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Das Essen wenig später verlief relativ schweigsam. Ich hatte nicht das Bedürfnis zu reden und meine Mutter verstand, dass sie mich zu nichts zwingen konnte. Mein Vater stellte hin und wieder mal eine Frage, die ich mehr oder weniger kurz angebunden beantwortete und dann herrschte auch schon wieder einen Moment Stille und man hörte nur das Kratzen des Geschirrs über die Teller.
„Schmeckt es dir?“, fragte meine Mutter zweimal.
„Hmmh, sehr gut“, machte ich.
„Was isst du denn zu Hause immer?“, wollte sie wissen.
„Das Übliche“, war meine Antwort. Was sollte ich sonst auch sagen.
„Kochst du denn regelmäßig?“, hakte sie weiter nach.
„Mama…“, sagte ich mit ein wenig leidiger Stimme. „Das weißt du ganz genau…“
„Jetzt sei doch nicht immer so“, beschwerte sie sich.
„Hört doch auf zu streiten“, wandte mein Vater ein.
„Wir streiten doch gar nicht“, meinte meine Mutter, aber ihre Stimme war etwas harscher geworden.
„Mama, ich komm schon klar. Mach dir um mich mal keine Sorgen“, beruhigte ich sie und damit war das Thema auch schon vorbei.
„Brauchst du Hilfe beim Abwasch?“, fragte ich sie später.
„Nein, das geht schon. Das macht schon die Spülmaschine.“
„Gut, ich glaube, ich geh‘ dann mal schlafen. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Maia.“
Ich wünschte auch meinem Vater eine gute Nacht und ging dann wieder zurück auf mein Zimmer. Warum fühlte ich mich bei meinen Eltern immer so, als wäre ich auf einmal wieder ein kleines Kind?
Am nächsten Morgen fuhr ich meine Eltern zum Hafen und bereits im Auto machte mich meine Mutter fast wahnsinnig, indem sie ständig wiederholte, was sie alles eingepackt hatte und laut überlegte, ob sie nicht doch irgendetwas vergessen hatte.
„Inge, jetzt mach mal halblang“, sagte mein Vater irgendwann. „Es wird alles gut sein und wenn nicht, landen wir ja auch nicht irgendwo in der Pampa.“
Ich warf meinem Vater einen dankbaren Blick zu, denn er sprach genau das aus, was ich dachte. Danach gab meine Mutter Ruhe, aber ich konnte anhand ihrer Mimik erkennen, dass ihr Gehirn nach wie vor ratterte.
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„So, da sind wir“, verkündete ich ein wenig später – unnötigerweise –, als ich das Auto vor dem Hafenparkplatz abgestellt hatte.
„Schaut mal, wie groß das Schiff ist“, sagte meine Mutter mit ehrlichem Erstaunen. Ich musste ihr recht geben, aber ansonsten schockierte mich das nicht wirklich.
Ich half meinen Eltern beim Ausladen des Gepäcks und wollte mich von ihnen verabschieden.
„Kommst du denn gar nicht mit an den Anleger?“, fragte meine Mutter, fast schon ein wenig traurig. „Herbert, unsere Tochter will uns noch nicht einmal bis zum Schiff begleiten.“
Mein Vater verzog keine Miene.
„Mama, ich muss wirklich arbeiten“, log ich. Insgeheim hatte ich schon gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde und ich hatte keine Lust auf einen sentimentalen Abschied.
„Und du kannst deine alten Eltern wirklich nicht noch bis zum Schiff bringen?“, hakte sie noch einmal nach.
„Mama, wirklich nicht“, sagte ich mit so viel Überzeugung, wie ich aufbringen konnte. Ich wollte eigentlich nur noch weg von diesem Ort, ich wollte meine Ruhe.
„Na gut“, machte sie dann. „Wenn das so ist…“ Ich seufzte innerlich.
Ich breitete die Arme aus, um zu zeigen, dass ich es wirklich ernst meinte und meine Meinung nicht ändern würde. Meine Mutter hatte ein mauliges Gesicht aufgesetzt und als ich sie zum Abschied umarmte, merkte ich einen leichten Widerstand.
Ich drückte auch meinen Vater und deutete einen Wangenkuss an.
„Viel Spaß und schreibt mir eine Karte“, sagte ich und hob winkend die Hand, als meine Eltern Richtung Schiff verschwanden.
„Machen wir“, versprach meine Mutter.
Dann setzte ich mich ins Auto und fuhr wieder davon.
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Ich hatte eigentlich überlegt, dass es meine Eltern nicht merken würden, wenn ich doch nicht die ganzen zwei Wochen immer auf ihr Haus aufpassen würde, aber die Gefahr, dass meine Eltern die Überwachungskameras kontrollieren würden, war mir dann doch zu groß. Außerdem hatte ich ja auch versprochen, dass ich mich um Schnorrbert kümmern würde.
Als ich das Haus meiner Eltern betrat, wurde ich von der Stille empfangen, was allerdings nicht überraschend war. Und trotzdem war es jedes Mal ungewöhnlich, denn ich war es gewöhnt, das Brutzeln einer Pfanne oder das Gurgeln einer Kaffeemaschine oder auch den Ton des Fernsehers zu hören, wenn ich meine Eltern besuchte. Stattdessen stand nur ein erwartungsvoller Schnorrbert in der Tür, der allerdings sofort seine Chance witterte und durch den offenen Türspalt in die Freiheit verschwand. Für einen Augenblick beneidete ich den Kater – und Katzen im Allgemeinen – um ihre Freiheit. Sie konnten machen, was sie wollten und wurden sogar meistens noch dafür belohnt und ihre Dickköpfigkeit und Eigenwilligkeit wurde einfach als Charaktereigenschaft hingenommen, während Menschen sich freiwillig Häuser bauten und darin einsperrten und es belohnt wurde, in einer Gesellschaft zu funktionieren .
Was sollte ich tun? Es gab einfach nichts. Da war schon wieder diese Leere. Damit ich irgendetwas tat, machte ich mir einen Kaffee und setzte mich dann an den Tisch. Leere .
Entspann dich , sagte ich mir. Sieh es als Urlaub. Das Problem dabei: als Freiberufler ist man nie wirklich im Urlaub. Zumindest dann nicht, wenn man überlegen muss, wie man über die Runden kommt. Was sollte ich die nächsten zwei Wochen bloß machen? Ich war noch nie einer von diesen Menschen gewesen, die sich an Vormittagen unter der Woche mit anderen Freiberuflern auf einen Kaffee traf, denn das heißt eigentlich nur, dass man momentan nichts zu tun hat, denn wer hatte schon Zeit für einen Kaffee, wenn man arbeiten musste?
Langsam fragte ich mich wirklich, ob mir die Ideen ausgegangen waren. Ich holte meinen Laptop hervor, machte ihn an und öffnete das Schreibprogramm, allerdings dieses Mal nicht das Dokument L , sondern ein neues. Motiviert schrieb ich Neues Projekt, denn wenn man keine Ideen hatte, konnte man dem Ganzen ja auch keinen richtigen Namen geben, aber sogleich fühlte ich mich produktiver. Nur einen einzigen Gedanken , flehte ich wieder – aber vergeblich. Ich nahm noch einen Schluck Kaffee, damit ich zumindest irgendetwas tat. Dann tippte ich Heldin ist unzufrieden mit ihrem Leben, wünscht sich Tapetenwechsel, will aber an ihrem Leben festhalten.
Zumindest hatte ich irgendetwas geschrieben, auch wenn mir das nicht sehr originell erschien. Ich hatte zwar etwas getan, aber es machte mich unzufrieden. Also versuchte ich es noch einmal: Heldin ist glücklich mit ihrem Leben, erlebt Schicksalsschlag, muss sich wieder neu aufbauen, verliebt sich, wird wieder glücklich. Ja, das war vielleicht schon besser, aber ich hatte keine Ahnung, worin dieser Schicksalsschlag bestehen sollte. Krankheit, Verlust, schlechte Nachricht? Ich wusste, dass ich nicht auf Teufel-komm-raus schreiben konnte, ich brauchte diesen Impuls, diese zündende Idee und dann würde alles schon irgendwie alleine laufen.
Während ich mich selbst bemitleidete, hörte ich ein leises Plong am Fenster und – ein wenig in Gedanken versunken – schreckte hoch. Es war aber nur Schnorri, der offensichtlich von seinem Streifzug zurückgekommen war und nun um Einlass bettelte. Ich tat ihm den Gefallen und öffnete das Fenster.
„Na du“, sagte ich zu ihm, aber er ignorierte mich beziehungsweise ließ es wohl eher über sich ergehen, dass ich ihm einmal über das Fell streichelte, ging dann zu seinem Futternapf, setzte sich davor, schaute zu mir hoch und miaute. Natürlich, was sollte er auch sonst wollen?
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