1 ...8 9 10 12 13 14 ...31 Editha räusperte sich verunsichert.
»Äh ... mein Name ist Editha Riekmüller. Ich bin die Vermieterin der Wohnung.«
Nun sah er sie flüchtig an und fuhr dann gleich mit der Betrachtung des Hauses fort.
»Schön, schön. Kann ich mir die Wohnung jetzt mal ansehen?«
»Äh ... ja, folgen Sie mir bitte.«
Sie führte den komischen Kauz durch den Hausflur und die Treppe hinauf in den großen Raum, dessen Zustand nicht verändert war, seit sie hier aufgeräumt hatte. Die Möbel warteten immer noch darauf, in die Mitte gerückt zu werden, damit das Zimmer renoviert werden konnte. Dafür brauchte sie Hilfe, die sie bisher nicht hatte. Mit der Renovierung wollte sie ohnehin erst beginnen, wenn sie einen Mieter hatte: Je später sie das Geld investierte, desto besser.
Der Kauz lief durch den Raum, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, betrachtete die Wand, sah aus dem Fenster und nickte fortwährend vor sich hin.
»Das soll das Wohnzimmer werden«, begann Editha. »Das wird selbstverständlich noch reno...«
»Wo ist das Bad?«, unterbrach er sie.
Vielleicht sollte sie einfach gar nichts mehr sagen, dachte Editha.
Sie drehte sich um und schritt Richtung Badezimmer voran, der Kauz kam hinterher. Dort angekommen wiederholte sich die Prozedur von vorher, ebenso im Schlafzimmer und in dem Raum, der die Küche werden sollte. Editha verzichtete auf irgendwelche Erklärungen und hoffte, dass das bald vorbei war. Diesen komischen Typen wollte sie als Untermieter eigentlich gar nicht haben.
»Wie hoch soll die Miete sein?«, fragte er schließlich.
Editha nannte ihm einen Betrag, der weit über das hinausging, was sie den anderen Interessenten gesagt hatte. Er nickte wieder, dieses Mal mit geschlossenen Augen. Eine ganze Weile.
»In Ordnung, ich nehme sie.«
Editha war verdutzt. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet.
»Äh ... ja, aber«, stotterte sie. »Ich ... äh ... muss mir in Ruhe überlegen, für welchen Interessenten ich mich entscheide.«
Der Kauz kehrte ihr den Rücken zu und ging die Treppe hinunter.
»Ich melde mich Anfang nächster Woche bei Ihnen«, sagte er. »Bis dahin werden Sie sich ja wohl entschieden haben.«
Er verließ das Haus. Die Haustür ließ er offenstehen.
»Von diesen Bedingungen, von denen ich gehört habe, haben Sie mir vorher aber nichts gesagt! Das ist eine Ungeheuerlichkeit, ja, eine Unverschämtheit.«
Im nächsten Moment hörte Editha den Freiton. Verwundert sah sie das Telefon an, als hätte dieses sich merkwürdig benommen und nicht der Mietinteressent, den sie gerade angerufen hatte. Was war denn in den gefahren? Was meinte der mit »Bedingungen«? Und wo hatte er davon gehört?
Na ja, jedenfalls konnte sie diese Reaktion getrost als Absage interpretieren. Und damit hatten, bis auf den komischen Kauz, alle Interessenten abgesagt. So wütend war dabei allerdings nur der letzte gewesen. Die anderen hatten einigermaßen plausible Begründungen parat: Die Lage gefiel nicht, die Zimmeraufteilung erschien ungünstig oder die Wohnung sagte allgemein nicht zu. Als wahren Grund vermutete Editha, dass sie mit dem Preis vielleicht zu hoch rangegangen war.
Die Zeit lief ihr davon. Sie würde halt den Kauz als Mieter annehmen. Schließlich sollte er ja nicht mit ihr in den gleichen Räumen leben. Die Miete, die er bereit war zu zahlen, würde sie für manches entschädigen. Sie hoffte, dass er sich allmählich meldete, damit alles unter Dach und Fach gebracht werden konnte. Dann musste sie die Renovierung wohl doch bald starten.
Den ganzen Vormittag über hatte Jacob bei der Arbeit in der Mühle die Zähne zusammengebissen. Die Schmerzen durch die Blessuren vom Vorabend machten ihm ziemlich zu schaffen, aber er wollte sich nicht vorwerfen lassen, dass er nicht ordentlich arbeitete. Besonders der Rücken tat ihm höllisch weh, dort wo er in der Schenke gegen den Pfeiler geprallt war. Zum Glück war heute Friedhelm da, um sich seinen Tagelohn zu verdienen. Dann fiel es wahrscheinlich nicht auf, wenn er sich zwischendurch eine Pause gönnte.
Die Mittagspause verbrachten sie draußen. Es war ein warmer Märztag, der die Hoffnung auf den Frühling stärkte. Sie setzten sich auf größere Steine am See und aßen ihre Brote.
Jacob bemerkte irgendwann, dass Herold ihn betrachtete, und sah ihn deshalb fragend an.
»Du hast Schmerzen durch diesen Vorfall gestern Abend?«, fragte Herold.
Er hatte es also doch mitbekommen. Jacob erwog, ihm von dem Überfall beim Lappan zu erzählen, es fiel ihm dafür aber kein Grund ein.
»Viel mehr Kopfschmerzen bereitet mir eigentlich immer noch das, was dieser Kerl gesagt hat. Was sollte das bedeuten?«
Herold wandte den Blick ab und kaute weiter sein Brot.
»Was meinst du?«, brachte er endlich zwischen zwei Bissen hervor.
»Du weißt doch genau, was ich meine.« Das Thema regte Jacob auf. Er musste aufstehen. »Er sagte, uns wäre irgendwas geblieben, das er uns auch wegnehmen will. Was sollte das heißen?«
Herold kaute wieder eine Weile, bevor er antwortete, den Blick auf einen Punkt auf dem See gerichtet.
»Gar nichts.«
Jacob fehlten die Worte. Hier stimmte etwas nicht. Herold sah ihn sonst immer an, wenn er mit ihm sprach und nun sah er geradezu angestrengt weg. Jacob wusste nicht, warum ihn dieses Thema so aufregte. Vielleicht, weil Herold für gewöhnlich so ehrlich war und man ihm an der Nasenspitze ansah, dass er gerade etwas verschwieg.
»Gar nichts? Und wieso bist du dann so merkwürdig?« Jacobs Stimme wurde lauter.
Jetzt sah Herold ihn grimmig an.
»Dieser Kerl hat Unsinn geredet. Er wurde von mir gedemütigt, und er wollte es mir heimzahlen, mehr nicht.«
Jacob musterte ihn. Stimmte das? Oder wich Herold ihm nur aus?
Friedhelm begriff mit seinem begrenzten Verstand nicht, was los war. Einen großen Bissen Brot in der Backe sah er staunend vom einen zum anderen.
»Mit deinen Schmerzen musst du heute nicht weiter in der Mühle arbeiten«, sagte Herold. »Wir brauchen noch einige Lebensmittel. Heute ist Markttag. Geh‘ du hin und mache unsere Besorgungen.«
Friedhelm fing an zu grinsen.
»Oh ja, darf ich mit?«
»Dich brauche ich hier.«
Herold steckte den letzten Bissen in den Mund, stand auf und ging wieder zur Mühle rüber. Friedhelm machte ein muffeliges Gesicht und folgte ihm. Jacob blieb noch kurz sitzen und sah ihnen nach.
Wahrscheinlich hatte Herold recht: Rosas Bruder war einfach nur in seinem Stolz verletzt gewesen und hatte irgendeinen Unfug dahergeredet.
Als Jacob mit dem Sack voller Lebensmittel vom Markt kam, ging er nicht in die kürzere Achternstraße, um direkt nach Hause zurückzukehren, sondern in die Langestraße, und bog hinter dem Rathaus gleich wieder ab. Er wollte noch zur Nikolai-Kirche, um Pastor Gabriel zu besuchen. In seiner Hasenfelltasche befand sich neben den Schreibutensilien die Arbeit der letzten Tage. Dazu wollte er gerne die Meinung des Pastors hören.
Wenn man es genau nahm, war der Pastor sein einziger Freund. Friedhelm war zwar auch so etwas wie ein Freund, aber ihn konnte er nicht richtig zählen, denn er war geistig zurückgeblieben. Der Pastor jedoch war ein Mann mit Verstand. Und vor allem jemand, dessen Meinung für sein Schreiben sehr wertvoll war, denn er war schließlich Mitglied der Literarischen Gesellschaft Oldenburgs. Zu diesem erlauchten Kreis würde Jacob wohl nie gehören.
Er trat durch die stets geöffnete hölzerne Tür in die Kirche ein und ging in der Mitte durch die Reihen der Bänke hindurch. Er musste kurz an Rosa denken, weil er sie hier das erste Mal gesehen hatte. Bei der Tür zur Schreibkammer klopfte er an und betrat nach der Aufforderung das kleine Zimmer.
»Ach, du bist es«, sagte der Pastor, der an seinem Schreibtisch saß. »Ich bin gleich für dich da.«
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