Hans Fallada - Wir hatten mal ein Kind
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Seit Generationen wissen die Leute auf der Insel Rügen, dass mit den Gäntschows nicht gut Kirschen essen ist. Auch Johannes, der letzte Spross dieser Sippe, macht keine Ausnahme. Nur Christiane, seine große Liebe seit Kindheitstagen, hält zu ihm. Nur Christiane, seine große Liebe seit Kindheitstagen, hält zu ihm.
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Während Frieda im Rücken des Mannes zum Kienspan huschte, schlich seitlich Elfriede zu der Mistforke, die drei Schritt weiter an der Wand lehnte.
Plötzlich erlosch das Licht mit einem Funkenregen, als sei es aus dem Ring gestürzt. Der Bauer fuhr auf, horchte in die raschelnde Stille – da traf ihn der Stich der Forke in die Seite.
Er brüllte auf, stürzte auf die hellere Türöffnung zu, rannte etwas, das leise und schmerzvoll aufseufzte, über den Haufen, gewann das Freie. Er taumelte, halb betäubt von Schmerz, erfüllt von wahnsinniger Angst, eine Art Pfad hinab, sich an Bäumen stoßend, sich an Bäumen haltend. Er war am Strand, kein Licht blinkte, aber etwas Schwarzes lag auf dem dunklen Wasser. Er stolperte darauf zu, er fiel hinein, er griff nach der Ruderstange, stieß das Boot ab ... Die Stange entglitt ihm, er wäre ihr beinahe nachgestürzt, aber das Boot trieb schon. Schwer aufseufzend setzte er sich auf den Boden, legte seinen Kopf gegen die Heckkiste, murmelte: Verfluchte Insel! Verhexte Hexen! Und wußte nichts mehr. –
Der Leuchtturm von Barhöft steht toteneinsam auf dem äußersten Punkt einer Halbinsel nördlich von Stralsund. Auf ihn zielt von Norden der Vierendehlstrom, aber, ehe er an die Küste kommt, teilt er sich, und sein einer Ausläufer verliert sich südöstlich im Mühlentief, das an den Flundergrund stößt.
Hier war an einem frühen Sonntagmorgen ein Mädchen allein mit einer sonderbaren Art Boot unterwegs. Es war geradeheraus gesagt nichts anderes wie eine große Waschbutte, und daß es die wirklich war, bewies der Pflock, der das Loch verschloß, aus dem die Weiber das schmutzige Waschwasser fortlaufen lassen. Nur war jetzt der Pflock nicht von unten, sondern von oben in die Butte getrieben, und da saß er nun recht schön zwischen den beiden Knöcheln des Mädchens. Das Mädchen hatte in seiner Butte oder Balje nichts wie ein kleines Plätscherruder, mit dem es vorsichtig zugleich ruderte und steuerte.
Es war noch sehr früh am lieben Sonntagmorgen, kaum fünf, aber die Sonne schien schon lieblich, der Himmel war klar und die See so glatt wie ein sauber aufgelegtes Tischtuch. Das mußte sie aber auch sein und dazu mußte man auch noch so geduldig still sitzen wie dieses Mädchen, ohne auch nur ein einziges Zentimeterchen nach rechts oder links zu rücken, sonst würde die Waschbalje nur ein einziges Mal kippeln, rasch tief aufseufzen und leer sein. Es gehörte schon jahrelange Übung dazu, sich in solchem Ding so weit auf die See hinauszuwagen, und doch hätte es das Mädchen trotz aller jahrelangen Übung nicht getan, wenn es sich nicht endgültig und fürchterlich mit Onkel Walli verzankt hätte.
Onkel Walli nun war der von der verstorbenen Elternschaft eingesetzte Verwalter des Hofes in Solkendorf (unterhalb des Leuchtturms von Barhöft), der Vormundschaft, Ackerbau und Viehzucht verantwortlich auszuüben hatte, bis dermaleinst Justine ihren Justus oder wie er eben heißen würde, heiraten und sich damit aus der einen in die andere Vormundschaft begeben würde.
Nun war Onkel Walli ein Mann aus der Anklamer Gegend, wohl ein herzensguter Mann, aber was soll man von einem Mann aus der Anklamer Gegend erwarten? Er ist und bleibt ein Binnenlandmensch, und das sagt für einen Küstenmenschen, für einen Wassermenschen genug. Die Solkendorfer Kinder wurden gewissermaßen in der See groß, schon, wenn sie erst zwei oder drei Jahre alt waren, fingen sie an, rastlos in die Boote zu klettern, aus den Booten zu fallen und sich mit Rudern, dreimal so lang wie sie selbst, umzubringen. Und sie quälten immer ihre Mütter, ihnen zum Essen selbstgefangene Fische zu braten, von denen der längste so lang war wie ein Mittelfinger, wohlgemerkt wie der Mittelfinger einer Kinderhand.
Justine, Stine hatte von dieser Solkendorfer Tradition keine Ausnahme gemacht, und die Grundlagen zu ihrer heutigen Waschbaljenfahrt hatte sie in einem Alter gelegt, wo man nicht zweiunddreißig, sondern erst zwanzig Zähne im Munde hat. Das ging, wie es ging, solange die Eltern lebten, je mehr Justine sich streckte, um so mehr streckten sich auch die Fische, die sie heimbrachte, sie schienen mit ihr zu wachsen.
Aber Onkel Walli war nicht für Fische. Er hatte den Aberglauben vieler Binnenländer, daß Fische nach Tran riechen und schmecken, und er hatte den Privataberglauben dazu, daß es giftige und ungiftige Fische gäbe, und daß die ungiftigen sehr schwer von den giftigen zu unterscheiden seien, genau wie bei den Pilzen, die er auch nicht aß.
In allen Dingen waren er und sein Mündel besten Einvernehmens, aber in diesem Punkt waren sie so verschiedener Meinung, daß das sonstige gute Einvernehmen darüber in die Brüche zu gehen drohte. Der Krieg wurde von Onkel Wallis Seite unter schamloser Ausnützung der ihm behördlich verliehenen Gewalt geführt: Fischgerät wurde beschlagnahmt und verbrannt, Boote an Ketten gelegt, die Fischer gegen das Mädchen aufgehetzt. Für Justine blieben nichts wie Tränen, Schmollen, Proteste und List.
Am Tage zuvor war es Justine nun gelungen, Onkel Walli während seines Nachmittagschlafes die Schlüssel aus der Tasche zu stehlen. Eilig war sie damit entflohen, denn sie hatte eine Woche nicht auf dem Wasser gelegen, sie hatte ihre Angelschnüre zurechtgemacht, war hinausgerudert und hatte die Schnüre auf dem Flunderngrund ausgelegt.
Als sie hereinkam von der See, hatte Onkel Walli sie schon am Strande erwartet, und der gute alte Mann mit den glupschen Augen, mit dem Walroßschnauzbart und dem Hosenboden faltig wie ein Elefantenhintern war zum ersten Male richtig zornig gewesen. Ja, er schwur ihr zu, er würde sie nun binnen heute und sechs Wochen verheiraten, und finde sich kein anderer in dieser Zeit, dann an seinen Neffen, den Kröpelhinnerk, der einen Buckel hatte und ebensolch ein Landmensch wie sein Onkel war.
Vergebens hatte Stine ihn beschworen, sie doch nur noch ein einziges kleines Mal hinauszulassen, die Angelschnüre hingen doch nun einmal draußen und verkamen, wenn man sie nicht holte. Und sicher hingen Aale daran, und das Pfund grüne Aale brachte auf dem Fischmarkt in Stralsund jetzt einen Drittel Taler!
Vergebens, nicht einmal das Geld zog, sie könne viel mehr Geld verdienen, wenn sie beim Kartoffelstecken hülfe: Wir sind so hintenran damit, und die Leute lachen schon über uns.
Aber dann war sie doch nicht zum Kartoffelstecken gegangen, noch dazu an einem so schönen Sonntag, sondern hatte in ihrer Wut und Verzweiflung die alte Waschbalje den Abhang zur See hinuntergetrudelt, und nun saß sie darin und hielt auf den Flunderngrund zu. Bisher war ja alles gut gegangen, und Justine saß achtsam, mit zusammengekniffenen Lippen, in der Butte. Sie wußte: das Schlimmste stand ihr noch bevor, wenn sie die Aalhaken hereinnahm, die Aale von den Haken löste und in den Sack steckte. Dann mußte sie sich bewegen, und was das Waschfaß zu diesen Bewegungen sagen würde, das wußte sie eigentlich auch.
Nun, aber eine Weile ging doch alles gut. Es war ein schöner Fang, den sie getan hatte, nicht übermäßig groß die Aale, aber gerade so eine schöne Mittelgröße, das Beste fürs Räuchern. Nun aber kam sie an einen Haken, und an diesem Haken saß ja wohl der Ur- und Stammvater aller Aale, ein Biest wie ein Kinderarm und lang wie ein abgebrochener Besenstiel. Paß Achtung, Stine, sagte Stine zu sich und ließ den Aal noch sein Tänzchen im Wasser machen. Dies kann schief gehen. Den Sack hatte sie hübsch zwischen den Beinen zu liegen, es krabbelte und wand sich ja schon einiges darin, und so konnte sie ihn nicht sofort griffbereit legen, aber sie machte ihn doch mit der einen Hand schon so weit auf, daß sie den Aal nur durch die Sackschnauze zu schieben brauchte.
Sie sah sich den Aal im stillen klaren Oberwasser an. Er schlängelte und bäumte sich schrecklich, er kam ihr immer mehr nicht wie ein Aal, sondern wie eine Seeschlange vor, die es auf sie abgesehen hatte.
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