»Wie ich schon sagte, ist es wichtig«, wandte sich Herold an die Hakennase. »Das Eigentum des Herzogtums Oldenburg ist zerstört worden.«
Nun wurden die Wachmänner hellhörig.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine die Nordmühle. Jemand hat sie zerstört und wir sind hier, um über das Ausmaß des Schadens zu berichten.«
Hakennase fasste sich ans Kinn.
»Hm, ohne Termin kann ich euch auf keinen Fall vorlassen. Aber etwas so Schwerwiegendes muss natürlich berichtet werden. Ich werde einen Rathausdiener losschicken. Der soll zusehen, dass irgendein Amtsmann euch anhört. Wartet hier.«
Er drehte sich um, lehnte sich gegen die solide Tür bis diese aufschwang und betrat das Rathaus.
Ratsherr von Zölder saß an seinem Schreibtisch und ging die Liste der städtischen Einnahmen vom letzten Monat durch. Er verglich sie mit den Listen der Vormonate. Vielleicht ließ sich an der einen oder anderen Stelle zukünftig noch mehr herausschlagen. Seite um Seite blätterte er um, fuhr mit dem Zeigefinger an den aufgelisteten Fällen entlang und schaute sich die dazugehörigen Beträge an. Aber ihm fiel einfach keine Möglichkeit ein, seine persönlichen Einnahmen, die neben einigen Privilegien 45 Reichstaler jährlich betrugen, noch weiter zu erhöhen. Die Stirn voller Konzentrationsfalten flog der Blick fortwährend von einem Blatt zum anderen.
Als er nach etwa zehn Minuten das Ende einer Seite erreichte, hielt er inne. Er raufte sich die restlichen grauen Haare, die sich links und rechts von seiner Glatze befanden. Warum eigentlich musste er sich über solche Dinge noch Gedanken machen? Wollte er nicht schon längst so weit sein, dass er sich in einen Sessel zurücklehnen und bedienen lassen konnte? So weit, dass er das Sagen hatte und alle auf ihn hören mussten? Dass er nicht ganz nach oben kommen konnte, war ihm klar. Schließlich konnte er ja nicht Herzog werden. Doch zumindest zum Bürgermeister hätte es für ihn, Barthel von Zölder, ja wohl schon reichen können. Aber so lange er es noch nicht war, musste er nach Wegen suchen, dorthin zu kommen, und dafür konnte es nicht schaden, so viel Geld anzuhäufen, wie es nur ging. Nicht zuletzt weil die Zuwendung von Barschaften an die richtigen Stellen seinem bisherigen Karriereweg nicht geschadet hatte.
Gerade wollte er mit dem verdrießlichen Schaffen fortfahren, als es an der Tür klopfte. Zum Glück, jede Ablenkung war ihm jetzt recht. Er klappte die Mappe mit den Listen zu, setzte sich aufrecht hin und machte ein Gesicht wie jemand, der ungern gestört wurde.
»Ja, bitte«, rief er in einem ebensolchen Tonfall.
Einer der Rathausdiener trat ein. Wie hieß er noch: Hans, Hannes, Johannes? Sei’s drum , warum sollte er sich die Namen dieser Leute merken? Wichtig war, dass sie den seinen wussten.
»Bitte verzeihen Sie die Störung, Herr von Zölder«, sagte er kleinlaut.
»Ja, ich hoffe für dich, dass du einen gewichtigen Grund dafür hast.«
Dem Rathausdiener war anzusehen, dass ihm nicht wohl war in seiner Haut. Von Zölder musste innerlich grinsen. Es war ja so einfach, diese Leute einzuschüchtern.
»Der liegt vor, denke ich.« Der Rathausdiener klang, als hätte er einen Kloß im Hals. »Draußen stehen zwei Männer, die einen Amtsmann sprechen möchten.«
»Wenn sie keinen Termin haben, bring sie zu irgendeinem Schreiber. Das ist doch wohl kein Grund, mich bei der Arbeit zu stören.«
»Das wollte ich ja. Aber die Schreiber sind nicht zugegen.«
»Nicht zugegen? Ja, und was soll ich dann daran ändern?«
Der Rathausdiener betrachtete ausgiebig die Spitzen seiner Schuhe.
»Nun ja, ich dachte, dass Sie vielleicht ...«
»Was erlaubst du dir? Ich habe viel zu tun und kann nicht einfach irgendwelche Trottel empfangen, die keinen Termin haben.«
»Das hat der Wachmann ihnen auch schon erklärt«, beeilte sich der Rathausdiener zu erwidern. »Aber dann erzählten sie von einer Zerstörung der Nordmühle und, dass sie von dem Schaden berichten wollen.«
»Die Details interessieren mich nicht«, schnauzte von Zölder. »Scher dich aus meiner Amtsstube hinaus.«
»Jawohl, Herr von Zölder. Ich bitte um Entschuldigung für die Störung.«
Der Rathausdiener drehte sich um und bewegte sich in Richtung der Tür.
Die Nordmühle. Irgendetwas assoziierte von Zölder mit der Nordmühle. Was war noch damit? Ach, stimmt ja!
»Die Nordmühle sagst du?«, rief er dem Rathausdiener hinterher, der gerade die Tür schließen wollte. Er öffnete sie wieder und kam zurück in die Amtsstube.
»Ganz recht.«
»Wird die nicht von der Familie Riekhen bewirtschaftet? Und die wurde zerstört?« Ein Grinsen legte sich auf von Zölders Gesicht. »Nun, die Zerstörung vom Eigentum des Herzogtums ist natürlich eine wichtige Angelegenheit. Schicke sie zu mir rein.«
Der Rathausdiener guckte irritiert, wandte sich aber der Tür zu, um den Befehl auszuführen, als von Zölder etwas ergänzte. »Aber lass sie erst eine Stunde warten.«
Noch eine ganze Weile nachdem der Rathausdiener gegangen war, grinste von Zölder vor sich hin. Weiterhin grinsend legte er dann die Mappe mit den Listen der Einnahmen in die oberste Schublade des Schreibtisches und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
Von Zölder schreckte vom Klopfen an der Tür hoch. Er musste kurz eingedöst sein. Mit weit aufgerissenen Augen schüttelte er den Kopf. Jetzt wäre kaltes Wasser nicht schlecht, um munter zu werden. Es klopfte ein zweites Mal.
»Ja doch, herein bitte«, rief von Zölder ungehalten.
Bevor die Tür aufschwang, ergriff er hastig den Federkiel und legte vor sich auf den Schreibtisch ein Blatt Papier mit Notizen. Keine Sekunde zu früh, denn im nächsten Moment trat ein hakennasiger Wachmann ein, gefolgt von zwei jungen Männern und einem weiteren Wachmann, der so stark schielte, dass einem vom Anblick schwindelig werden konnte.
Das waren also Riekhens Söhne. Der Ältere hatte eine wahrlich hünenhafte Gestalt. Bestimmt zwei Meter groß, breit wie ein Schrank, Arme wie Baumstämme mit bratpfannengroßen Händen, doch der Gesichtsausdruck war sanft und besonnen. Er sah seinem Vater ganz und gar nicht ähnlich. Anders der jüngere Sohn, der ein Abbild seines alten Herrn war: klein, eher schmächtig und mit einem wilden, temperamentvollen Blick. Sogar die Haare ragten ihm lang und lockig ins Gesicht, ebenso wie es die seines Vaters früher taten.
Na, dachte von Zölder, dann kann der Spaß ja beginnen.
Er bemühte sich, so streng zu gucken, wie es ihm nur möglich war.
Eine und eine halbe Stunde hatten Jacob und Herold gewartet. Davon hatten sie eine Stunde in einer muffigen, kleinen Kammer ohne Fenster gestanden, bis Hakennase sie schließlich wieder abholte. Jacobs Kehle war ausgedörrt und seine Geduld längst aufgebraucht. Langes Warten war nichts für ihn.
Als sie ihnen durch die Flure folgten, konnte er das Gespräch der Wachmänner hören, obwohl sie nur flüsterten.
»Dieses Mal gehst du zuerst zu diesem Ekelpaket in die Amtsstube«, raunte Hakennase.
»Das könnte dir wohl gefallen«, erwiderte der Schielende ebenso leise. »Aber das kannst du gleich wieder vergessen.«
»Warum soll ich immer derjenige sein, der sich von ihm zusammenscheißen lassen muss?«
»Von ‚immer‘ kann gar nicht die Rede sein. Als wir die Nachricht über den Fund der dritten Leiche überbringen sollten, war ich es, der sich von ihm ausschimpfen lassen musste, weil er angeblich erst so spät davon erfuhr. Nein, nein, du hast in dieser Angelegenheit angefangen und du führst es auch zu Ende.«
Hakennase schimpfte leise vor sich hin.
»Was ist eigentlich mit dieser Leiche? Weiß man darüber schon etwas Neues?«, fragte Schielauge.
Hakennase unterbrach sein Schimpfen.
»Woher soll ich das wissen?«, gab er muffelig zurück.
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