmstadt, um meine Großmutter zu besuchen. Lokomotiven wurden damals noch mit Koks und Wasserdampf angetrieben und die Luft hatte diesen unbeschreiblichen Geruch. Eine Mischung aus Öl, Kohle, Dampf und großer weiter Welt.
Die Passagiere, so schien es, hatten ihre beste Kleidung angezogen. Denn eine Bahnreise war immer ein besonderer Anlass - etwas Außergewöhnliches.
In den Abteilen der Waggons war es kuschelig warm und die weiße Winterlandschaft zog an den Fenstern vorbei. Ich genoss das Rattern der Stahlräder auf den Schienen und den zauberhaften Blick nach draußen.
Mutti hatte eine Tasche mit belegten Broten, Keksen und Obst dabei. Sogar Flaschen mit richtiger Limonade. Und obwohl die Brote die gleichen wie sonst auch waren - sie schmeckten einfach besser als sonst.
Manchmal kam ein Bediensteter der Bahn mit einem Handwagen an den Abteilen vorbei und bot heiße Würstchen, Getränke und Süßigkeiten zum Kauf an. Vati bestellte Würstchen für uns alle. Und für meinen Bruder und mich eine Tüte mit leckeren Bonbons. Axel und ich waren wunschlos glücklich und wir stopften die Süßigkeiten in uns hinein.
Ich habe mir als Kind oft in meinen Tagträumen vorgestellt, wie es wohl wäre, im Schlaraffenland zu wohnen. So wie in diesem Moment musste es bestimmt sein, wenn man dort lebte.
Im Abteil lagen Streckenpläne aus, auf denen man genau nachverfolgen konnte, wo man gerade war - und auch zu welcher Zeit. Ich hatte mir eine kleine Deutschlandkarte aus meiner Schultasche mitgenommen und fuhr so mit dem Finger zusätzlich die Bahnstrecke auf meiner Karte mit.
Dann die Tunnel, die das Abteil für kurze Zeit verdunkelten. Und die kleinen verschneiten Fachwerkhäuser, die gegen Ende der Reise am Fenster vorbeihuschten. Genauso sahen die Modelleisenbahnanlagen von Märklin aus, die im Kaufhaus Grimme während der Vorweihnachtszeit die Schaufenster schmückten, und vor denen ich oft stand und mich nicht sattsehen konnte.
Nach 7 oder 8 Stunden kamen wir in Darmstadt an und ich freute mich schon auf die Rückfahrt. Obwohl diese Stadt doch irgendwie aufregend war. Eine völlig andere Welt – anders als unser kleines Rendsburg. Breite Straßen und so viele Menschen. Alles war größer, unbekannter.
Einige Tage später ging Vati mit mir ins Zentrum von Darmstadt und wir betraten ein Sportgeschäft. Überall hingen dort die Fotos meiner Fußballidole - Uwe Seeler, Karl-Heinz Schnellinger, Gerd Tilkowski, Lothar Emmerich und noch viele mehr.
Während ich mit großen Augen die Plakate und Auslagen bestaunte, stieß mich Vati an. »Weil ja in ein paar Wochen Dein Geburtstag ist, haben Mutti und ich beschlossen, Dir einen besonderen Wunsch zu erfüllen. Du darfst in einen Fußballverein eintreten. Aber ein Fußballer braucht natürlich ein Trikot, Hose, Schienbeinschoner und Stutzen. Und die sollst Du Dir nun aussuchen.«
Wahnsinn! Um meine Bauchgegend herum stellte sich ein ganz besonderes Kribbeln ein!!
Wir kauften dieses wunderschöne rote Trikot mit weißem Kragen, eine weiße Turnhose mit roten Streifen, weiße Stutzen und blaue Schienbeinschützer. Herrlich dieser Geruch des neuen Trikots! Ein sensationelles Geschenk. Ich konnte den Tag meines Geburtstags garnicht mehr abwarten.
Wieder zuhause, ging ich zum Training der FT Eintracht - einige meiner Freunde spielten dort und der Trainer drückte mir das Anmeldeformular in die Hand.
Drei Wochen nach meinem 12. Geburtstag, pünktlich zum Sonntag, war mein Spielerpass endlich da - und ich machte mein erstes Spiel!
Dass wir 4:0 verloren, war nicht besonders schlimm. Wichtig war - jetzt gehörte ich dazu. Der Trainer hatte mich als rechten Verteidiger aufgestellt. Und deshalb nähte mir Mutti auf mein Trikot in der anschließenden Woche - die Rückennummer Zwei!
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Zweimal im Jahr kam ein Zahnarzt in die Schule, sah den Schülern in den Mund und prüfte die Kauleisten. Meine Eltern achteten wenig auf die Zahnhygiene ihrer Kinder. Und da ich genausowenig die Wichtigkeit des Zähneputzens erkannte, war mein Gebiss in einem entsprechendem Zustand.
Zahnärzte machten mir wahnsinnige Angst. Ich hatte bereits vorher, wenn ich mal Zahnschmerzen hatte, die Bekanntschaft mit Zangen und Bohrern gemacht. In meinen Augen waren das Folterinstrumente! Und die behandelnden Ärzte hatten echte Schwerstarbeit zu leisten, damit ich meinen Mund überhaupt aufmachte, wenn ich auf dem Behandlungsstuhl saß.
1967 war es wieder soweit. Der Schulzahnarzt betrachtete mein Mundinneres und ließ seine Assistentin aufschreiben: »Unten links kariös, oben rechts kariös« usw. Anschließend gab’s einen Zettel für meine Eltern, mit der dringenden Aufforderung, einen Behandlungstermin bei einem ortsansässigen Zahnklempner zu vereinbaren. Mann, ging mir der Arsch auf Grundeis!
Meine Mutter machte einen Termin mit Herrn Dr. Jacobsen aus und wir suchten die Praxis auf. Für mich fühlte es sich an, als würde ich zur Hinrichtung geführt werden.
Besagter Zahnarzt war ein Mann in den Fünfzigern und äußerst brutal. Ich wurde aufgefordert, auf seinem Behandlungsstuhl Platz zu nehmen.
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