In der verbleibenden Zeit wollten Philippe und Deborah Langversäumtes nachholen. Deborah wünschte sich ihr Arbeitszimmer neu einzurichten, und Philippe musste sich seinem Wagen zuwenden, brauchte dieser doch einiges an Aufmerksamkeit, zumal eine weitere Prüfung beim Strassenverkehrsamt bevorstand. Das Bedürfnis von Deborah war relativ schnell befriedigt und endete darin, dass das Pult in ihrem Arbeitszimmer mit demjenigen in Philippes Büro ausgetauscht wurde. Jetzt sah das Ganze für sie schon viel annehmbarer aus, und sie war Philippe dankbar, dass er Hand dafür geboten hatte. Beim Auto war es schon etwas schwieriger. Der Renault war in die Jahre gekommen, und Philippe wusste nicht, ob er in nochmals «durchbringen» würde. Für ein neues Fahrzeug hatten sie allerdings kein Geld. Also versuchte er sein Bestes und besuchte einen ihm bekannten Garagisten. Aber auch der rümpfte die Nase und meinte, dass es ein ‘Vabanquespiel’ sei. Wenn er wolle, versuche er, ihn durchzubringen. Er könne allerdings nichts versprechen. Philippe willigte ein und hoffte gleichzeitig, dass «die Götter» ihm gnädig sein werden.
Der ICE in Richtung Berlin traf pünktlich um 1108 Uhr in Frankfurt (Main) Hauptbahnhof ein, und Philippe wurde tatsächlich von Isidor auf dem Gleis 9 erwartet. Herr Habersack wollte sich zu erkennen geben und er teilte Philippe vorgängig mit, dass er eine grüne Zipfelmütze tragen werde. Auch werde er eine Zeitung unter dem linken Arm tragen. Die Erkennungszeichen waren für Philippe unübersehbar und so fanden sich die beiden sogleich.
Isidor Habersack war ein etwas rundlicher Mann von Mitte vierzig, nicht allzu gross, aber mit freundlichen Gesichtszügen. Er schlug Philippe vor, das Mittagessen in einem nahen gelegenen Restaurant einzunehmen und er schlug ihm hierfür die Gaststätte «Atschel» vor, welche bekannt war für feines Essen. Auch liege der Gasthof in unmittelbarer Nähe zum Verlag, den Philippe im Nachgang zum Mittagessen gerne besichtigen dürfe. Philippe nahm das Angebot dankend an und er konnte sich gut vorstellen, dass die Portionen, welche in der Gaststätte serviert werden, nicht für Kleinesser gedacht waren. Philippe war gespannt. Und tatsächlich! Beide entschieden sich für eine Schweinshaxe mit Sauerkraut und Kartoffelpüree, und die Haxe fand auf dem Teller kaum Platz. Nichtsdestotrotz mundete das Essen vorzüglich, und Philippe staunte ob sich selber, dass er praktisch alles verspeisen mochte. Der gewählte Riesling des Weingutes Dreissigacker in Bechtheim/Rheinhessen passte hervorragend zum Essen, und obschon es sich dabei um einen Weisswein handelte, war er von Isidor richtig gewählt. Die beiden wollten sich fortan mit dem Vornamen ansprechen und Philippe war dies nur recht.
Während des Essens beschrieb Isidor Philippe das Bundesland Hessen mit all seinen Kontrasten und er verschwieg natürlich nicht, dass Johann Wolfgang von Goethe aus Frankfurt stammte, und sein ursprüngliches Wohnhaus heute ein Museum sei.
Alsdann begaben sich die beiden ins Verlagshaus, welches in der Tat nur zwei Querstrassen von der Gaststätte entfernt lag. Das Haus war nicht sonderlich gross, befand sich die Druckerei doch etwas ausserhalb des Zentrums. Philippe lernte verschiedene Angestellte kennen und allesamt waren ihm sympathisch. Er konnte sich gut vorstellen, mit Isidor ins Geschäft zu kommen.
Isidor gab ihm nun seine Vorstellungen bekannt und er rühmte den Schreibstil von Philippe: einfach, aber aussagekräftig und unterhaltsam. So schätze Philippe sein Schreiben selber ein und er war sich bewusst, kein grosser Schriftsteller zu sein. – Einfach die Freude am Schreiben beflügle ihn, und er wolle eigentlich gerne weiterfahren, Ideen habe er noch genug; dies sein Kommentar.
Isidor skizzierte ihm nun seine Vorstellungen. Er habe die Lektoren bereits angewiesen, sich Gedanken zu machen. Auch den Werbetexter habe er beauftragt, Titelvarianten auszuarbeiten und erste Vorschläge seien ihm schon unterbreitet worden. Einer der Titel laute zum Beispiel wie folgt:
Unvorstellbar
… wie schnell selbst ein Polizeichef in Verruf geraten kann
… welche Abgründe sich auch bei einem Politiker auftun können
und
… was die Strafverfolger an ihre Grenzen stossen lässt
Für seine Mitarbeiter sei absolut denkbar, dass die Kurzgeschichten eins bis drei zusammengefasst und in einem Band erscheinen könnten. Auch hielten sie dafür, dass im Anschluss daran in einem zweiten Band das Thema «Unvorstellbar» weitergeführt werden könnte, beispielsweise mit folgenden Untertiteln:
Unvorstellbar
… wer hinter der Pandemie Covid-19 stecken könnte
und
… weshalb der Bundesanwalt in die Enge getrieben wurde
Natürlich seien auch andere Varianten denkbar, und der Vorschlag eines anderen Texters gefalle ihm ebenfalls gut und dieser laute wie folgt:
Dubiose Machenschaften
Die Bücher würden in einer Art Trilogie und Dilogie zusammengefasst und so auf den Markt gebracht. Seine Erfahrung habe ihn einfach gelehrt, dass sich Bücher im Umfang von 200 bis 300 Seiten besser verlaufen liessen als Erzählungen in Kurzform. Viel umfangreicher sollten die Romane dann doch wieder nicht sein, da sie ansonsten nicht gekauft würden.
Was aus seiner Sicht jetzt einfach noch fehle, sei eine «knackige» Einleitung, die den beiden Bände, oder wie das Erscheinen auch immer sein möge, beigelegt werden könnte. Das Thema sollte die Revision der Strafprozessordnung in der Schweiz sein mit all seinen Schattierungen, so wie Philippe es bereits angetönt habe, einfach noch ein wenig ausführlicher.
Philippe hörte seinem Gegenüber aufmerksam zu und er konnte oder wollte Isidor nicht widersprechen. Isidor hatte sich richtig gehend in Fahrt geredet und sein Enthusiasmus war deutlich spürbar. Selber konnte er die Vorschläge nachvollziehen und sie waren für ihn nicht aus dem «Tierbuch».
Isidor ging noch einen Schritt weiter und er offerierte Philippe gar eine «Schreibstube», wo er sich zurückziehen und sich dort voll und ganz der Arbeit zuwenden könnte. Sie hätten vom Verlag zwei Adressen, die sie hoffnungsvollen Schriftstellern unentgeltlich zur Verfügung stellen würden und eine davon befinde sich in der Schweiz, die andere in Südfrankreich. – Beides klang für Philippe verlockend.
Isidor zeigte Philippe ein Bild des einen Hauses, jenem in der Schweiz, und dieser war begeistert: klein, aber fein und genau das, was sich Philippe schon lange für sein Tun gewünscht hatte.
«Und wo befindet sich denn dieses Schmuckstück?», so die drängende Frage von Philippe.
«In St. Peter im Kanton Graubünden, etwa auf halber Distanz zwischen Chur und Arosa auf circa 1250 m ü. M. gelegen», so die Antwort von Isidor.
«Die Aussicht ist schlichtweg fantastisch und aus meiner Sicht unvergleichbar.» «Sieh nur», und Isidor zeigte Philippe ein weiteres Bild.
«Dies ist der Blick von der Terrasse aus; ist er nicht traumhaft?» Philippe war fasziniert und er sah sich bereits am Schreiben. Den Schlüssel zum Häuschen würde er von einem älteren Herrn im Dorf erhalten und er könne dort solange bleiben wie er wolle. Dies die wohlwollenden Worte von Isidor.
Philippe sah sich wie in einem Film und er konnte gar nicht glauben wie ihm geschah. Auf einmal schienen all seine Wünsche und Träume in Erfüllung zu gehen und er konnte es kaum fassen. – Beide, er und Isidor, kamen darin überein, dass sich Philippe das Ganze noch einmal überlegen soll und dass er dann Isidor seinen Entscheid bekannt gebe. Philippe wollte der Bitte gerne nachkommen.
Die Stunden vergingen, und Philippe konnte pünktlich seinen Zug heimwärts besteigen. Isidor begleitete ihn sogar auf den Bahnhof und sie winkten einander zu.
Bernard hatte den Termin mit dem Vermieter der Lokalität festgemacht, und so sollte Désirée noch im Verlauf des Nachmittags die Räumlichkeiten besichtigen dürfen. Sie war schon ganz aufgeregt, und natürlich wollte Isabelle auch mit dabei sein. Francesco wollte noch kurz etwas erledigen, und so stellte Bernard die beiden Damen dem Vermieter vor.
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