Sie müssen sich dem stellen, was Sie nervös macht.
„Na gut“, gebe ich nach. „Gehen wir.“
Samstagmittag gibt es im Dalriada immer eine Kleinigkeit zu essen und es ist deswegen meist ziemlich voll, aber heute ist der Himmel wolkenverhangen und ab und zu öffnet er seine Schleusen für einen Platzregen, weshalb nicht viele am Strand unterwegs sind. Die Bar ist fast leer, als Izzy und ich sie betreten und wir haben so gut wie freie Wahl bei den Tischen.
Wir entscheiden uns für einen Platz an einem riesigen Erkerfenster mit Blick auf das Meer. Ich bin nervös, das kann ich nicht leugnen. Alleine der Weg hierher war aufregend und ich habe mich mit sinnlosem Geplapper über meinen neuen Roman abgelenkt. Doch jetzt bin ich fast ein wenig stolz, dass ich hier sitze, das Blatt mit den Speisen in der Hand. Zwar verschwimmen die Buchstaben vor meinen Augen, sodass ich nichts lesen kann, aber ich bin hier.
„Was kann ich euch bringen?“ Ein junges, kaugummikauendes Mädchen Anfang Zwanzig steht plötzlich neben unserem Tisch.
Ich kann mir ein lautes Aufatmen nicht verkneifen. Ich hatte wirklich die Befürchtung, dass der Barkeeper von neulich da sein könnte. Was noch eine zusätzliche Herausforderung bedeutet hätte.
„Ich nehme erstmal nur ein Wasser“, beeile ich mich zu sagen. „Wegen dem Essen schaue ich noch.“
„Ich nehme ein Magners Birne und die Suppe des Tages“, meint Izzy schnell entschlossen.
Suppe des Tages! Es wäre zu einfach gewesen das zu sagen, dafür muss ich nicht mal die Karte lesen können. Aber anstatt dem gelangweilt kauenden Mädchen hinterher zu rufen, dass ich das Gleiche nehme, starre ich weiter auf das Blatt in meinen Händen.
„Zwischen was schwankst du? Vielleicht kann ich dich ja beraten.“
„Ähm… zwischen mehreren Sachen“, lüge ich, mein Herz beginnt zu rasen.
Wieso kann ich Izzy nicht einfach sagen, dass ich keine Ahnung habe, was da auf dem Blatt steht, denn meine Augen spielen mir einen Streich, wie sie es manchmal tun, wenn ich aufgeregt bin. Außerdem fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Dr. Walker hat mir schon mehrfach versichert, dass Sehstörungen bei Panikattacken nicht außergewöhnlich sind, da man in einem Zustand permanenter Anspannung ist. Das verursacht Muskelverspannungen, gerade im Hals- und Kopfbereich. Ich hatte ja eher auf einen Tumor am Sehnerv getippt.
Unauffällig kreise ich mit dem Kopf, schiebe den Kiefer hin und her, um die Verspannung zu lösen. Dabei habe ich das Gefühl, mich immer mehr zu verkrampfen, weil ich nicht möchte, dass Izzy Verdacht schöpft. Auch wenn sie meine beste Freundin ist, will ich sie nicht ständig mit meiner Krankheit belasten. Und als Krankheit sehe ich es, auch wenn Dr. Walker etwas anderes behauptet.
„Ich würde das Panini mit Bacon und Brie nehmen, das ist wirklich gut.“ Eine Stimme hinter mir reißt mich aus meiner Grübelei
Ich drehe mich ruckartig um - und da ist er. Der dunkelhaarige Barkeeper vom letzten Samstag. Er sieht immer noch unverschämt gut aus, das kann ich erkennen obwohl mein Blick verschwommen ist. Mein Herz setzt für einen unangenehmen Moment aus, als würde es kurz stolpern, dann schlägt es ganz normal weiter, wenn auch ziemlich schnell.
„Oh, danke“, murmele ich. „Dann nehme ich das.“
„Cait!“, ruft er der Bedienung zu. „Ein Panini mit Brie.“
Zu meinem Entsetzen steuert er nun zielsicher auf unseren Tisch zu und lässt sich auf einen freien Stuhl neben mir sinken. Jetzt schlägt meine Herz bis zum Hals hoch und ich bin mir sicher, dass ich jeden Moment tot umfalle. Der Mensch, dem ich am Allerwenigsten begegnen wollte, sitzt nun so nah neben mir, dass ich sein Knie an meinem Oberschenkel spüren kann.
„Hi!“, sagt er.
„Hi“, antwortet Izzy, ich nicke nur.
„Wie geht es dir? Dein Magen hat sich hoffentlich beruhigt“, meint er an mich gewandt.
„Mein Magen?“, presse ich hervor. Ich bin überrascht, dass ich doch sprechen kann, wenn auch etwas rau. Aber das ist das Seltsame bei meiner Angst. Ich habe häufig das Gefühl, etwas absolut nicht tun zu können, nur um mich dann selbst eines Besseren zu belehren. „Oh… ja… Mein Magen… Ja, dem geht es mittlerweile wieder gut. Eine kleine Magenverstimmung, mehr nicht.“
„Und ich dachte zuerst, du wärest vor dieser Horde Weiber davongerannt.“ Er verdreht die Augen.
„Vor denen?“ Jetzt bin ich regelrecht empört, sodass ich meine ganz normale Stimme wiedergefunden habe. „Ganz sicher nicht, mir wollten sie ja nicht an die Wäsche. Das wäre dann wohl eher dein Part gewesen.“
Er grinst und fährt sich durch das pechschwarze Haar.
„Solche Anmachen gehören zu meinem Job, das erlebe ich öfter als du denkst.“
„Junggesellinnenabschiede sind immer eine ziemliche laute Angelegenheit“, vermute ich.
„Aber hallo!“, mischt sich nun Izzy in das Gespräch ein. „Schade, dass du meinen verpasst hast.“
Ich konnte nicht hingehen, wegen… Naja, ist ja klar weswegen. Wie ich die Hochzeit überlebt habe, ist mir bis heute schleierhaft, aber ich erinnere mich, dass es einer der grauenvollsten Tage meines Lebens war und das sollte er eigentlich nicht sein, denn ich liebe Izzy und ihren Mann Rory.
„Siehst du, deine Freundin scheint zu wissen, was ich meine.“ Der Barkeeper grinst immer noch, jetzt ein bisschen breiter. „Bei solchen Anlässen sind die Frauen meist ziemlich enthemmt und man bekommt als Barkeeper das ein oder andere unmoralische Angebot. Aber ich hatte schon den Eindruck, als hätten die Mädels dich verschreckt.“
„Warum sollten sie?“, protestiere ich. Gleichzeitig kann ich mir schon vorstellen, welchen Anblick ich geboten habe. Schreckgeweitete Augen, krächzende Stimme… „Ich finde es einfach nur peinlich, wenn manche meinen, sich so aufführen zu müssen. Ich würde mich niemals einem Mann derart an den Hals werfen.“
„Auch nicht, wenn du schon ein bisschen angetrunken wärest?“, fragt er neugierig.
Izzy hüstelt nicht eben diskret. Mit erhobenen Augenbrauen schaue ich zu ihr hinüber. Sie kennt diesen Blick der besagt: „Sag jetzt bloß nichts Falsches!“
„Es ist nicht so, dass ich nicht für Spaß zu haben wäre, wenn ich getrunken habe“, beginne ich.
Wenn ich denn mal trinke , denke ich für mich. Unter dem Einfluss von Alkohol zu stehen macht mir nämlich auch Angst.
„Ich finde nur, dass es etwas Billiges an sich hat, wenn man sich dermaßen an einen Mann ranmacht.“
„Da bin ich ganz deiner Meinung“, sagt er zu meiner Überraschung, dann hält er mir die Hand hin. „Kieran MacLaughlin.“
„Lauren Anderson.“ Ich nehme seine Hand in meine. Sie fühlt sich warm, aber trocken an und sein Händedruck ist kräftig, ohne mir die die Hand zu zerquetschen. „Und das ist meine Freundin Izzy McKenzie.“
Er nickt, dann erhebt er sich so plötzlich von seinem Stuhl, wie er gekommen ist und ruckt seinen Kopf zur Bar hinüber, wo nun ein Pärchen steht und verloren um sich blickt.
„Ich muss dann mal was tun. Man sieht sich.“
„Er ist süß!“, quietscht Izzy leise, als er außer Hörweite ist.
„Das ist er nicht“, antworte ich, trotzdem schaue ich zum Tresen, wo Kieran dem Pärchen zwei Gläser Stout zapft und mit ihnen locker darüber plaudert, dass jemand von der Speyside Brauerei im nächsten Monat bei ihnen zu Gast sein wird, um sich mit den Gästen über ihr Bier zu unterhalten und eine Verkostung anzubieten.
„Er hat sich an dich erinnert und wollte wissen, wie es dir geht Das ist süß.“
„Sich nicht an diesen Auftritt zu erinnern, dürfte wohl sehr schwer sein“, gebe ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme zurück. „Nicht alle Tage rennt jemand fluchtartig aus einer Bar, oder?“
„Als Barkeeper hat er sicher schon Schlimmeres erlebt. Aber er hat sich sofort Sorgen um dich gemacht an diesem Abend.“
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