„Schon wieder welche? Hab ich dir nicht das letzte Mal schon gesagt, dass...“
„Ja, ja!“, unterbrach Charlie ihn eilig. „Sie kennen meine Ansicht, Captain! Was ist übrigens aus dem vorigen Treck geworden?“
„Oh, die sind auf die andere Seite des Arkansas gewechselt. Ich weiß nicht, was sie inzwischen machen. Habe nichts mehr von ihnen gehört“, lautete die knappe Antwort. Mit drei, vier großen Schritten trat er auf die Siedler zu. „Nun gut, jetzt sind Sie alle einmal hier!“ Er wartete auf eine Reaktion, doch alle schwiegen gespannt und gleichzeitig ein wenig ängstlich, was nun mit ihnen geschehen würde. „Dies hier ist offiziell noch immer Indianerland, auch wenn keiner sagen kann, wie lange noch! Sie haben deshalb kein Recht, sich darauf niederzulassen! Das Heimstättengesetz gilt hier nicht! Sie betreten dieses Land widerrechtlich! Ich hoffe sehr, Sie sind sich dessen bewusst! Das Problem ist, ich habe strikte Order, jeden davonzujagen, der versuchen sollte, hier einzudringen und jede Art von Ansiedlung sofort zu unterbinden!“
„Ach, kommen Sie schon!“, ächzte Charlie, die Augen verdrehend. „Sie wissen, das sind nicht die ersten...“
„Das ist mir vollkommen klar!“, unterbrach der Captain ihn scharf. „Und genau das ist der Punkt! Ich bin mir durchaus der ganzen Entwicklung bewusst, die unter Captain Paynes Leitung stattgefunden hat! Und ich weiß auch, dass niemand abschätzen kann, wieviele solcher Wagentrecks er hierher gebracht hat und ihnen gestattet hat, sich hier niederzulassen. Und ja, es gibt auch Rinderfarmen weiter nördlich, auf dem Gebiet des Indianerterritoriums! Trotzdem gibt es Ihnen nicht das Recht zu bleiben!“
„Genau das, was ich schon die ganze Zeit sage“, raunte Hardy Retzer mit einem Hauch grimmigen Triumphes.
„Ich habe keinen von Ihnen und Ihren Leuten jemals gesehen!“, brüllte der Captain jetzt, ihrem Führer einen finsteren Blick zuwerfend. „Bring sie weg und sieh zu, dass sie sich in der Nähe der Grenze zu Arkansas aufhalten!“
„Jawohl, Sir!“ Charlie grinste zufrieden. „Ich mache, was immer Sie sagen, Captain!“
Das ausbrechende Freudengeschrei wurde durch eine abrupte Armbewegung des Kavalleriemannes im Keim erstickt. „Es kann ständig zu Indianerüberfällen kommen! Bereiten Sie sich lieber darauf vor und suchen Sie sich einen fähigen Mann aus, dem Sie den Sheriffstern ans Hemd pinnen! Diese Wilden haben uns nicht gerade viel Freude bereitet im letzten Jahr! Also, machen Sie sich keine falschen Illusionen!“
„Aber das Land gehört doch der Regierung, oder etwa nicht?“, schallte eine männliche Stimme hinter einem der Wagen hervor.
„Das ist zwar korrekt“, nickte der Captain. „Aber es wurde den Stämmen zugesprochen!“
„Ich frage mich, wie lange die Regierung die Aufsätzigen noch unter Kontrolle halten kann, ohne hässliche Schlachten!“ Charlie grinste verächtlich.
Captain Harbach hob die Brauen, sichtlich verärgert. „Das ist weder etwas, das ich entscheide, noch mit dem Sie jemals konfrontiert werden! Aber solange wie ich hier die Befehle erteile, will ich Sie niemals wiedersehen oder ich schwöre, ich lasse Sie in der nächsten Zelle versauern und für organisierten Landraub anklagen! Habe ich mich deutlich ausgedrückt?“
„Klar und deutlich!“ Das Grinsen auf dem Gesicht ihres Führers wurde breiter. „Auf dem Rückweg werde ich mal bei einem der Rancher vorbeischauen, Sie wissen schon, die haben richtig gutes Land für ihr Vieh gefunden, nicht weit von der Grenze und die Indianer haben dreimal versucht, sie davonzujagen...aber sie kommen immer wieder zurück!“
Der Captain schürzte die Lippen. „Das ist eine Geschichte ganz nach Ihrem Geschmack, was?“
„Natürlich! Diese Leute haben das beste Recht, sich hier niederzulassen! Nichts von diesem wunderbaren, fruchtbaren Land wurde jemals schriftlich an die Indianer abgetreten!“
„Geht mir einfach aus dem Blick! Und rechnen Sie nicht mit irgendeiner Hilfe von meiner Seite, sollte es zum Schlimmsten kommen!“
„Jawohl, Sir!“ Es klang respektlos und er ließ seinen schwarzen Hengst auf der Hinterhand umdrehen.
Julie hatte weder ihm zugehört, noch irgendetwas überhaupt registriert, was während der letzten Minuten gesprochen worden war. Ihre Augen hingen an einem der Soldaten, die den Captain begleiteten. Ihr war schwindlig und ein seltsames Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. Er bemerkte sie nicht hinter dem Wagen, hinter dem sie sich versteckte und sie fühlte sich erleichtert, dass er ihr keinen Blick schenkte, denn sie war zu nichts weiter in der Lage, als ihn wie eine törichte Gans anzustarren. Er war groß und schlank, mit einem feingeschnittenen Gesicht und blonden Haaren. Obwohl sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, erschien es ihr, als habe sie diese Reise nur angetreten, um diesem Mann zu begegnen. Nie zuvor hatte sie solche Gefühle in sich aufwallen bemerkt. Was war nur in sie gefahren? War sie mit all den Strapazen der vergangenen Wochen schon verrückt geworden? Sie konnte ihren Blick einfach nicht von ihm abwenden, als er nun mit langen Schritten dem Captain durch das Tor ins Fort folgte. Beinahe enttäuscht, wandte sie sich ab. Vermutlich würde sie ihn niemals wiedersehen und die Vorstellung erschien ihr unerträglich. Sie musste diesen Mann wiedersehen, ganz gleich, wie sie es auch anstellte! Sie musste! Julies Herz raste wie verrückt und sie nahm die anderen Menschen um sich herum kaum wahr. Sie schienen keine Bedeutung mehr zu haben, jedenfalls nicht dieselbe wie noch wenige Minuten zuvor.
Hardy Retzner stieß einen tiefen Seufzer aus, als er plötzlich neben ihr auftauchte. „Es scheint mir fast, als seien wir bei Weitem nicht die ersten, die sich hier unbefugt niederlassen.“
Hugh grinste breit. „Das heißt, wir brauchen uns keine weiteren Gedanken mehr zu machen und...“
„Doch, das müssen wir!“, fuhr der Österreicher ihn zornig an. „Ich bin nämlich noch immer nicht erpicht darauf, in geraumer Zeit von einem Indianerpfeil durchbohrt zu werden!“
„Wer ist das eigentlich?“, fragte eine Frauenstimme neben ihnen und einer der Männer antwortete: „Ich habe von ihm gelesen in der Zeitung in Kansas gelesen. Er ist ziemlich berühmt für seine Erfahrung – das ist Captain A.A. Harbach.“
Charlie führte sie hinab, bis an einen großen, ovalen See. Stellenweise war das Ufer mit hohen, alten Bäumen bewachsen und an anderer wieder spross grünes, saftiges Gras. Sie stellten ihre Wagen ab und bestaunten die ungewohnte, doch schön anmutende Gegend. Dort verabschiedete Charlie sich mit dem Einsammeln seiner letzten Rate, die er sich als Treckführer verdient hatte und niemand von ihnen bekam ihn jemals wieder zu Gesicht.
„Welch fabelhafte Gegend!“, rief Friedrich und schaute sich um. „Dort, direkt am Ufer, will ich meine Kirche haben!“
Luise hakte sich bei ihm unter und lächelte. „Wir haben es geschafft!“
„Ja!“ Ungewohnt herzlich drückte ihr Mann sie an sich. „Wir sind dort, wo wir hin wollten! Wir besitzen ein eigenes Stück Land, auf dem wir unser Haus bauen können und wo wir den Rest unseres Lebens verbringen werden!“
„Wir besitzen dieses Land nicht“, warf Hardy trocken und sehr ernst ein. „Wir nehmen es uns!“
Angespanntes, bedrücktes Schweigen trat ein und alle Umstehenden beäugten ihn abschätzend. Nur diejenigen, die ihn nicht gehört hatten, lachten und freuten sich weiterhin, am Ziel angelangt zu sein.
Innerhalb von nur einer Woche waren die ersten Häuser fertiggestellt und die ersten Bestellungen wurden zusammengetragen, um zur Bahnstation gebracht zu werden. Diese war von der Missouri-Kansas und Texas-Bahn 1871 erbaut worden, um Kansas und Fort Gibson miteinander zu verbinden. Nur ein Jahr später konstruierte einer der Angestellten eine Weiche zur KATY Eisenbahn, die sie nach Henry Samuel „Bigfoot“ Wagoner benannten. Denn es wurde dringend ein Ort benötigt, wo die Eisenbahnwaggons abgestellt werden konnten, um sie mit Walnussholz zu beladen, das an den Ufern des Grand und Verdigris River wuchs. 1883 entschieden die Kansas und Arkansas Valley Bahngesellschaften schließlich, neue Schienen durch das Gebiet zu verlegen und von diesem Tag an war die bisherige Weiche eine Kreuzung von zwei Schienensträngen geworden. Öfen, Fensterglas, Handwerkszeug, Kleidung – alles, was benötigt wurde, sollte per Eisenbahn angeliefert werden.
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