Sie schlang ihren Arm um Cosways Hals und lehnte ihren Kopf liebevoll an seine Schulter. Mit zärtlichen Küssen erneuerten sie das Gelübde ewiger Treue, bis ihnen die Stimme versagte.
Cosway benutzte die Pause zu dem einzig vorteilhaften Vorschlage, den er jetzt machen konnte, mit ihm zu entfliehen.
Adele nahm diese kühne Lösung der Schwierigkeit, in die sie versetzt waren, gerade so auf, wie tausend andere junge Mädchen ähnliche Vorschläge vorher und nachher aufgenommen haben. Zuerst sagte sie entschieden Nein. Cosway beharrte auf seiner Meinung. Sie fing an zu weinen und fragte, ob er denn gar keine Rücksicht auf sie nehme. Cosway erklärte, dass seine Rücksicht jedes Opfer bringen könne, das ausgenommen, sich von ihr für immer zu trennen. Er könne und wolle, wenn sie dies vorziehe, für sie sterben, aber so lange er lebe, müsse er sich weigern, ihr zu entsagen. Daraufhin brachte sie einen anderen Grund für ihre Weigerung vor. Konnte er denn erwarten, dass sie allein mit ihm wegging? Sicherlich nicht. Ihre Kammerjungfer könnte mit ihr gehen, oder, wenn man sich nicht auf sie verlassen könnte, würde er sich an seine Wirtin wenden und eine anständige ältere Person annehmen, die sie bis zum Tage ihrer Verheiratung begleiten solle. Würde sie wohl ein wenig Mitleid mit ihm haben und dies sorgfältig überlegen? Nein: sie fürchtete sich, darüber nachzudenken. Wollte sie lieber Elend fürs ganze Leben? Nichts lag ihm an seinem Glücke: Nur ihr Glück hatte er im Sinne. Mit unsympathischen Leuten zu reisen, von England wer weiß wie lange abwesend zu sein, nach der Rückkehr an einen reichen Mann verheiratet zu werden, den sie nicht leiden mochte — wollte, konnte sie an diese Aussichten nur denken? Unter Tränen dachte sie daran, sie dachte daran unter Seufzern, Küssen und Beteuerungen — sie zitterte, zögerte und gab nach. Zu einer bestimmten Stunde der kommenden Nacht, wenn ihr Vater im Rauchzimmer und Frau Margery zu Bett gegangen sein würde, sollte Cosway noch einmal an der Straßentür klopfen, nachdem er ihr inzwischen Zeit gelassen hatte, alle notwendigen Anordnungen zu treffen.
Unter diesen Umständen war es das einzige dringende Erfordernis, sich gegen Verrat und Überraschungen zu schützen. Cosway spielte vorsichtig auf das noch ungelöste Geheimnis der Einladung und der Aufforderung zum Stelldichein an.
»Hast du irgendjemand in dein Vertrauen gezogen?« fragte er. Adele antwortete mit einer gewissen Verlegenheit. »Nur eine Person« sagte sie, — »das liebe Fräulein Benshaw.«
»Wer ist Fräulein Benshaw?«
»Weißt du es wirklich nicht, Edwin? Sie ist reicher selbst als Papa — sie hat von ihrem verstorbenen Bruder die Hälfte des großen Geschäftes in der City geerbt. Fräulein Benshaw ist die Dame, die Papa in seinen Erwartungen täuschte, als sie nicht zur Gartengesellschaft kam. Du erinnerst dich. mein Lieber, wie glücklich wir gewesen sind, als wir bei Athertons zusammen waren? Ich war sehr unglücklich, als sie mich wegbrachten. Fräulein Benshaw besuchte uns zufällig am nächsten Tage und bemerkte es.
,Meine Teuere« sagte sie (Fräulein Benshaw ist jetzt eine ganz alte Dame), ,ich bin eine alte Jungfer, die ihr Lebensglück verfehlt hat, da sie in ihrer Jugend keinen Freund hatte, der sie geführt und ihr geraten hätte. Leiden Sie, wie ich einst litt?« Sie sprach so liebenswürdig — und ich fühlte mich so unglücklich — dass ich wirklich nicht mithin konnte, ihr mein Herz zu öffnen.«
Cosway blickte ernst· »Bist du sicher, dass man sich auf sie verlassen kann?« fragte er.
»Vollkommen sicher.«
»Vielleicht hat sie aber, mein Liebchen, ohne etwas Arges dabei zu denken, mit einer ihrer Freundinnen über uns gesprochen? Alte Damen sind ja so sehr dem Klatsch ergeben. Es ist leicht möglich — meinst du nicht auch?«
Adele ließ den Kopf sinken.
»Ich habe es auch für möglich gehalten« gab sie zu. »Es ist reichlich Zeit, sie heute noch zu besuchen. Ich will unseren Zweifel beseitigen, ehe noch Fräulein Benshaw heute nachmittag ihre Spazierfahrt macht.«
Nachdem sie sich in dieser Weise verständigt hatten, trennten sie sich. Gegen Abend waren Cosways Vorbereitungen für die Flucht getroffen. Er nahm sein einsames Mittagsmahl, als ihm ein Billet überbracht wurde. Es war von einem Boten an der Tür abgegeben worden, der sich wieder entfernt hatte, ohne auf Antwort zu warten. Das Billet lautete also:
»Fräulein Benshaw übersendet Herrn Cosway ihre freundlichen Grüße und würde dankbar sein, wenn er sie heute abend um neun Uhr in einer Angelegenheit besuchen könnte, die ihn selbst betrifft.«
Diese Einladung war augenscheinlich die Folge des Besuches, den Adele ihr an diesem Tage bereits abgestattet hatte.
Cosway, von dem natürlichen Gefühle der Besorgnis und Spannung beunruhigt, fand sich bei ihr ein. Sein Empfang war nicht derart, ihn zu beruhigen. Er wurde in ein dunkles Zimmer geführt. Die einzige Lampe aus dem Tische war tief heruntergedreht und das so zugelassene spärliche Licht noch durch einen Schirm vermindert. Die Winkel des Zimmers waren beinahe in vollständige Dunkelheit gehüllt.
Aus einem der Winkel kam eine Stimme, die ihm zuflüsterte:
»Ich muss Sie bitten, das dunkle Zimmer zu entschuldigen. Ich leide an einer ernsten Erkältung. Meine Augen sind entzündet und mein Hals ist so schlimm, dass ich nur flüstern kann. Setzen Sie sich, Herr Cosway. Ich habe Nachrichten für Sie erhalten.«
»Hoffentlich keine schlimmen, gnädige Frau?« wagte Cosway zu fragen.
»Die allerschlimmsten Nachrichten« sagte die flüsternde Stimme. »Sie haben einen Feind, der Ihnen im Dunkeln seine Streiche versetzt.«
Cosway fragte, wer dies sei und erhielt keine Antwort. Er änderte die Frage dahin, warum denn der Ungenannte im Dunkeln nach ihm schlage. Dies hatte Erfolg; er erhielt jetzt eine Antwort:
»Es ist mir mitgeteilt worden« sagte Fräulein Benshaw, »dass diese Person es für nötig halte, Ihnen einen Denkzettel zu geben, und das boshafte Verlangen habe, dies so empfindlich wie möglich zu tun. Diese Person sandte Ihnen, wie ich zufällig erfahren habe, die Einladung zur Gartengesellschaft und veranlasste auch die Zusammenkunft, die an der Gartentür stattfand. Warten Sie einen Augenblick, Herr Cosway, ich bin noch nicht fertig. Die Person hat es auch Herrn Restall in den Kopf gesetzt, seine Tochter morgen ins Ausland zu schicken.«
Cosway versuchte sie zu veranlassen, dass sie deutlicher spreche.
»Ist dieses elende Geschöpf Mann oder Frau?« fragte er.
Fräulein Benshaw fuhr fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten:
»Sie brauchen keine Besorgnis zu haben, Herr Cosway. Fräulein Restall wird England nicht verlassen. Ihr Feind ist allmächtig. Seine Absicht konnte nur sein, Sie zu einem Fluchtplan zu veranlassen — und, nachdem Ihre Vorbereitungen getroffen waren, Herrn Restall zu benachrichtigen und Sie und Fräulein Adele so vollständig voneinander zu trennen, als wenn jedes von Ihnen am entgegengesetzten Ende der Welt wäre. O, Sie werden unzweifelhaft voneinander getrennt werden! Boshaft, nicht wahr? Und, was noch schlimmer ist, das Unheil ist so gut wie geschehen.«
Cosway erhob sich von seinem Sitze.
»Wünschen Sie noch eine weitere Erklärung?« fragte Fräulein Benshaw.
»Noch eins« erwiderte er. »Weiß Adele davon?«
»Nein« sagte Fräulein Benshaw; »Ihnen bleibt es überlassen, es ihr zu sagen.«
Nun trat ein Moment des Schweigens ein. Cosway sah nach der Lampe hin. Wenn er einmal erregt war, so war mit ihm, wie dies bei Männern seines Temperaments gewöhnlich ist, nicht zu scherzen.
»Fräulein Benshaw« sagte er, »ich darf wohl sagen, dass Sie mich für einfältig halten; aber ich kann mir trotz alledem ein Urteil bilden. Sie sind meine Feindin.«
Die einzige Erwiderung war ein kicherndes Lachen. Alle Stimmen können im Flüstern mehr oder weniger erfolgreich verstellt werden — aber das Lachen trägt sein Erkennungszeichen in sich selbst. Cosway riss plötzlich den Schirm von der Lampe weg und drehte den Docht in die Höhe. Das Licht überflutete das Zimmer und zeigte ihm — seine Frau.
Читать дальше