Dorian zog gerade ein Netz aus dem Wasser und holte die Fische heraus und warf sie in einen Holztrog, der mit Wasser gefüllt war. Die Fische zappelten darin und streckten ihre Köpfe aus dem Wasser, so als wollten sie herausspringen. Kasota stellte sich neben den Trog und sah hinein.
»Dorian, hast du die alle allein gefangen?« Dorian lachte.
»Natürlich nicht, denkst du, dass sie sich mir anbieten?« Kasota zuckte mit den Schultern. »Es hätte ja sein können, dass du schon so fleißig warst. Wann bist du fertig?«
»Kasota, wenn du still wärst, könnte es schneller gehen, also lass Dorian in Ruhe, sonst stehen wir in ein paar Stunden noch da«, gab ihr Vater mürrisch von sich.
Bockig verließ sie das Ufer und ging zurück zum Bergkamm. Von Langeweile getrieben spazierte sie den Bergkamm entlang. Immer wieder hielt sie inne und sah zur anderen Uferseite. Kasota merkte nicht, dass sie bereits das Ende vom Bergkamm erreicht hatte. Eine Schlucht trennte den Felsenkamm von dem nächsten Berg, der noch schroffer war als der Felsen, auf dem sie ihr Zuhause gefunden hatten. Verdorrte Büsche säumten den Weg der Schlucht. Neugierig schlug sie den Weg zur Schlucht ein. Mit Mühe bahnte sie sich einen Weg durch das Gestrüpp, die kahlen Zweige schob sie mit den Händen zur Seite und zog sich mit den verdorrten Zweigen, Kratzer an den Händen zu.
»Was machst du hier?«, polterte die dunkle Stimme ihres Vaters.
»Ich, ich wollte nur sehen, wohin es hier geht«, antwortete Kasota erschrocken.
»Hab ich dir nicht beigebracht, dass du dich nicht so weit von unserem Wohngebiet entfernen sollst?«
»Doch, aber ich war ganz in Gedanken versunken.« Onur sah seine Tochter schief von der Seite an.
»Du warst also so in Gedanken, dass du das trockene Geäst, das auf deiner Haut Kratzer hinterließ, nicht spürtest? Kasota, das glaubst du doch selbst nicht, oder?« Onur packte Kasota fest am Arm und zog sie mit sich fort.
»Zur Strafe wirst du heute den ganzen Tag den Berg nicht verlassen und deiner Mutter zur Hand gehen.«
Schweigend ging sie neben Onur her. Als sie den Weg der zu ihren Häusern hinaufführte erreicht hatten, kam ihnen Dorian entgegen. Schwer bepackt mit Körben voll toter Fische, sah er sie an.
»Gib mir einen Korb ab, dann hast du nicht so schwer zu tragen«, sprach ihn Onur an.
»Danke Onur«, antwortete dieser und reichte ihm den etwas leichteren Korb. »Darf man fragen, woher ihr kommt?«, dabei warf er einen Blick auf Kasota's zerkratzten Armen. Onur machte eine abfällige Handbewegung.
»Meine Tochter hat gegen unsere Regeln verstoßen, indem sie im Begriff war, auf die andere Seite des Berges zu kommen.« Vorwurfsvoll sah Dorian sie an.
»Kasota, das ist gefährlich, wieso machst du so etwas?«, gab Dorian entrüstet von sich. Kasota warf ihm einen stechenden Blick zu, während sie sich mit ihrem Gesicht seinem näherte.
»Dorian, das geht dich überhaupt nichts an, wir sind nicht vermählt«, raunte sie ihm grimmig zu.
»Nein, das stimmt. Vergiss aber nicht Kasota, dass es am zwanzigsten Vollmondtag so weit ist und wir vom ältesten Rat getraut werden.« Kasota zuckte mit den Schultern.
»Pah, da kommen aber noch neunzehn Vollmondtage dazwischen, wo noch viel passieren kann.«
»Pst, Kasota sei still, solche Worte möchte ich aus deinem Mund nicht mehr hören«, rügte sie ihr Vater.
Bei den Felsenhäusern angekommen, verschwand sie ins Innere und verbrachte den restlichen Tag damit ihrer Mutter zu helfen.
In Sonnland war der Abend hereingebrochen, es wurde langsam kühl. Die Nächte wurden empfindlich kalt, wenn die wärmenden Sonnenstrahlen nicht mehr vorhanden waren. Der aufkommende Wind spielte mit den Blättern der Bäume, so dass ein Rascheln die Stille durchbrach. In den Häusern saßen die Familien beim Abendessen zusammen.
Der Fürst des Landes saß mit seiner Gemahlin Ava und seinem zweitgeborenen Sohn Sant, am Tisch und sie warteten auf Abner's ältesten Sohn Brix. Sant war der Sohn mit der Fürstin, den sie zwei Jahre nach ihrer Tochter geboren hatte. Ava, die Gemahlin des Fürsten hatte ihrem Gemahl nie verziehen, dass er ihre Tochter, welche seine Nachfolgerin gewesen wäre, töten ließ und den Bastard, mit seiner Geliebten, als seinen Nachfolger bestimmte.
Schweren Herzens säugte sie damals das Kind Leda's, die ihr Mann eigenhändig getötet hatte, damit die Wahrheit nie ans Tageslicht käme. Sie ließ ihm an nichts fehlen, sie behandelte den kleinen Jungen wie ihr eigenes Kind, der kleine Winzling konnte ja nichts dafür, doch den Platz in ihrem Herzen konnte er bis heute nicht erobern, dort weilten ihre tote Tochter und Sant ihr leiblicher Sohn.
Sant's Magen knurrte bereits und das Wasser lief ihm im Mund zusammen, ob der leckeren Speisen, welche auf dem Tisch standen.
Er richtete einen flehenden Blick an seine Mutter, die sofort darauf reagierte.
»Nachdem dein Sohn es nicht für nötig findet, rechtzeitig zum Abendessen zu Hause zu sein, fangen wir jetzt an. Sant du darfst jetzt essen«, sagte sie bestimmt und zog sich einen grimmigen Blick ihres Mannes zu.
»Gegessen wird erst, wenn wir vollzählig sind!«, herrschte er seine Gemahlin an.
»Gut, Sant komm mit, wir essen in der Küche. Dein Vater der Fürst zieht es vor, mit seinem Nachfolger allein zu speisen.« Sie winkte die Küchenmagd herbei. »Richte uns den Tisch in der Küche her, den ihr immer zum Essen benutzt. Decke ihn für meinen Sohn und mich.«
Das Mädchen eilte mit großen Schritten in die Küche.
Abner saß seiner Frau gegenüber und starrte sie an.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst?«
»Und ob das mein Ernst ist, komm Sant wir gehen. Du kannst allein auf deinen Sohn warten.«
Ava stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab und erhob sich. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Brix kam herein.
»Ihr habt ja wohl nicht ohne mich angefangen, oder?«
»Natürlich nicht mein Sohn«, gab Abner von sich und sah stolz den jungen muskulösen Mann mit seinem schulterlangen Haaren an, der sich dem Tisch näherte.
Ava sah Brix böse an.
»Dein Bruder und ich mussten deinetwegen hungrig bleiben und jetzt wirst du auf unsere Anwesenheit verzichten müssen, denn Sant und ich, wir werden unser Essen in der Küche zu uns nehmen. Dort hat die Küchenmagd für uns einen Tisch gedeckt. Guten Appetit!«
Sie gab Sant mit der Hand ein Zeichen, dass er ihr folgen sollte.
Während Ava und ihr leiblicher Sohn den Raum verließen, blickte ihr Abner entsetzt und zugleich wütend nach.
»Was hat dich aufgehalten, mein Sohn, dass du so spät kommst?« Brix grinste und zwinkerte seinem Vater schelmisch zu.
»Es müsste heißen, wer mich aufgehalten hat. Es war Oscha, die Tochter des Bürgermeisters. Sie konnte einfach nicht von mir lassen«, gab er vielsagend von sich.
»Dann hast du ja sicher jetzt eine Stärkung nötig«, sagte sein Vater schmunzelnd.
»Oh ja, ich hab einen Bärenhunger. Was ist eigentlich mit Mutter los, sie hat doch noch nie ohne uns gegessen?«
»Das sind Launen, mein Sohn, auch du wirst dich mit den Launen der Frauen eines Tages auseinandersetzen müssen.«
»Oscha ist nicht so, sie ist sehr angenehm, sie frisst mir fast aus der Hand.«
»Sei froh, denn du wirst sie ehelichen müssen. Du bist ihr versprochen, damit der Bürgermeister uns immer gut gesonnen ist. Merke dir, es schadet nie, einen der zweitmächtigsten Männer hinter sich zu haben. Jetzt iss, damit du bald ins Bett kommst, dir schaut der Schlaf schon aus den Augen.«
Brix nickte und schaufelte förmlich das Essen in sich hinein. Anschließend erhob er sich und stellte sich neben seinen sitzenden Vater. Er legte ihm seine Hand auf die Schulter.
»Sei nicht so streng mit Mutter, sie ist eine gute Frau. Gute Nacht Vater.«
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