»Au ja, ich bin dabei. Nächsten Samstag um zwölf?«
»Ja, das passt gut. Ich freu mich und kann jede Hilfe gut gebrauchen.«
Irgendwie roch es etwas seltsam. Meine kleinen grauen Zellen brauchten einen Moment, um den Geruch zuzuordnen.
»Hier riecht es verbrannt«, rief Nina naserümpfend das aus, was ich gerade dachte.
»Mist, verdammter. Mein Traumprinz. Den haben wir total vergessen.«
Ich spurtete in die Küche, riss fluchend die Tür vom Backofen auf, aus der es mächtig qualmte und zog das heiße Blech vorsichtig auf den Herd. Nina öffnete inzwischen im Wohnzimmer die Fenster und ließ die kalte Herbstluft in den Raum. Was war denn das? An seinem Goldstück prangte ein großer dunkler Fleck. Hoffentlich kein schlechtes Omen. Leidenschaftlichen Sex wünschte ich mir schließlich auch mit meinem Prinzen. Vielleicht hätte ich meine Must-Haves um diesen Punkt ergänzen sollen. »Oh Mann, mir ist aber auch nichts gegönnt. Das war’s dann wohl. Traumprinz ade.«
Inzwischen stand Nina neben mir und wir blickten gemeinsam auf den etwas verkohlten Teigprinzen, dessen Po nun mehr nach einem verschrumpelten Apfel als nach einem Knackarsch aussah. Eins war klar, Daniel Craig konnte der hier keine Konkurrenz machen.
»Wieso? Vielleicht ist dein Traumprinz ja ein rassiger Südländer«, versuchte Nina mich noch aufzumuntern. Mit einem Blick auf die Uhr ergänzte sie »oh Mist, schon so spät? Ich muss los.«
»Jetzt schon?« Ich versuchte mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
»Ja, ich gehe heute wieder zum Schwangerschaftsyoga. Ich frage mich zwar, wie lange das mit dieser Riesen-Kugel noch gut geht, aber die Bewegung tut mir gut. Mathilda wartet sicher schon auf mich. Wir sehen uns ja am Samstag.« Hastig griff Nina nach Schal, Mantel und der selbstgestrickten Mütze und verabschiedete sich.
Ich konnte nicht anders. Ich war eifersüchtig auf Mathilda. Nina hatte sie in diesem Kurs kennengelernt und neuerdings waren die beiden ein Herz und eine Seele. Aber ich schluckte den Kloß im Hals, der mir unweigerlich die Kehle zuschnürte, hinunter und freute mich einfach auf das bevorstehende Wochenende.
Und nun? Nachdem ich Nina an der Tür verabschiedete, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Als ich das Geschirr in die Küche räumte, fiel mir meine Bucket-List wieder in die Augen. Es war noch nicht spät, erst kurz vor drei. Zeit genug also, um vielleicht heute noch zur Isar zu fahren und meine Flaschenpost auf den Weg zu schicken. Immer noch aufgewühlt, schnappte ich mir die leere Rotweinflasche von der Anrichte und schrieb einen Brief.
Lieber Finder,
wenn du diese Flasche findest, sind vielleicht schon viele Jahre vergangen, ich bin eine 85-jährige Frau, sitze zufrieden in einem Schaukelstuhl im Garten, trinke mit meinem Liebsten Kaffee, während meine Tochter in der Hängematte relaxt und die Enkelkinder im Garten Fußball spielen. In diesem Fall ist alles gut gelaufen und meine Wünsche haben sich erfüllt.
Vielleicht findest du die Flasche aber auch schon eher und bist der Traumprinz, auf den ich die ganze Zeit schon warte.
Das Telefon klingelte, aber ich ließ mich durch nichts stören und schrieb eifrig weiter.
Mein Name ist Leni. Heute ist der 15.11.2017. Ich bin 29 Jahre alt, nicht zu groß und nicht zu klein, nicht dünn, aber auch sportlich genug, um in Kleidergröße 38 zu passen. Ich lache gerne – am liebsten mit meinen Freunden.
Ich bin spontan und gerne kreativ.
Meistens weiß ich genau, was ich will.
Ich möchte den einen Traumprinzen finden, der mich liebt und bei dem mein Herz tanzen wird vor Glück.
Ich freue mich auf deine Nachricht.
Leni
Mit zittrigen Fingern rollte ich das Blatt zusammen, band eine Schleife darum, steckte es in die Flasche und drückte den Korken fest darauf, bevor ich ihn mehrfach mit Klebeband umwickelte. Ich war ganz hippelig. Es war noch nicht dunkel, also beschloss ich gleich noch zu den Isarauen zu fahren und die Post loszuschicken. Dort angekommen inspizierte ich zuerst den Wasserfluss, um die Flasche an einer geeigneten Stelle auf ihre Reise zu schicken. Ich wartete noch einen Moment, bis sich die Teenager etwas weiter unten flussabwärts verzogen hatten und ging ungeduldig auf und ab. Schließlich wollte ich nicht, dass ein siebzehnjähriger die Flasche findet und sich am Ende einen Spaß daraus macht.
Dann war es endlich soweit. Was für ein bewegender Moment. Es kam mir vor, als würde ich etwas Verbotenes tun. Meine Hände waren ganz feucht und mein Herz pochte laut bis zum Hals. Ich kniete mich dicht ans Ufer und ließ die Flasche mit beiden Händen feierlich ins Wasser gleiten. Andächtig und ergriffen schaute ich ihr einen Moment hinterher. Ein unbeschreibliches Gefühl von Zufriedenheit, aber auch Aufregung, Neugier und Hoffnung machte sich in mir breit. Glücklich machte ich mich auf den Weg nach Hause, um dort den ersten Punkt meiner Liste abzuhaken.
Am nächsten Morgen saß ich fröstelnd im Büro und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Trister könnte ein Novembermorgen nicht sein. Draußen war es nasskalt. Das Laub machte die Straßen rutschig und der Nebel senkte sich über die Stadt. Es war windig und der Regen prasselte nun schon seit Stunden unaufhörlich an die Fenster. Ich würde Einiges dafür geben jetzt irgendwo am Strand zu sitzen und die Füße im warmen Sand zu vergraben. Aber sowohl mein Jahresurlaub als auch mein Urlaubsbudget waren restlos aufgebraucht und so würden Australien, Kuba und Südafrika noch etwas auf mich warten müssen.
Ich arbeitete als Teamassistentin in einer Werbeagentur. Ursprünglich hatte ich zwar damals nach dem Abi andere Pläne und dachte zunächst über ein Grafikdesign-Studium nach. Aber das Zeichnen blieb mein Hobby und so hatte ich mich zunächst für die Ausbildung zur Werbekauffrau entschieden. Bislang hatte ich diese Entscheidung nicht bereut. Und auch in München fühlte ich mich pudelwohl. Ich wollte unbedingt mal weg vom Land, um Großstadtflair zu schnuppern. Mir gefiel die Stadt ausgesprochen gut. Schon bei meinem ersten Aufenthalt war ich absolut schockverliebt. Und auch die Leute, die ich bisher hier kennengelernt hatte, waren offen und herzlich und dass, obwohl ich als gebürtige Hessin doch eine 'Zuagroasde' bin.
Meinen Eltern konnte ich es früher ohnehin nicht recht machen. Überhaupt missfiel ihnen, dass ihre Tochter mit dem Abi in der Tasche nicht etwas Anständiges studieren würde, Medizin zum Beispiel oder Jura. Aber ich war nun mal eher kreativ. Das war meine Welt.
So, was mache ich denn nun zuerst? Heute war mal wieder irre viel los. Alle wuselten hektisch herum und waren angespannt, weil unserem Großkunden die Entwürfe für seine aktuelle Kampagne nicht gefielen. Nun gab es eine neue Deadline bis Freitag. Eigentlich konnte man mir als Teamassistentin schon ein gutes Organisationstalent nachsagen. Aber heute ging es wirklich drunter und drüber. Die beiden Chefs, Thorsten und Michael, denen ich seit nun fast schon fünf Jahren zuarbeitete, hatten natürlich alle beide einen superwichtigen Auftrag, der keinen Aufschub duldete und außerdem musste ich für eine Inhouse Messe noch Einiges organisieren. Hotelzimmer und Räume waren zwar gebucht, aber das Catering musste noch ausgewählt und bestellt werden. Puuuh, das wird heute wohl ein langer Tag werden. Ich atmete tief durch und stürzte mich in die Arbeit. Meine Wangen glühten, aber ich mochte auch diesen Druck. Meistens kamen mir dann die besten Ideen. Ich studierte gerade die Menüvorschläge, notierte hier und da ein paar Änderungen, als mein Kollege Malte den Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Hallo Leni, hast du mal eine Minute?«
»Eigentlich nicht.« Ich blickte ihn entschuldigend an. »Was gibt’s denn?«
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