Denise Remisberger
Mörder im eigenen Dezernat
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Inhaltsverzeichnis
Titel Denise Remisberger Mörder im eigenen Dezernat Dieses ebook wurde erstellt bei
1 1 Der Verstorbene Kaspar Senn sass gerade mitten in der Altstadt von St. Gallen, allerdings in einer ganz anderen Dimension. Er hörte die vorbeieilenden, miteinander redenden Leute nicht wirklich. Auch der Motorenlärm, der vom Oberen Graben her durch die Luft vibrierte, war ihm ziemlich fern. Dafür wurde er von den Gedanken der Menschen akustisch bombardiert, als befände er sich in einem 3-D-Actionfilm. Kaspar war noch nicht lange tot. Vor etwa zwei Monaten wurde er erschossen, als er, gutgläubig, wie er war, freundlich auf seinen Arbeitskollegen Servus Blom zuging. «Es war stockdunkel gewesen und Kaspar hat nichts gesagt. Ich dachte, er wäre ein Bösewicht, der mich umbringen will.» Da Servus Blom ein Drogenfahnder der Kantonspolizei Zürich war, und das seit über zwanzig Jahren, wurde ihm geglaubt. Er verlor weder seine Arbeit, noch kam er ins Gefängnis. Er wurde einfach nach St. Gallen versetzt. Wie wenn ihn die dort gebrauchen könnten. «Es war ein Unfall gewesen», wurde befunden und damit hatte es sich gehabt. Nun aber, im Tod, konnte Kaspar Senn Gedanken lesen. Und die Gedanken des Servus Blom waren nicht nett gewesen, als er gestern über ihm schwebte. «Ich habe dich gekillt, und niemand hat ’s bemerkt, du naive Nuss. Alle mochten dich. Mich mochte niemand. Ha, das hat dir auch nichts gebracht, deine Allseits-Beliebtheit. Jetzt habe ich dieses stechende Gefühl endlich nicht mehr. Weg ist es. Niemand mehr da, um mich im Neid leiden zu lassen.» Kaspar Senn war schockiert gewesen, nachdem er dies vernommen hatte, und erholte sich nun im Ansturm von völlig alltäglichen Kopfstimmen, die vom Einkaufen, Kochen und vom Fernsehprogramm erzählten.
2 2 Auf der Erde, Zeitzone St. Gallen, war es genau 17.00 Uhr. Birke sass zuhause an ihrem Schreibtisch und bannte die Botschaften des verstorbenen Grossvaters einer ihrer Klientinnen auf Papier. Die Klientin lebte in Zürich, schickte ihre medialen Fragen per Post an Birke und erhielt die Antworten schriftlich zurückgesandt.
3 3 Laura Peter, als Vorgesetzte von Servus Blom, hätte ihm gerne alles und jedes verboten, doch sie durfte nicht. Als Drogenfahnder im Dienst hatte er auch Rechte. Zum Beispiel das Recht, ein Arschloch zu sein. Laura Peter fand Servus Blom unglaublich unsympathisch. Jetzt stand sie, eine Zigarette rauchend, in ihrem olivfarbenen Trenchcoat und an den klammen Händen fingerlose schwarze Wollhandschuhe, ihr blondes Haar unter die Mütze gestopft, unter einer schummriges Licht verbreitenden Laterne wie einst Lili Marleen und dachte über das patriarchale System nach und was Macht so alles verursachen konnte. Sie auf alle Fälle hatte zu wenig davon. Zu wenig davon, um richtig bestimmen zu können. Bestimmen tat hier nur der Stellvertretende Polizeichef Nulbert Kies, und der war erstens, ein gebürtiger Zürcher, zweitens, borniert bis zum Abwinken und drittens, magenumdrehend verlogen. Nulbert Kies und Servus Blom verstanden sich bestens. Laura Peter dachte darüber nach, wie das Treiben der beiden unterbunden werden konnte, bevor es zu spät war, doch sie wusste nicht, wie. Um eine interne Untersuchungskommission zusammenzustellen, war es viel zu früh. Es gab weder Tote noch Vergewaltigte. Und alle anderen Übertritte wie etwa Demütigen, Quälen, Schubsen, Bedrohen und Erschrecken galten als harmlos. Aber das war alles überhaupt nicht harmlos. Die Psyche eines Menschen konnte auch zerstört werden, nicht nur der Körper. Vor allem, wenn jemand über lange Zeit auf dieser Ebene angegriffen wurde. Laura Peter spürte, dass eine Katastrophe auf die Polizei zukommen würde und dass Servus Blom und Nulbert Kies die Schuldigen sein würden.
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Der Verstorbene Kaspar Senn sass gerade mitten in der Altstadt von St. Gallen, allerdings in einer ganz anderen Dimension. Er hörte die vorbeieilenden, miteinander redenden Leute nicht wirklich. Auch der Motorenlärm, der vom Oberen Graben her durch die Luft vibrierte, war ihm ziemlich fern. Dafür wurde er von den Gedanken der Menschen akustisch bombardiert, als befände er sich in einem 3-D-Actionfilm.
Kaspar war noch nicht lange tot. Vor etwa zwei Monaten wurde er erschossen, als er, gutgläubig, wie er war, freundlich auf seinen Arbeitskollegen Servus Blom zuging.
«Es war stockdunkel gewesen und Kaspar hat nichts gesagt. Ich dachte, er wäre ein Bösewicht, der mich umbringen will.»
Da Servus Blom ein Drogenfahnder der Kantonspolizei Zürich war, und das seit über zwanzig Jahren, wurde ihm geglaubt. Er verlor weder seine Arbeit, noch kam er ins Gefängnis. Er wurde einfach nach St. Gallen versetzt. Wie wenn ihn die dort gebrauchen könnten.
«Es war ein Unfall gewesen», wurde befunden und damit hatte es sich gehabt.
Nun aber, im Tod, konnte Kaspar Senn Gedanken lesen. Und die Gedanken des Servus Blom waren nicht nett gewesen, als er gestern über ihm schwebte.
«Ich habe dich gekillt, und niemand hat ’s bemerkt, du naive Nuss. Alle mochten dich. Mich mochte niemand. Ha, das hat dir auch nichts gebracht, deine Allseits-Beliebtheit. Jetzt habe ich dieses stechende Gefühl endlich nicht mehr. Weg ist es. Niemand mehr da, um mich im Neid leiden zu lassen.»
Kaspar Senn war schockiert gewesen, nachdem er dies vernommen hatte, und erholte sich nun im Ansturm von völlig alltäglichen Kopfstimmen, die vom Einkaufen, Kochen und vom Fernsehprogramm erzählten.
Auf der Erde, Zeitzone St. Gallen, war es genau 17.00 Uhr.
Birke sass zuhause an ihrem Schreibtisch und bannte die Botschaften des verstorbenen Grossvaters einer ihrer Klientinnen auf Papier. Die Klientin lebte in Zürich, schickte ihre medialen Fragen per Post an Birke und erhielt die Antworten schriftlich zurückgesandt.
Laura Peter, als Vorgesetzte von Servus Blom, hätte ihm gerne alles und jedes verboten, doch sie durfte nicht. Als Drogenfahnder im Dienst hatte er auch Rechte. Zum Beispiel das Recht, ein Arschloch zu sein. Laura Peter fand Servus Blom unglaublich unsympathisch. Jetzt stand sie, eine Zigarette rauchend, in ihrem olivfarbenen Trenchcoat und an den klammen Händen fingerlose schwarze Wollhandschuhe, ihr blondes Haar unter die Mütze gestopft, unter einer schummriges Licht verbreitenden Laterne wie einst Lili Marleen und dachte über das patriarchale System nach und was Macht so alles verursachen konnte.
Sie auf alle Fälle hatte zu wenig davon. Zu wenig davon, um richtig bestimmen zu können. Bestimmen tat hier nur der Stellvertretende Polizeichef Nulbert Kies, und der war erstens, ein gebürtiger Zürcher, zweitens, borniert bis zum Abwinken und drittens, magenumdrehend verlogen.
Nulbert Kies und Servus Blom verstanden sich bestens.
Laura Peter dachte darüber nach, wie das Treiben der beiden unterbunden werden konnte, bevor es zu spät war, doch sie wusste nicht, wie. Um eine interne Untersuchungskommission zusammenzustellen, war es viel zu früh. Es gab weder Tote noch Vergewaltigte. Und alle anderen Übertritte wie etwa Demütigen, Quälen, Schubsen, Bedrohen und Erschrecken galten als harmlos.
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