Heute würde ich es endlich schaffen und bei Nina und Tom vorbeischauen. Gleich nach Feierabend machte ich mich auf den Weg zu ihnen. Ich war schon mächtig gespannt auf den Kleinen. Wem er wohl mehr ähnlich sah und ob er mich mochte? Voller Neugier stand ich nun also vor Ninas Haustür und klingelte. Nichts. Also nochmal. Das Klingeln wurde offenbar durch Max lautes Gebrüll übertönt. Ich griff nach meinem Handy und wählte Ninas Nummer. Kurz darauf öffnete Tom die Tür.
»Ja, doch. Jetzt hast du ihn aufgeweckt und das Ganze Prozedere geht nun wieder von vorne los«, sagte er barsch und der Vorwurf in seiner Stimme war deutlich zu hören.
»Tschuldigung«, murmelte ich kleinlaut, weil mir gerade nichts Besseres einfiel, verstand aber die Aufregung nicht. Tom eilte schon wieder nach oben, denn Max schrie nach wie vor aus Leibeskräften.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer blieb mein Blick in der Küche hängen. Ich erschrak. Dort sah es aus, als wäre eine zwei Zentner schwere Weltkriegsbombe explodiert. So ein Chaos war ich von Nina gar nicht gewohnt. Da die beiden nach wie vor damit beschäftigt schienen, Max zu beruhigen stand ich zunächst unschlüssig im Wohnzimmer und wartete. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich in der Küche schnell den Abwasch machen sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Also zog ich meinen Mantel aus und wärmte mich am Kamin.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Tom und meinte »Nina braucht noch eine Weile. Max ist heute besonders quengelig. Möchtest du etwas trinken?« Es klang mehr nach einer Höflichkeitsfloskel, als nach einer ernst gemeinten Frage. Tom sah gestresst und erschöpft aus.
»Jetzt lass dich erst mal drücken, du frischgebackener Papa. Ich wünsche euch von Herzen alles Gute. Hier habe ich eine Kleinigkeit für Max. Ich hoffe es gefällt euch.« Erwartungsvoll streckte ich Tom das Päckchen entgegen.
»Oh, prima, vielen Dank«, sagte Tom und stellte das Päckchen achtlos zu den anderen Geschenken, die sich bereits im Wohnzimmer stapelten. Er wirkte etwas unbeholfen und ziemlich genervt. Hm, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ein richtiges Gespräch kam irgendwie auch nicht zustande. Nach einer Weile wurde es still und Nina kam völlig erschöpft aus dem Kinderzimmer.
»Hallo Leni« und zu Tom »Endlich schläft er«! Ich gratulierte auch Nina und drückte sie herzlich.
»Tut mir leid, dass ich jetzt erst komme. Geht es dir gut?«, wollte ich wissen.
»Hm, mal abgesehen davon, dass ich schon drei Tage kaum ein Auge zugedrückt habe und außerdem aussehe wie ein zerknautschter Boxer, geht es mir gut. Leni, sei mir nicht böse, aber ich bin total müde. Lass uns einfach für die nächsten Tage nochmal was ausmachen, ok? Am besten du rufst vorher an.«
Etwas zerknirscht stimmte ich zu. Ich hätte ja auch vorher anrufen können, ob es den beiden überhaupt passt. Daran hatte ich irgendwie gar nicht gedacht, sondern hatte es als selbstverständlich empfunden, dass Nina sich über meinen Besuch freuen würde. Ihre genervte Reaktion stimmte mich nachdenklich. Schnell verabschiedete ich mich und ging traurig in Richtung U-Bahn. Der eisige Wind pfiff mir um die Ohren und die Kühle zog mir die Glieder hinauf. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis oben hin und vergrub mein Gesicht in meinem flauschigen Schal. Eine Träne lief mir übers Gesicht. Ich wischte sie energisch weg und damit auch alle schwermütigen Gedanken.
Nichts ist mehr so wie es war
Als ich am nächsten Morgen immer noch schlecht gelaunt ins Büro kam, rief mir unser Praktikant Jan bereits entgegen »Guten Morgen, Leni, Thorsten und Michael möchten dich dringend sprechen«.
»Alles klar«, entgegnete ich, stellte meine Tasche hastig ab und machte mich schnellen Schrittes auf den Weg zu meinen Chefs. Zuerst dachte ich die beiden wären von sich aus auf die Idee gekommen mir eine Gehaltserhöhung anzubieten. Wie falsch ich damit lag, sollte sich in den nächsten Minuten herausstellen.
Arglos öffnete ich die Tür zum Chefbüro. Thorsten und Michael standen beide am Fenster. Sie wirkten angespannt. Das war ihnen an der Körperhaltung deutlich anzusehen. Als ich eintrat, drehten sie sich langsam um und blickten mich mit versteinerter Miene an.
»Guten Morgen, Leni. Setz dich doch erst mal. Möchtest du einen Kaffee?«
»Nur keine Umstände.« Verwundert ging ich einen Schritt auf die beiden zu. Irgendetwas hinderte mich aber daran mich zu setzen. »Kaffee habt ihr mir doch noch nie zu unserer Morgenbesprechung angeboten.« Unsicher trat ich von einem Fuß auf den anderen und sah sie fragend an. »Was ist hier los?«, erkundigte ich mich, denn die Stille machte mich geradezu wahnsinnig.
»Leni, ich weiß gar nicht wie ich es dir sagen soll«, ergriff nun Michael das Wort, »wir haben die Genious Kampagne verloren und nicht nur das, der Südwinkel-Konzern hat all seine Aufträge entzogen und ist zu Hitmacher gewechselt. Das war einer unserer besten Auftraggeber. Allein mit seinen Werbekampagnen war die Hälfte unseres Teams beschäftigt. Nun müssen wir ganz schön hart kämpfen und du weißt ja, es ist nicht einfach am Markt.« Das klang gar nicht gut. Überhaupt nicht gut. Irgendetwas an Michaels Stimme beunruhigte mich und ließ mich innerlich aufhorchen. »Hm«, brummte ich abwartend.
»Leni, was ich dir nun sagen muss fällt mir nicht leicht.«
Ein ungutes Gefühl beschlich mich und mein Magen krampfte sich zusammen. »Du bist eine unserer fähigsten Mitarbeiterinnen, sprühst gerade so vor Ideen, bist ehrgeizig und stets voll bei der Sache, dennoch sind wir gezwungen unser Team zu verkleinern.«
Hörte ich richtig? Was geht hier vor? Das gefiel mir gar nicht. Noch während ich überlegte, hörte ich Michael etwas von betriebsbedingter Kündigung faseln. »Ich stelle dich natürlich frei. So hast du die Chance die nächsten Wochen zu nutzen, um etwas Neues zu finden. Ich bin mir sicher, dass dir die Firmen da draußen zu Füßen liegen werden.« Er unterstrich seine Aussage mit einer ausladenden Handbewegung.
»Aber wie soll das denn hier ohne Assistentin funktionieren?«, startete ich einen hilflosen Versuch meinen Job zu retten. Ich fühlte mich plötzlich unendlich nutzlos. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. Von wegen Familie. Nun räusperte sich Thorsten, der bisher das Gespräch still verfolgt hat.
»Also es ist so, die Projektleiter werden einige Aufgaben selbst übernehmen müssen, wie beispielsweise ihre Reiseplanung und den Rest werden wir mit einer Teilzeitstelle abdecken.«
Hoffnung keimte in mir auf. Es war also doch noch nicht alles verloren.
»Ich reduziere auch meine Stunden. Das ist immer noch besser als ganz auf der Straße zu stehen. Mensch, ihr habt mir ja einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«
Nun setzte ich mich doch an den kleinen runden Besprechungstisch. Meine Beine waren ganz wackelig. Doch bevor ich mich entspannen konnte, ergriff Thorsten erneut das Wort.
»Nein, also es ist so, dass meine Frau aus der Elternzeit zurückkehrt und uns hier stundenweise unterstützen wird. Tut mir wirklich leid, Leni.« Er schaute betreten zu Boden und ich war sprachlos. So lief das also.
»Das ist nicht euer Ernst, oder?«
»Es tut uns wirklich leid.«
Wie in Trance stand ich auf, nahm den Umschlag mit der Kündigung entgegen und ging in mein Büro zurück. Gekündigt. Abserviert. Einfach so. Ich konnte es noch gar nicht fassen. Dürfen die das denn einfach so? Ich wusste nicht ob ich heulen, oder vor Wut platzen sollte. Jan war nicht im Büro, als ich zurückkam. Das war auch gut so. Ich brauchte nun erst einmal Zeit für mich. Noch fünf Wochen Gnadenfrist. Ob das reichte, um mir etwas Neues zu suchen? Nachdem ich meine Sachen gepackt hatte, verließ ich schnell und ohne mich zu verabschieden die Agentur und ging nach Hause.
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