Denise Remisberger
Das ausgewanderte Kreuz
Ein Pfarrer Jacques Krimi
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Inhaltsverzeichnis
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Impressum neobooks
«Es ist ein Rossss entsprungen …»
«Halt, meine Damen, halt. Kein Ross. Eine Rose. Ein Blümchen.»
«Ja, lieber Pfarrer Jacques. Wie aufmerksam von Ihnen», flötete Sabine Pfau, mit den Wimpern klimpernd, nach vorne, wo Pfarrer Jacques gerade die Frauensinggruppe leitete, was ihn reichlich Geduld kostete. Natürlich liess er sich dies in keiner Weise anmerken. Pfarrer Jacques war cool. Doch nicht nur das. Zum Entzücken der weiblichen Gemeindemitglieder war er auch ziemlich gut aussehend: jung, mit leuchtendem Blondhaar, zur Seite gescheitelt, grossen grauen Augen, die an wiedergefundene Murmeln erinnerten, gross, schlank und voller Energie.
«Seit du die Singgruppe der Frauen leitest, Jacques, haben wir einen Anstieg der Anzahl an Gemeindemitgliedern verbucht wie noch nie zuvor», hatte sein Amtsbruder Selri gekichert.
Pfarrer Selri teilte sich mit Pfarrer Jacques, Pfarrer Kinden und der Pfarrerin Rosamunde die Pfarrei Kreis Fünf in der Stadt Zürich, Kirche plus dazugehörige Arbeitsräume, situiert zwischen Disko und Turnhalle. Weder die Disko noch die Turnhalle gehörten zu dieser reformierten Kirche dazu. Die Disko war privat, die Turnhalle staatlich. Morgens nach der Disko lagen jeweils leere Bierdosen im Pfarrgärtchen; von Seiten der Turnhalle kamen tagsüber Bälle aus dem Hof geflogen.
Während Selri das Pfarrbüro organisierte, kümmerte sich Rosamunde um ihre «Drögelis», wie sie die Gruppe Junkies liebevoll nannte, gänzlich übersehend, dass sie mit ständiger Regelmässigkeit von ihren Schätzchen beklaut wurde. Derweil betreute Kinden die Spielgruppe beziehungsweise die Kinderkrippe während der Arbeitszeiten der Mütter und Väter, vor allem der Mütter, da die Väter meist irgendwie abhanden gekommen waren.
Pfarrer Jacques war, nebst der Leitung der Frauensinggruppe, sozusagen im Aussendienst tätig. Er besuchte die Gemeindemitglieder bei ihnen zuhause und sammelte hie und da ein paar neue auf der Strasse ein. Was er oft als «Nachrennen hinter einem abtrünnigen Mitglied seiner Gemeinde» bezeichnete, war in Wahrheit allerdings etwas ganz anderes.
Pfarrer Jacques betätigte sich zwischendurch als Hehler. Er liess wertvolle Reliquien stehlen und verkaufte diese dann weiter an den katholischen Prior Hans-Peter zu Klostern Sankt Gallen, der sie wiederum, doppelt so teuer, versteht sich, an einen nur ihm bekannten kirchlichen Würdenträger, in hoher Position und gesegnet mit Sammelleidenschaft, weiterreichte.
Als nun Prior Hans-Peter ein kleines unscheinbares Buch über ebenfalls kleine und unscheinbare italienische Kirchen und ihre Schätze durchblätterte, sprach ihn ein handtellergrosses Kreuz, aus unbekannten Knochen gefertigt, eingelegt in barock geschwungenes Gusseisen, an, sodass er leuchtenden Auges zum Handy letzten Schreis griff und die eingespeicherte Nummer Pfarrer Jacques’ drückte.
«Hans-Peter, ich gebe gerade Gesangsunterricht.»
«Jacques, es ist wichtig. Das heilige Kreuz ‹Croce Sconosciuta›, das sich in einer Kirche an der Adria befindet. Jacques, ich muss es haben. Jacques, unbedingt. Mein Herz hängt dran.»
«Herz? Was für ein Herz, Hans-Peter? Ich komme morgen vorbei. Um neun Uhr vormittags?»
«Ja, Jacques, bis dann.»
Um sieben Uhr morgens wachte Pfarrer Jacques in seiner Dachwohnung auf, im Ohr noch den letzten Schlag des Konkurrenz-Glockenturms an der Heinrichstrasse.
Eine Stunde später startete er seinen Camper, das einzige Fahrzeug, das er besass und manövrierte ihn aus seinem Innenhof hinaus, bestaunt von all den Fenstern der um den Innenhof quadratisch angeordneten Häuser, vorbei an weiteren nummerierten Parkplätzen und ebenso nummerierten Mülltonnen.
Die Stunde Autobahn bis nach Sankt Gallen liess es sich Pfarrer Jacques mit John Mellencamp gut gehen, in Anbetracht des Treffens im Kloster durchaus notwendig.
«Hans-Peter», rief Abt Cornelius dem durch die Gänge Eilenden hinterher, «du wirkst heute etwas gehetzt. Kann ich dir helfen?»
«Nein, Cornelius, wirklich nicht», beteuerte Prior Hans-Peter und eilte zur Begrüssung des sehnlichst erwarteten Pfarrer Jacques, der gerade entnervt seinen grossen Camper zwischen Untersuchungsgefängnis und Stadthaus abgestellt hatte, da es beim besten Willen keinen anderen freien Parkplatz gab.
Die in schicken Kostümen und Dreiteilern vorbeischreitenden Angestellten des Kantonsgerichts flössten ihm nicht gerade Kamillentee ein, als wenn sie wüssten, was er vorhatte.
«Jacques», umarmte ihn Hans-Peter freudig und zog ihn in sein Kämmerchen hinein, mit Blick auf die Kathedrale.
Hans-Peter holte das unscheinbare Buch mit den unscheinbaren Kirchen aus seiner Nachttischschublade und schlug es auf der mit einem Lesezeichen der Stiftsbibliothek markierten Seite auf.
«Hier, Jacques, das ist es. Dieses kleine hübsche Kreuz, aus Knochen gefertigt.»
«Wessen Knochen?»
«Das ist eben nicht bekannt. Da gibt es natürlich wilde Spekulationen. Die hartnäckigste sagt, dass diese Knochen einem frommen Bischof gehören.»
«Habt ihr denn auch unfromme?»
«Sehr witzig, Jacques. Dir erzähle ich bestimmt zuletzt von unseren Fehltritten. Wie findest du das heilige Kreuz?»
«Handlich zu stehlen, Hans-Peter. Gut zu verstecken.»
«Dann bist du also dabei?»
«Ja, klar, wenn der Preis stimmt?»
«Sicher, Jacques, zehn schöne Tausender?»
«Sonst geht’s dir gut? Ich riskiere einiges. Dreissig schöne Tausender.»
«Jacques, also wirklich. Zwanzig.»
«Fünfundzwanzig.»
«Na gut, dafür aber bald.»
«Nächste Woche werde ich mich auf die Reise nach Italien begeben.»
«Sehr gut.»
«Selri, könntest du die Frauensinggruppe kurzfristig übernehmen? Ich muss einem ausgerissenen Schäfchen hinterher. Ins katholische Tessin. Stell dir vor, das arme Kind ist im Vollsuff über die Alpen gepilgert und weiss nicht mehr, wo es sich befindet. Wahrscheinlich landet es noch in Santiago de Compostela, wenn ich es nicht rechtzeitig finde.»
«O je! Wie schrecklich. Ja, lieber Jacques, geh nur. Viel Erfolg und Gottes Hilfe.»
«Hier gibt es nur unansehnliche Pfeifen. Schau dir mal die Typen an, wie sie schon jetzt, um zweiundzwanzig Uhr zehn, lustlos an der Bar hängen, grausig», flüsterte Mirabelle und verschränkte die Arme vor der Brust, so dass die Kette aus dem Eisenwarengeschäft, die sie an ihre Lederjacke geheftet hatte, leise rasselte.
«Du musst sie halt auch nicht immer gleich mit dem Strand-Kommissar und dem Punk-Kommissar aus dem Fernsehen vergleichen», warf Renate ein, die Hände cool in den Hosentaschen verstaut und zu «Systematic Death» von den «Crass» mit dem Fuss wippend.
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