Ihr Mann Jürgen hatte ihr, da sie immer alles miteinander besprachen, den einen oder anderen Tipp geben können, denn er war immerhin Leitender Kriminaldirektor in einer Hansestadt gewesen. Berufsbedingt war seine Arbeitsweise stets gut strukturiert gewesen. Er sammelte Fakten, Informationen, Hinweise, dachte über Motive nach, analysierte Zusammenhänge, studierte Tatortberichte, sprach mit Sachverständigen und musste all dies so ordnen, dass er irgendeinen Sinn erkennen konnte. Das hatte er vor seinen Beförderungen im realen Kripoalltag getan, viele Erfahrungen gesammelt, aber auch in etliche seelischen Abgründe blicken können. So etwas sah er auch bei seinem Schwiegervater, aber den hatte er damals nicht heiraten wollen, sondern Renate. Es war ein harter Kampf um sie gewesen, denn seine Frau war in jüngeren Jahren eine Schönheit gewesen, von der man selbst heute noch etwas sehen konnte. Ihr hingen damals ganze Gruppen von Verehrern an den Röcken. Jürgen Fuchs war aber nicht bloß ziemlich intelligent, sondern auch sehr hartnäckig. Letztlich hatte er das Rennen gemacht und wenn er es heute ehrlich einschätzen sollte könnte er aus vollem Herzen sagen, dass die vielen gemeinsamen Jahre trotz aller Tiefen und Höhen für ihn ein großer Gewinn gewesen waren. Er würde seine Renate heute noch einmal heiraten. Ihre drei Söhne waren gut geraten, die Familie hielt zusammen. Gemeinsam würden sie diesen Plagegeist an der Spitze der Sippe irgendwie zur Strecke bringen, natürlich nur mit friedlichen Mitteln. Fürs erste erstellte er sich eine Aufgaben- und Rechercheliste.
Jürgen Fuchs hatte wieder Blut geleckt. Seit seiner Pensionierung und auch in den letzten Jahren als Kriminaldirektor hatte er keinen richtigen Fall mehr bearbeitet. Er fühlte sich jetzt wie vor 30 Jahren, als er irgendwelchen, ihm vollkommen unbekannten Kriminellen auf der Spur gewesen war. Diesmal kannte er das Zielobjekt genau: es war sein Schwiegervater.
Henriette und Klaus-Rüdiger von Schwarzbach
"Natürlich werden wir deinem Vater unsere besten Wünsche zu dessen runden Geburtstag persönlich überbringen, das ist doch wohl selbstverständlich, mein Schatz" sagte Klaus-Rüdiger von Schwarzbach zu seiner Frau "und es sollte doch ein angemessenes Geschenk sein."
"Das wird nicht ganz so einfach werden, mein Liebling" erwiderte seine Frau "wir stecken schon wieder einmal ziemlich tief im Dispo. Vielleicht solltest du deine Besuche auf der Pferderennbahn einmal für eine Weile einstellen. Oder du trennst dich von deinem Oldtimer."
"Beides sind ungebührliche Vorschläge, Henriette. Ein von Schwarzbach fährt standesgemäß zum Rennen vor. Außerdem gehe ich davon aus, dass dein Vater nicht mehr das ewige Leben haben wird, und dann könnten wir ja eventuell mit einer finanziellen Spritze rechnen. Nun, ich will es nicht beschreien, aber bei unserem letzten Treffen erschien er mir schon etwas hinfällig. Vielleicht macht er es nicht mehr lange."
"Das sind böse Worte, Klaus-Rüdiger. Er ist mein Vater."
"Der dich zu seinem 85igsten Geburtstag vor allen gedemütigt hat. Und mich mit. Und das vergesse ich ihm nicht. Dieser alte Sack beherrscht nicht einmal die Regeln des menschlichen Anstands. Aber weil alle auf sein Vermögen scharf sind, schlucken sie alles runter und ducken sich weg. Gut, er hat uns vor 30 Jahren mal 10.000 D-Mark geschenkt. Aber so wie ich ihn kenne, war das doch eine Idee von seinem Steuerberater gewesen. Vielleicht ist das als Spende deklariert worden. Diesem raffgierigen Kerl traue ich alles Schlechte zu."
"Bedenke doch bitte, dass er in seinem Leben viel durchgemacht hat. Als halbes Kind musste er noch in den Krieg ziehen. Das hat ihn sicher traumatisiert und könnte so manche unbedachte Äußerung erklären."
"Aber dass er uns allen beim letzten Familientreffen ausgerechnet zum Essen von seinen Kriegserlebnissen erzählt hat, das war schon ein starkes Stück. Ich habe mir jedes Wort gemerkt, weil ich so schockiert gewesen bin. Ich will dir das noch einmal in Erinnerung rufen. Er hat wörtlich gesagt: "Und dann bin ich mit 16 noch zum Volkssturm geholt worden. Zusammen mit nem Schulkumpel hab ich in nem Schützengraben gestanden. Der Rudi hatte ne alte Jagdflinte, ich ne Panzerfaust und ne klapprige Pistole mit drei Schuss Munition. Da kommt so ein T 34 angefahrn. Ich peile den mit der Panzerfaust an und drücke ab. Es kracht mörderisch, das Ding bleibt stehen, fängt an zu qualmen, die Luken gehen auf, und zwei Kerle kommen aus dem Panzer raus. Die brennen und schreien wie am Spieß. Mein Kumpel will sich das Theater genauer ansehen und kuckt aus dem Schützengraben raus. Wutsch, er kriegt ne Kugel in die Rübe, und mir spritzen sein Blut und Gehirn ins Gesicht. Ich schaue mir meinen Kumpel an und dem seine Birne is zur Hälfte weg. Das Zeug in seinem Schädel sah so n bisschen aus wie der Schweinebraten dort, so von der Farbe her. Dann kuck ich mir die toten Russen an. Die sind so verschmort, wie die Kruste hier auf den Hühnerbeinen. Na ja, dann bin ich abgehauen."
"Klaus-Rüdiger, bitte. Ja, es war schlimm. Seitdem esse ich keine Hühnerbeine mehr."
"Ich will dir eins sagen, Henriette, dein Vater ist nicht traumatisiert, er ist ein Perverser. Da kommt auch seine Lust her, andere vor allen anderen Gästen zur Sau zu machen. Der sollte mal von einem Gehirnklempner untersucht werden."
Klaus-Rüdiger von Schwarzbach war eigentlich schon immer chronisch pleite. Vermutlich lag das auch an seiner Herkunft, denn er war elternlos aufgewachsen. Man hatte ihn als frischgeborenes Baby vor einem Krankenhaus einfach in einem Körbchen abgestellt und seinem Schicksal überlassen. Zu seinem Namen war er gekommen, weil er in dem katholischen Waisenhaus "Am Schwarzbach" aufgewachsen war. Die herzensguten Nonnen hatte den Jungen ins Herz geschlossen, und ihm seinen dem damaligen Zeitgeist entsprechenden Namen gegeben. Im Heim hatte man ihm eine gute Bildung angedeihen lassen. Er hatte sich nach dem Abitur für ein Studium der Germanistik mit der Spezialisierung auf die altdeutsche Sprache entschieden. Schwarzbach liebte es, über die so zwischen den Jahren 750 und 1050 gepflegte Sprachform zu sinnieren. Er war dann in einem Institut untergekommen, in welchem weiter daran geforscht wurde, ob man dieses oder jenes Wort mit "ae" oder "ä" oder statt "ss" mit "sz" schreiben sollte. Die Diskussionen darüber hielt er für hochstehenden wissenschaftlichen Meinungsaustausch. Leider wurde seine Tätigkeit ziemlich mies vergütet, was eigentlich nicht zu seinen Ansprüchen an eine angemessene Lebensführung als Akademiker passte. Schwarzbach kannte einen vermutlich sehr wahren Spruch: Wer nichts erheiratet oder ererbt, bleibt arm, bis er sterbt. Erben konnte er von seinen Eltern nichts, weil er keine hatte. Jedenfalls war nicht bekannt, wer seine Eltern waren. Also musste er sich auf dem Heiratsmarkt umsehen. Er hatte durch seine Ausbildung einen sehr umfassenden Wortschatz erworben, besaß angenehme Umgangsformen, und sah gut aus. Obwohl er kein Logiker war, verfügte er doch über eine gewisse Bauernschläue, und legte sich einen Plan zurecht. Er musste ein Elternhaus finden, welches gut situiert war, so dass er mit finanzieller Unterstützung rechnen konnte. Die Firma "Anton Bockelmüller Bau GmbH" schien ein geeigneter Kandidat zu sein, denn deren Fahrzeuge und Arbeiter sowie die Firmentafeln sah er sehr oft in der Gegend. Er fand auch heraus, dass der Inhaber vier Töchter hatte, die damals allesamt noch unverheiratet waren. Da er immer knapp bei Kasse war, verfügte Schwarzbach nur über ein Fahrrad, aber das hinderte ihn nicht, damit den Umkreis des Wassergrundstück dieses Bockelmüller zu erkunden. Die gesamte Familie schien im Sommer ab Samstag bis Sonntagabend dort zu wohnen. Zum Grundstück gehörte ein Bootssteg, und dort lag ein motorgetriebenes Kajütboot. Daneben war von der Firma Bockelmüller selbst ein etwa drei Meter breites Stück Sandstrand von gut 10 Meter Länge vor der Uferböschung angelegt worden. Wie das hatte genehmigt werden können war Schwarzbach ein Rätsel, aber offensichtlich verfügte dieser Bockelmüller über beste Kontakte zur Politik und den Behörden.
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