Hans Fallada - Wir hatten mal ein Kind

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Seit Generationen wissen die Leute auf der Insel Rügen, dass mit den Gäntschows nicht gut Kirschen essen ist. Auch Johannes, der letzte Spross dieser Sippe, macht keine Ausnahme. Nur Christiane, seine große Liebe seit Kindheitstagen, hält zu ihm. Nur Christiane, seine große Liebe seit Kindheitstagen, hält zu ihm.

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Ich muß ihn am Haken in die Balje reißen und erst im Sack losmachen, entschloß sie sich. Nun, ich und Justine, wir werden es schon schaffen. Über ihrer Nasenwurzel stand eine scharfe Falte, ihre braunen, ziemlich buschigen Brauen saßen eng beieinander. Unwillkürlich sah sie auf die See hinaus, nicht daß sie etwa nach Hilfe ausgeschaut hätte, den Gefallen tat sie den dummen Bengels nun doch nicht, nur so ...

Aber da war nichts, die Sonne warf eine blendende, silbern glitzernde Bahn über das Wasser bis kurz vor ihre Balje, und in dieser Bahn schien weiterhin etwas Schwarzes zu sein, irgendein Stück Treibholz. Also denn nicht, und nun den Urvater! Sie zog an der Schnur, holte sie ein und der Aal kam halb aus dem Wasser. Was ein Biest, was ein Bengel, was ein Viech, sicher wog er seine neun oder zehn Pfund – beinahe war sie ärgerlich, daß sie ausgerechnet heute bei der Balje solch ein Vieh fangen mußte! Der Aal tanzte unermüdet und tat manchmal einen kräftigen Schlag gegen die Baljenwand. Sie dachte, er müßte eigentlich einmal müde werden, aber es sah nicht so aus.

Also denn! kommandierte sie sich selbst, und mit einem Schwung war der Aal auf ihrem Schoß. Aber da bäumte er sich auch schon auf, über der Baljenwand ahnte er wohl das gute salzige Wasser, Stine zog ihn kräftig zur Sackschnauze, der Aalschwanz tat einen hübschen Schlag in ihr Gesicht, der Aalkopf verschwand schon im Sack – Kippel, Kippel machte die Balje eilig, Uff! seufzte das einströmende Wasser ...

Es war eben doch zu lebhaft geworden, nun saßen sie alle im Wasser. Voran schwamm im Silberstreif die Balje, mit dem Boden nach oben, hinterher paddelte mit einem Arm Justine, in der andern Hand die Aalschnur und an der Schnur saß der Aal. Der Haken jedenfalls hatte festgehalten.

Justine war viel zu sehr Tochter der See, um nicht zu wissen, daß sie unmöglich die zwei Kilometer bis zum Strande schwimmen konnte. Auch die Waschbütte war wohl aufzurichten, aber hineinzukriechen war da nicht, das hieße nur sofort wieder umkippen. Eigentlich war also Justine zum Tode des Ertrinkens verurteilt, und daß das nicht ganz der angenehme Tod (mit Rückerinnerung an das ganze Leben) sei, wie er in manchem Buch so schön beschrieben steht, das wußte sie von dem und jenem Fischer, den man schon besinnungslos aus den Wellen geholt hatte.

Aber an Ertrinken dachte Justine nun freilich nicht. Zuerst dachte sie an ihre Kledagen, und mit ein paar festen Griffen holte sie sich die Röcke von den Beinen. Darüber ging der Urgroßvater flöten. Beest! sagte sie nur. Das Nächste war die friedlich schaukelnde Waschbalje, und mit zehn Schwimmstößen hatte sie die eingeholt. Sie schob sich das Ding, so bequem es eben ging, unter Brust und Bauch. Es trug sehr hübsch, zu schwimmen hatte sie nun nicht mehr, aber das Wasser blieb trotzdem saukalt, ja es wurde immer noch kälter, so schön die Sonne auch darauf glitzerte.

Bei diesem Glitzern der Sonne fiel Justine das Treibholz ein, und da sie jetzt durch die Butte etwas höher über dem Wasser lag, so sah sie, daß es gar kein Treibholz war, kein von der Deckslast irgendeines Schwedenschoners heruntergerissenes Grubenholz, sondern ein Boot, und ein leeres Boot, schien es, dazu.

Nun, hierauf haben wir ja schon einige Zeit gewartet, und jetzt sind wir recht froh, daß Justine ihren leeren Kahn gesichtet hat, und auf ihn zuschwimmt, und hineinsieht, und dort auf dem Boden besinnungslos in Blut, Dreck und Sickerwasser ihren künftigen Gemahl entdeckt. Da haben wir den Salat, dachte sie verdutzt, und Onkel Walli fiel ihr sofort ein, der gleich sagen würde, daß so etwas nur beim Herumstreunen auf dem Wasser vorkommen könne.

Aber nach dieser anfänglichen Betrachtung hatte sie ja erst einmal für die nächsten paar Stunden zu viel zu tun, um sich weiteren beschaulichen Erwägungen hinzugeben. Manchmal ist es selbst vom Kinderstandpunkt aus ganz gut, wenn Eltern, Pastoren und Vormünder überängstlich mit ihren Schäflein sind. Justine wenigstens fand es für diesmal ganz schön, daß der liebe betrübte, zornige, dicke Onkel Walli am Solkendorfer Strand auf und ab lief, ganz wie eine Glucke, der man Enteneier zum Ausbrüten untergeschoben hat und die nun fassungslos ihre eigene Nachzucht abschwimmen sieht. Als die Flotte einfuhr – die Waschbalje natürlich im Kielwasser –, wollte der Vormünder wohl blitzen und donnern und spucken, aber Justine sagte bloß: Kiek eins, Onkel Walli! – Und da dachte Onkel Walli, als er den besinnungslosen, aber ansehnlichen jungen Menschen liegen sah, vielleicht genau wie Justine vor einer Stunde: Da haben wir den Salat!

Aber auch hier war wieder zu Betrachtungen wenig Zeit, und keine zehn Minuten, da zog auf einer improvisierten Bahre der junge Gäntschow in Justines Hof ein. Onkel Walli aber hatte sogar an einen Rock für das junge Mädchen gedacht, sie hätte es ja wohl rein vergessen, in welchem Aufzug oder Auszug sie da einher ging.

Wenn aber nun Onkel Walli geglaubt hatte, er könnte jetzt den so geheimnisvoll Verletzten dem Doktor Benzin und den alten Tanten des Hofs überlassen, so war er wieder einmal falsch davor gewesen: Justines Platz war an diesem Bett. Sie hatte ihn gefunden. Während sie den Kahn mit ihrem kleinen Tröpfelruder heimwärts trieb, hatte sie den ganzen Weg lang einen recht guten Ausblick auf den jungen Mann gehabt. Da hatte er so gelegen, bleich, mit einem fast strengen Gesicht, das dichte dunkle Haar in der Stirn.

Gesprochen hatte er auch, aber es waren fliegende, flüchtige Worte gewesen, nur den Ton von Angst und Ungeduld hatte sie erfaßt. Nein, er war ihr Heimbringsel, und die alten Tanten mochten vor der Krankenstube tun, was sie wollten, in ihr hatte sie das Wort. Und der Kranke. Sie das leise, er das laute.

Je weiter die Nacht vorrückte, um so mehr, um so heftiger sprach er. Er mußte es bei geschlossenen Augen in den Gründen des Fiebers fühlen, daß er nicht mehr in einem von den Wellen gewiegten Kahn saß, sondern in einem Bette lag.

Ja? fragte sie wohl, über ihn geneigt, wenn er gar zu ungeduldig sprach. Wohin willst du?

Nichts, unkenntliche Wortfetzen. Die Hände laufen über die Bettdecke, Justine hat es, erst bei ihrem Vater, dann bei ihrer Mutter gesehen, daß die Hände so unruhig werden, die Sterbenden graben sich ihr Grab, sagt man. Sie nahm die beiden festen, gebräunten, verarbeiteten Hände zwischen die ihren. Erst suchten sie zu entwischen, dann beruhigten sie sich, das wilde Reden wurde seltener, er schlief wohl ein. Auch sie schlief ein.

Sie erwachte von seinem Blick. Er saß halb aufrecht im Bett und starrte sie verwundert an. Seine Stirn war zusammengezogen, als denke er fast schmerzhaft nach.

Bist du wach geworden? fragte sie.

Hast du die Silberkühe? fragte er.

Die Silberkühe?

Ja doch, die Silberkühe, sagte er ungeduldig. Über sein Gesicht ging wieder jener Ausdruck von Qual und Ungeduld, der sie schon im Boot erschreckt hatte.

Lege dich nur hin, sagte sie tröstend. Es kommt alles zurecht.

Er setzte sich mit einem Ruck ganz grade. Wenn auch du nicht die Silberkühe hast, muß ich weiter. Und wie zu sich: Sie sieht aus, als müßte sie sie haben. Aber sie hat sie auch nicht. – Er sah nach der Tür.

Leg dich doch bloß hin, bat sie nochmal. Das muß dir doch weh tun, das Sitzen.

Ja, es tut weh, sagte er. Wieso tut es eigentlich weh?

Jemand hat dich wohl mit einer Forke gestochen? fragte sie.

Mit einer Forke gestochen –? Dann erinnerte er sich. Ja, ich weiß wieder. In der Nacht. Es waren Hexen, sie wollten mich umbringen, weil ich die schwarzweiße Kuh gesehen habe, eine Herenkuh. Aber die silberne hatten sie auch nicht.

Das Mädchen machte einen großen Fehler. Es sagte: Wir haben auch schwarzbunte Kühe.

Schwarzbunte? Herenkühe? So sieht sie nicht aus. Und Silberkühe habt ihr nicht?

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