1 ...6 7 8 10 11 12 ...31 Doch die Bestie war schon hinter ihm. Ihren Atem konnte er an seinen Nacken wahrnehmen. Im nächsten Moment spürte er wie sich zwei kräftige Arme um seine Brust legten und wie er hochgehoben wurde. „Du entkommst mir nicht“, hörte er eine Stimme hinter sich, „du bist mein Allein. Dein Leben liegt in meiner Hand. Was wirst du jetzt tun? Um Hilfe schreien? In diesem Dorf sieht und hört niemand mehr etwas wenn die Sonne untergegangen ist. Sie haben Angst. Angst vor dem, was dich gerade bedroht. Sie werden nicht kommen. Niemand wird deinen Tod bemerken. Nicht einmal deine Eltern. Denn sie kamen zu nah an mein Versteck. Und das hat bis jetzt niemand überlebt.“
Sebi wusste nicht, was es war, doch er hob langsam seinen Blick. Über ihn waren die Baumkronen, die sich dunkel vor dem erleuchteten Himmel abhoben. Es dauerte ein paar Atemzüge bis er in den Blättern etwas erkannte, doch es schauderte ihn: Ein Menschenkopf und daneben ein zweiter.
Sein Blick wandte sich vor Grauen ab, doch um ihn herum sah es nicht besser aus. Überall lagen Körperteile verstreut. Sie gehörten einen Mann und einer Frau. Erst jetzt roch er die Fäulnis und das Blut in der Luft, wodurch er spürte, wie sich sein Magen umdrehte.
Wie konnte solch ein Massaker unbemerkt bleiben? Sebastian verstand es nicht, dennoch zwang er sich die Köpfe noch einmal genau anzusehen.
Es dauerte lange bis seine Augen in der spärlichen Beleuchtung etwas erkannten, doch dann traf es ihn wie ein Blitz: Seine Eltern!
Sein Körper begann zu zittern und die Farbe wich aus seinem Gesicht, bevor er trocken schluckte. „Vater? Mutter?“
Seine Stimme war nur ein krächzender Laut und er spürte, wie Tränen in seine Augen krochen, als erneut diese menschliche Präsenz zu ihm sprach: „Es tut mir Leid.“
So lange hatte sie nun geschwiegen und jetzt wagte sie es erneut zu sprechen. Sebastian konnte diese Unverschämtheit gar nicht fassen, wodurch er spürte, wie sich sein gesamter Körper anspannte und im nächsten Moment begann er wie wild auf das Biest vor sich einzuschlagen. „Was hast du mit ihnen gemacht?! Ich werde dich umbringen! Wo hast du meine Schwester versteckt?! Rück sie sofort raus!“
Seine Schläge waren unkoordiniert und gingen deswegen oft ins Leere, wodurch Sebastian nach einer Weile schwer atmend auch aufgab und das Lächeln auf den Lippen der Bestie zurückkehrte.
Dieses selbstgefällige und siegessichere Grinsen, was Sebastian schon den ganzen Kampf über sah und ihm immer wieder unter die Nase rieb, wie schwach er und wie hoffnungslos seine Gegenwehr doch war.
Aber er war nicht schwach. Er war stark und er würde kämpfen. Solange er lebte, würde er kämpfen. Immer und immer wieder. Dieses Grinsen wollte er ihr aus dem Gesicht schlagen und bevor er diesen Gedanken zu Ende geformt hatte, schnellte seine Faust schon wieder nach vorne und traf.
Es war ein Kinnhaken. Hart und direkt, wodurch der Kopf der Bestie in den Nacken geschleudert wurde und im nächsten Moment die Stille von einem dunklen Knurren durchdrungen wurde.
Als der Kopf in seine Ausgangsposition zurückging, blickte Sebastian in ein rot glühendes Auge, das nur noch töten wollte. Ihn töten. Sie würde ihn dafür bestrafen, dass er sich so gegen sie gewehrt hatte. Dass er es gewagt hatte sie zu schlagen. Und Sebastian würde sich dann wünschen, dass er einfach vorher gestorben wäre. Schon bei der ersten Jagd, bevor er seine toten Eltern gesehen hatte.
Langsam hob sie eine Pranke und hielt den Jungen ohne große Mühe mit einem Arm fest, wodurch Sebastian seine Arme schützen vor sich erhob und zu beten begann: „Bitte lass mich nicht so enden wie meine Eltern. Ich muss doch noch meine Schwester befreien.“
Die Luft wurde von den gewaltigen Klauen durchschnitten. Sebastian wusste, dass er jetzt sterben würde. Er sah seine Eltern, wie sie ihn verließen, als sie der Sache auf den Grund gehen wollten. Diese Bestie war ihr Ziel und sie hatten sie gefunden. Doch auch gleichzeitig mit ihren Leben bezahlt.
Seine Schwester. Er sah sie, wie sie ihn anlächelte. So unschuldig und engelsgleich. Wer würde sie jetzt retten? Niemand wusste mehr von ihrer Existenz. Das Dorf würde sterben. Die Bestie hatte gewonnen.
Als er sich sicher war, dass der tödliche Schlag kommen müsste, kam nichts. Er hatte nur kurz ein Zischen und einen dumpfen Aufprall gehört, wodurch er irritiert seine Augen öffnete und die Arme leicht senkte.
Die Bestie hatte in seiner Bewegung inne gehalten und Entsetzten war in ihr Auge eingebrannt, als erneut das Zischen und der Aufprall folgte, wodurch ein Ruck durch das Monster ging.
Sebastian sah über ihre Schulter zurück und erkannte einen Schatten zwischen den Bäumen, der etwas Längliches in der Hand hielt, wo er etwas hineinlegte und im nächsten Moment erklang erneut das Zischen und kurze Zeit später der Aufprall.
Erst jetzt bemerkte der Junge, dass jemand mit Pfeilen auf den Wolf schoss, der kurz röchelte und Blut spuckte, bevor er den Jungen mit einem Knurren von sich stieß, um sich umzudrehen und auf den Fremden zu zulaufen.
Jetzt flogen die Pfeile in einem schnelleren Rhythmus auf das Biest zu, doch es stoppte keinen Augenblick. Wich nur hin und wieder leicht zurück, doch es kam den Fremden gefährlich nahe.
Sebastian traute seinen Augen nicht. Jemand kämpfte gegen dieses Monster und er hatte ihn damit vorerst vor dem Tod gerettet, doch statt zu fliehen näherte sich Sebastian immer weiter den Kampfschauplatz.
Irgendetwas zog ihn magisch dorthin und er spürte erneut eine fremde Präsenz, die sich in seine Gedanken schlich. Sich viel tiefer in ihn grub und seine Gedanken besetzte, wodurch er nicht mehr Herr über sich selbst war.
Doch es war eine andere Präsenz. Eine viel dunklere, als die menschliche Stimme der Bestie und sie kontrollierte ihn. Eigentlich wollte er weglaufen. So weit ihn seine Füße trugen und seine Schwester suchen. Sie aus der Hölle befreien. Doch er konnte nicht. Man zwang ihn sich den Kampf anzusehen.
Kaum war die Bestie zu nah für die Pfeile zog der Fremde ein Schwert, das silbern unter den Mondstrahlen glänzte. Er ließ sich nicht davon beeindrucken, als sich das Monster auf seine Beine stellte und ihn somit um einige Köpfe überragte. Doch der Mann rückte nicht zurück, sondern nahm eine Kampfhaltung ein und kaum versuchte die Bestie nach ihm zu schlagen, verpasste er ihr einen tiefen Schnitt in der Bauchgegend, die sie kurz schmerzerfüllt aufschreien ließ.
Doch das Monster stoppte nicht in seiner Bewegung und versuchte ihn mit einem Klauenhieb von den Füßen zu reißen, der wurde jedoch durch die Schwertklinge pariert. Sebastian war mittlerweile an dem Ort des Geschehens angekommen, wodurch er seine Stimme erhob.
Er formte Worte, die er sich nicht selbst ausgedacht hatte. Man zwang ihn dazu dies zu sagen: „Hört auf. Das bringt doch nichts. Wer immer du bist, lass meinen Freund in Ruhe! Oder du bekommst es mit mir zu tun!“ Er begriff es nicht und auch der Fremde schien von den Worten verwirrt zu sein. „Was hast du gesagt? Dieses Biest hätte dich getötet! Ist dir das eigentlich klar?!“
Sebi spürte einen Kloß in seinem Hals, als er merkte, dass er einfach nickte. Er fühlte sich wie ein Gefangener im eigenen Körper. Was geschah hier mit ihm? Er begriff es nicht mehr. Niemals würde er diese Bestie als seinen Freund betiteln. Sie wollte ihn doch umbringen.
Seine Füße bewegten sich von selbst, als er sich dem Monster näherte und legte eine Hand auf das struppige Fell des Tieres. „Es ist mein Freund. Er hat es sich nicht ausgesucht ein Monster zu sein, sondern man hat ihn verflucht und ich versuche ihm beizustehen in dieser Zeit. Denn dafür sind Freunde da. Also lass ihn in Ruhe.“
Warum sagte er das? Das empfand er doch gar nicht und sein Geist wurde von der Panik überrannt, als er sein Gesicht in dem Fell des Wolfes vergrub, wodurch dieser langsam wieder auf alle Vier ging.
Читать дальше