***
Aribald Langwasser saß mit sieben Männern an einem kleinen Feuer und war zufrieden. Es war eines von etwa fünfzehn Feuern und an jedem von ihnen wärmten sich etliche grimmig aussehende Rebellen. Nach all den Jahren, die Aribald sinnlos vergeudet hatte und die aus ihm weniger als den Schatten seiner selbst gemacht hatten, merkte er nun zunehmend, dass er lebte.
Einst nannte er sich Baron und besaß ein nicht unerhebliches Stück Land in den Quellenbergen. Ein schönes Herrenhaus und ein gut gefüllter Weinkeller gehörten auch dazu, aber in seinem jugendlichen Leichtsinn hatte er zu viele ausschweifende Feste gefeiert und nächtelang Freunde, die er heute nicht mehr kannte, beim Würfeln freigehalten.
Wann er begonnen hatte, schon vor dem Frühstück einen Krug Wein zu leeren, konnte er heute nicht mehr sagen. Genau so wenig, wie ihm die Jahre im Gedächtnis geblieben waren, die er in einem Nebel aus Alkohol zugebracht hatte. Nur verschwommen erinnerte er sich heute an den Fremden, der in sein Haus gekommen war und der ihm, trotz seiner herrischen und unfreundlichen Art, immer willkommen gewesen war, weil er stets einige Krüge guten Rotwein mit sich führte. Aribald Langwasser wusste nicht mehr, was für einen Handel er mit dem Mann eingegangen war, aber nach einem dieser Besuche erwachte er in seinen eigenen Verliesen, an Armen und Beinen gefesselt. Der Nebel, in dem er lebte, bekam damals zum ersten Mal einen Riss und er spürte seinen Körper wieder. Doch nur zu seiner Qual. Tagelang zerrte er an seinen Ketten und brüllte dabei wie ein Tier, bis ihn die Erschöpfung niederzwang und er besinnungslos in seinen eigenen Exkrementen liegen blieb.
Dieser verzweifelten Raserei folgte stille Resignation. Die blutenden Wunden an Armen und Beinen vernarbten und Aribald begnügte sich mit dem abgestandenen Wasser und dem trockenen Brot, das ihm ab und zu hingestellt wurde. Sein vom jahrelangen Alkoholmissbrauch abgestumpfter Verstand ließ ihn nicht einmal mit seinem Schicksal hadern. Regungslos lag er Tage und Wochen da und starrte in das Dämmerlicht. Genauso dämmerig waren auch seine Gedanken. Er schlief, er wachte, aber er nahm nichts von all dem wahr, bis er eines Nachts brutal aufgerüttelt und dann niedergeschlagen wurde. Als er erwachte, war die Luft leichter und es gab Geräusche von fließendem Wasser. Seine Ketten hingen nicht länger an der Wand, sondern waren an einer Schiene am Boden befestigt. Schwerfällig ging er einige Schritte und staunte über die weitläufige Halle, in der er sich befand. Doch plötzlich wimmelte es in der Halle von gebeugten Kreaturen.
Aribald war sich damals sicher, in der Hölle angekommen zu sein, aber auch dies nahm er nur zu Kenntnis, es bewegte ihn nicht. In gewisser Weise war er wirklich tot gewesen und diese Hölle nur ein weiterer Beweis dafür, dass er in seinem Leben alles falsch gemacht hatte.
Teilnahmslos erledigte er die Arbeit, die ihm von den Kreaturen aufgetragen wurde, und nahm die Schläge in Kauf, wenn er sie nicht ordnungsgemäß oder schnell genug durchgeführt hatte. Bis eines Tages ein Engel zu ihm sprach und ihn daran erinnerte, dass er früher mal einen Namen hatte. Und ein Leben.
Ihre Stimme war Trost und sie berührte einen Teil in ihm, von dem er nicht wusste, dass es ihn noch gab. Durch diese Stimme fühlte er, dass er immer noch ein lebendes Wesen war, doch als sie ging, war die Dunkelheit um ihn herum finsterer denn je. Alles, was ihn am Leben hielt, war ihr Versprechen wiederzukommen.
Heute wusste er, dass es kein Engel gewesen war, der mit ihm gesprochen hatte. Als die Elben kamen und ihn aus der unterirdischen Halle befreiten, lauschte er, ob ihre Stimme dabei war. Und obwohl alle ihre Laute wie Musik in seinen Ohren klangen, fehlte ihm doch jene eine.
An dem Tag, als Aribald zum ersten Mal wieder das Licht der Sonne sah, ließ er sein altes Leben hinter sich. Er war hundert Tode gestorben und den Baron von Langwasser, der er einst gewesen war, gab es nicht mehr.
Die Elben hatten ihm ein neues Leben geschenkt und mit dem wollte er nicht so unachtsam umgehen wie mit dem ersten. Er behielt nur seinen Namen als Erinnerung und Mahnung und verließ die Quellenberge, die einst seine Heimat waren.
Seit er wieder in der Gesellschaft von Menschen weilte, merkte er, wie seine Lebensenergie zurückkehrte. Sein Körper erinnerte sich daran, dass er früher einmal kraftvoll gewesen war. Er lernte, das Lachen befreien konnte und ein derber Scherz unter Gleichgestellten Balsam für die Seele war. Selbst die eine oder andere Schlägerei hatte die Wirkung eines Sommergewitters, nach dem die Luft wieder rein und klar war.
Viel Zeit zum Grübeln blieb ihm in dem Rebellenlager, in dem er jetzt lebte, ohnehin nicht. Um die Versorgung einer so großen Truppe zu gewährleisten, war einiges an Aufwand nötig. Die erfahrenen Kämpfer und geschickten Jäger kümmerten sich um das leibliche Wohl, während die anderen – so wie er – im Lager Ordnung hielten, Beeren und Holz sammelten, Zelte flickten und Pfeile schnitzten.
Knut war ein verwegener, hitzköpfiger Anführer. Er konnte die Männer begeistern und auch in schier ausweglosen Situationen noch einen positiven Gedanken finden, der aufmunternd wirkte. Aber bei der nicht abreißenden Schwemme an Notsituationen war es bereits zu einigen Abspaltungen gekommen. Aribald zweifelte nicht daran, dass ohne den bedachten Gunar weit weniger von der Truppe, die im Winter aus der Armee des Königs geflohen war, übriggeblieben wäre.
Gunar war der Mann im Hintergrund und wahrscheinlich der Einzige, der mitten in einem Streit Knut unverblümt die Meinung sagen konnte, ohne dass dieser ihn niederschlug. Zwar hörte Knut durchaus auch auf das, was andere ihm rieten, aber bei keinem gab er dies so offen zu wie bei Gunar. Knut war das Schwert, aber Gunar das Schild, und schon nach kurzer Zeit merkte Aribald, dass die Männer mit ihren Sorgen zu Gunar gingen. Wenn Gunar bei den Feuern saß, so wie jetzt, trank er immer mäßig und mit Bedacht. Genau wie Aribald hörte er nur zu und beobachtete die anderen.
»Du trinkst nie mit den Männern.«
Aribald fuhr zusammen. »Ich habe genug getrunken für dieses eine Leben«, antwortete er. »Mehr als genug.« Dann starrte er ins Feuer und schwieg.
»Dein Name war weithin bekannt dafür.«
Wieder zuckte Aribald zusammen, löste seinen Blick aber nicht aus dem Feuer. »Ein zweifelhafter Ruhm.«
»Wohl wahr«, lachte Gunar rau. »Doch könnten wir alle etwas Ruhm gebrauchen.«
»Ich habe mein altes Leben hinter mir gelassen.« Aribald sah den Rebellen von der Seite an, aber dieser blickte ihm offen in die Augen. »Von dem, was früher mir gehörte, ist mir nur mein Name geblieben, der mich mahnt, nicht zu vergessen, aus welch tiefen Abgründen ich entkommen bin.«
»Keiner hier ist ohne Vergangenheit. Selbst diejenigen, die gerade mal sechzehn Sommer alt waren, als sie dem Heer des Königs beitreten mussten, haben sich damals, bei dem Kampf im Wald, von allem losgesagt und einen Teil ihres Lebens hinter sich gelassen. Was uns hier zusammenhält, ist Angst und ein gemeinsamer Feind. Einen, den alle fürchten.« Gunar lachte. »Auf Dauer wird das für unseren Zusammenhalt jedoch nicht reichen. Erst gestern haben sich wieder einige zusammengetan und sind nach Süden aufgebrochen. Knut ist ein hervorragender Kämpfer, aber er hat mit zu vielen hier zusammen getrunken. Die Männer sehen nicht zu ihm auf. Schon jetzt sind wir nicht mehr als ein Haufen Diebe und werden alle an einem Galgen enden.«
Aribald hörte zu. Er ahnte, worauf Gunar hinauswollte, aber er konnte ihn weder unterbrechen noch konnte er sich dazu durchringen, etwas dazu zu sagen.
»Wir haben Kundschafter, die uns berichten, dass sich die Kirche auf einen Krieg vorbereitet. Manche sind der Meinung, wir sollten uns ihnen anschließen. Knut ist dagegen und auch ich halte nichts davon. Der Heilige Vater in Eberus hat schon oft gezeigt, was er mit Verrätern macht.«
Читать дальше