»Und dieses neue Gerücht von dem unbekannten Nachfahren aus dem Geschlecht der Kronthaler Könige, was hältst du davon?«, fragte Aribald.
Gunar zuckte mit den Schultern. »Es ist ein Gerücht, keiner weiß was Genaues.«
»Und die Elben?«, fragte Aribald weiter.
»Machst du Witze! Die meisten hier fürchten die Elben mindestens so sehr wie den Zauberer. Sie und dieser geheimnisvolle Wald sind es doch, die immer mehr Männer nach anderen Auswegen suchen lassen.«
»Der Wald?«, fragte Aribald verständnislos. »Aber er bietet uns doch Schutz.«
Gunar lachte freudlos. »Wir alle haben mindestens einen Kameraden an den Wald verloren. Zugegeben, das war, bevor wir uns ihm ausgeliefert haben, aber dennoch erinnern sich die Männer noch an jede Handbreit Weg, den wir ihm blutend abgetrotzt haben.«
Aribald nickte. Jetzt verstand er, warum jeder hier lieber einen weiten Fußmarsch in Kauf nahm, um Feuerholz zu suchen, statt sich an einem der Bäume zu vergreifen. In seiner Heimat in den Quellenbergen erzählte man sich auch Geschichten über den Wald, aber die letzten hatte er als Kind gehört.
»Ich habe Elben gesehen«, sagte Aribald unvermittelt.
Gunar bekam kugelrunde Augen. »Gesehen?«, fragte er ungläubig.
»Gesehen«, bestätigte Aribald. »Ich saß mitten unter ihnen. Sie haben meine Wunden versorgt und mich gepflegt. Sie bekämpfen den Zauberer. Sie haben alle seine Gnome getötet und …« Aribald stockte und verzichtete auf die Geschichte von dem weggesprengten Berg. Selbst heute bekam er eine Gänsehaut, wenn er daran dachte. Die Elben waren mächtige Wesen. Sie verfügten über Kräfte, die ihm nicht geheuer waren, und er vermutete, dass es viele Gründe gab, sie zu fürchten. Doch mindestens genauso viele Gründe gab es, es nicht zu tun. Wenn er an die bescheidene Freundlichkeit dachte, mit der sie sich ihm genähert hatten, wurde sein Herz weit.
Gunar sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, als schätzte er ab, ob Aribald wirklich die Wahrheit sagte. Nach einer Weile beschloss er offensichtlich, ihm zu glauben.
»Diese Geschichte wirst du mir bald genauer erzählen müssen. Einstweilen bitte ich dich, dir zu überlegen, ob du diesem Haufen Männer zu etwas Würde verhelfen willst, indem du deinen Stand für unsere Sache in die Waagschale wirfst. Viele wären froh, wenn sie sich unter dem Banner eines großen Herrenhauses einen könnten. Selbst wenn es sich dabei um die Baronie Langwasser handelt.«
Nachdem Gunar ging, starrte Aribald so lange in die Flammen, bis nur noch schwach glimmende Kohlen davon übrig waren.
Früher war er der Baron der Säufer und Verschwender gewesen und jetzt sollte er der Baron der Rebellen und Diebe werden? Wusste Knut von Gunars Vorschlag? War er bereit, seine Führerrolle abzugeben, oder hatten er und Gunar sich gedacht, dass es gut wäre, ein neues Aushängeschild zu haben? Ein letzter Funken Würde verbot Aribald, der Handlanger dieser beiden Männer zu werden. Dann wollte er doch lieber wieder alleine weiterziehen. Mit etwas Glück würde er im Wald alles finden, was er zum Leben brauchte. Er sorgte schließlich für alle Menschen hier wie eine mürrische Mutter.
Zwei Tage vergingen, an denen Aribald weder Gunar noch Knut zu Gesicht bekam. Im Lager ging alles seinen gewohnten Gang. Aribald hatte Glück und fand einige Vogelnester, die er räuberisch plünderte. Die Männer, mit denen er das Feuer teilte, quittierten diesen Fund mit einem anerkennenden Schulterklopfen, denn er bereicherte ihr Nachtmahl. Auch Aribald war zufrieden. Er lag entspannt zwischen den Wurzeln einer großen Eiche und starrte durch ihre jungen Blätter in den Himmel. Zwar hörte er das Hufgetrappel, das einen Kundschafter ankündigte, aber er war viel zu träge und vollgefressen, um sich zu erheben. Was immer der Bote zu berichten hatte, er würde es gewiss noch früh genug erfahren.
Er lauschte dem Flüstern des Windes und dem Rascheln in den trockenen Blättern des Vorjahrs. Seine Gedanken waren frei und sorglos. Müdigkeit lähmte seine Glieder und die Geräusche aus dem Lager vermischten sich mit den ersten Traumbildern, als ihn plötzlich jemand an der Schulter packte und unsanft schüttelte.
»Knut will dich sehn!«
»Was?«, stammelte Aribald verschlafen.
»Jetzt beweg dich halt, dann wirst du’s schon erfahren.«
Aribald stand auf, gähnte und klopfte den Staub aus seiner Hose, ehe er zu Knuts Feuer hinüberging.
Gunar saß dort und unterhielt sich mit einem Mann, dessen Gesicht und Namen Aribald nicht kannte. Zwei weitere Männer, Uribert und Hubert, unterhielten sich ebenfalls. Knut war nicht da.
Als Aribald in den Lichtkreis des Feuers trat, sahen alle auf, und Gunar winkte ihn sofort herbei.
»Gut, dass du kommst. Knut wird auch bald hier sein, er holt nur noch Fergal und Dersthorn.«
Aribald nickte. Die beiden Männer, die Gunar erwähnt hatte, waren Hauptleute wie Uribert und Hubert an den größten Feuern, wo sich hauptsächlich die Krieger aufhielten. Kaum zu glauben, dass alle Männer hier im Heer des Königs als Soldaten eingesetzt gewesen waren, wo doch so viele nur wenig Erfahrung mit Schwert und Bogen hatten.
Kurz darauf erschien Knuts narbiges Gesicht im Feuerkreis. Ihm folgten der Hüne Dersthorn und der drahtige Fergal. Sie musterten Aribald misstrauisch.
»Was tut der da?«, fragte Dersthorn.
»Das erfährst du, wenn es soweit ist«, erwiderte Gunar knapp.
In dem Krug, der herumgereicht wurde, war nur reines Quellwasser, was Aribald klarmachte, wie ernst dieses Gespräch werden würde.
»Jetzt erzähl’s noch mal«, forderte Knut den fremden jungen Mann auf.
»Ich hab sie getroffen«, begann der hastig. Seine Wangen glühten und sein Blick flatterte unruhig hin und her.
»Fang von vorne an, Erich. Keiner hier versteht, wovon du sprichst«, mahnte Gunar ruhig.
Erich nickte. »Ich war unterwegs, um herausfinden, was in jener Nacht geschehen ist, als dieses Licht im Wald war. Ich wollte so nahe wie möglich an Dosdravans Lager herankommen, aber das ist nicht mehr möglich. Es war richtig unheimlich, ich kann das nicht beschreiben. Eigenartig. Und dann habe ich sie gesehen.« Gunar warf ihm einen aufmunternden Blick zu und Erich fügte hinzu: »Die Elben!«
Die Männer am Feuer sahen sich erstaunt, erschrocken und fragend an, aber ehe der Erste eine Frage stellen konnte, machte ihm Gunar auch schon ein Zeichen, zu schweigen.
»Erst dachte ich, ich könnte mich vor ihnen verstecken«, fuhr Erich fort. »Aber einer kam direkt auf mich zu und brachte mich in ihr Lager. Es war ganz nah, aber ich konnte es nicht sehen, bis ich es betrat. Es war wie hinter einem Spinnwebvorhang. Nein, nicht ganz. Es war da und doch nicht da …« Er sah die verständnislosen Blicke der anderen und ließ die Schultern hängen. »Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll«, sagte er zu Gunar.
Aribald wusste, was er meinte. Er erinnerte sich noch an den Ort, der plötzlich da war, ohne dass man ihn vorher sehen konnte, und auch an das Gefühl, durch etwas Spinnwebfeines hindurchzugehen.
»Red ruhig weiter. Wir werden nie alles verstehen, was mit den Elben im Zusammenhang steht.«
Erich holte tief Luft und fuhr dann fort. »Sie haben mich ausgefragt und ich habe ihnen geantwortet …«
»Du hast uns verraten?!«, brüllte Fergal und sprang auf.
»Mein Gott, du bist ja noch hitzköpfiger als Knut«, fauchte Gunar ihn an. »Setz dich sofort hin und hör zu.«
Widerstrebend setzte sich Fergal auf den Boden, aber er sah Erich drohend an.
»Sie wussten, dass wir hier im Wald leben und es schien sie nicht weiter zu stören. Sie wollten wissen, ob ich eine Frau gesehen habe.«
Dersthorn grinste breit. »Schön wär’s«, flüsterte er Hubert zu, der direkt neben ihm saß.
»Und dann baten sie mich, euch zu fragen, ob wir ihnen helfen könnten, diese Frau zu suchen. Es schien ihnen sehr wichtig zu sein.«
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