Alle Emotionen und körperliche Belastungen, denen die Mutter während der Schwangerschaft ausgesetzt ist, haben einen weit reichenden Einfluss auf das werdende Kind. Obwohl diese Tatsache bereits recht bekannt ist, kann sich die Mutter oftmals nicht vor schwierigen psychischen und körperlichen Einflüssen schützen, im Gegenteil: Gerade während dieser neun Monate ist sie oftmals extrem schwankenden Stimmungen ausgesetzt. Besonders wichtig ist natürlich auch die Beziehung zu ihrem Partner, dem Vater des Kindes. Wut, Bedrohungen, Depressionen und partnerschaftliche Differenzen teilen sich sofort dem Ungeborenen mit. Bei Angst etwa werden vermehrt Stresshormone ausgeschüttet, auf die der Fötus entsprechend reagiert. Auch starker, anhaltender Stress ist nicht nur für die Mutter, sondern ebenso für den Fötus und dessen spätere Entwicklung als Kind sehr belastend. Bei Depressionen der Mutter während oder gegen Ende der Schwangerschaft hat man physiologische Werte beim Neugeborenen festgestellt, die einen Hinweis auf diese Beeinflussung geben und nachhaltige Auswirkungen haben können.
Eine Mutter, die ihr Kind nach der Geburt ablehnt, vernachlässigt oder sogar misshandelt, wird es während der Schwangerschaft kaum mit liebevollen Gefühlen verwöhnt haben. So muss man davon ausgehen, dass Kinder, die in diese destruktiven Familien hineingeboren werden, im gewissen Sinne bereits „vorprogrammiert“ sind. Allerdings können wir daraus keine Regel machen, denn die Prägungen des Fötus sind auch von genetischen Grundlagen und anderem mehr bestimmt. Des Weiteren mag die Schwangerschaft für die eine Mutter eine Katastrophe sein, doch wenn das Kind schließlich auf der Welt ist, könnte sie es dennoch lieben lernen. Während eine Mutter, die sich auf ihr Kind freut, schließlich keine Liebe aufbringen und keine echte Bindung herstellen kann.
Unerwünschte Kinder produzieren weniger Bindungshormone, die für eine liebevolle Mutterbindung zuständig sind. Dieser Mangel an Oxytocin bleibt lebenslänglich erhalten und würde so manche Gefühlsproblematik nicht nur mit der Mutter, sondern später auch mit Partnern erklären. Nicht gewollte Kinder, die man versucht hat abzutreiben, sind den größten Ängsten und Bedrohungen ausgesetzt mit der Folge, dass sie sich später dem Leben gegenüber ängstlich verhalten. Hier können während der Schwangerschaft schon massive Ängste auftauchen, nicht überleben zu können. Die verdrängte Wahrnehmung des Ungeborenen, die im Körper gespeichert ist und bleibt, heißt: Todesgefahr. Wenn man wie ich später erfahren sollte, dass man unerwünscht war und abgetrieben werden sollte, dann können sich diese Ängste dennoch nach und nach auflösen, denn man weiß ja später, dass man den Absichten seiner Mutter nicht mehr ausgeliefert ist und nicht mehr in tödlicher Gefahr schwebt.
Neben diesen ersten negativen Prägungen lauern noch andere Gefahren für den Fötus: Die Lebensführung der Mutter hat einen großen Einfluss auf das spätere Leben des Kindes. Wenn die Mutter während der Schwangerschaft raucht und Alkohol trinkt, können im Kind schon Programmierungen für Süchte, Neurosen etc. stattfinden. Es wurde außerdem festgestellt, dass die Suchtgefahr des später erwachsenen Kindes um ein Vielfaches steigt, wenn bei der Geburt hohe Dosen von Barbituraten oder Opiaten verwendet wurden.
Nicht zuletzt werden Mütter im Laufe ihrer Schwangerschaft oftmals vor neue Fragen gestellt, die ihre eigenen mütterlichen Aufgaben, Herausforderungen und Vorstellungen davon betreffen. Man denkt zurück an die eigene Kindheit, Kinderrolle und Mutter, und das ist nicht immer beruhigend. Es können diffuse oder sogar konkrete Erinnerungen an ihre eigene Mutter und belastende Erlebnisse auftauchen, die, weil sie in Körper und Seele der Mutter gespeichert sind, Einfluss auf die Beziehung zu ihrem eigenen Kind nehmen. Auch hier ist Bewusstwerdung unerlässlich, damit die Fehler und Misshandlungen der eigenen Eltern nicht wiederholt werden.
Doch jeder macht im Laufe seines Lebens auch die unvergängliche Erfahrung von Verbundenheit und Zugehörigkeit, die – wenngleich verschüttet – darauf wartet, von uns wieder geweckt zu werden.
„ Sie ist deshalb tief in jedem Menschen verankert, und sie kann daher, wann immer es einem solchen enttäuschten Menschen in seinem späteren Leben gelingt, wieder jemanden zu finden, der sich ihm zuwendet, auch wieder wachgerufen werden. Deshalb steckt in jeder Begegnung mit einem anderen Menschen die Chance, sich selbst wiederzufinden.“ (Gerald Hüther: Das Geheimnis der ersten neun Jahre)
„Deine Mutter – Dein Schicksal“?
C.G. Jung’s Zitat bewahrheitet sich immer wieder, wenn auch nicht für jede problematische Beziehung. Wir wissen, dass eine gute Mutterbeziehung uns Urvertrauen schenkt, ein Gefühl des Sich-Verlassen-Dürfens, des Zutrauens zunächst in die Mutter, also in das Leben schlechthin, und später in uns selbst. Jedes Kind - ja, jede Kreatur - hat das natürliche Bedürfnis, sich positiv von der Mutter gespiegelt zu sehen, Geborgenheit und Sicherheit zu fühlen. Diese Erfahrungen mit der Mutter prägen immer auch unsere späteren Beziehungsmuster, unser Verhalten zu Freunden und Partnern.
Zu den Grundbestandteilen einer guten Beziehung zwischen Mutter und Kind gehören also Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit, weil sie die notwendige Basis für einen positiven Lebensweg bedeuten. Körperliche und emotionale Nähe vermitteln uns die Wärme des Angekommen- und Angenommenseins, und wenn die Mutter späterhin so klug ist, uns eine gewisse Autonomie zuzugestehen und die Balance zwischen Nähe und Freiheit zu halten, gibt sie uns Mut und Selbstvertrauen mit auf den Weg.
Besonders wichtig ist mütterliche Empathie, eine ausgeprägte Einfühlsamkeit, mit der sie die Gefühle des Kindes erahnen, verstehen und spiegeln kann. Wenn wir als Kinder einfühlendes Verstehen erfahren, dann fühlen wir uns akzeptiert, geborgen und lernen, unseren Gefühlen zu vertrauen. Empathische Reaktionen der Mutter wirken in uns fort und ermöglichen uns später als Erwachsene, selber empathisch, verständnis- und liebevoll auf andere Menschen zuzugehen. Besonders für hochsensible Kinder ist solch eine Mutter ein Segen, aber trotz aller guten Vorsätze und Bemühungen kann es sein, dass sie von ihrer Veranlagung her dazu nicht in der Lage ist.
Die erste Beziehung unseres Lebens, nämlich die zu unserer Mutter, hat deshalb einen so prägenden Einfluss auf unsere Entwicklung, da sie für die Erfüllung unserer grundlegenden Bedürfnisse von größter Bedeutung ist. Durch ihr Verhalten, ihre Liebe oder fehlenden Gefühle bildet sie die emotionale Grundlage für unsere spätere Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, für Selbstakzeptanz und Vertrauen in das Leben und unsere Mitmenschen. Fühlten wir uns fürsorglich und liebevoll behandelt, vernachlässigt, traumatisiert oder wurden wir mit Eigenschaften der Mutter konfrontiert, die so gar nicht zu unseren Bedürfnissen zu passen scheinen? Wichtige Fragen, die beantwortet werden wollen.
Aus einer geglückten Mutter-Beziehung erhalten wir den Glauben an uns, die so wichtige Selbtliebe, Selbstwert und den Mut, dem Leben mit echten Gefühlen und voller Vertrauen zu begegnen und es zu genießen. Kinder brauchen Wärme und Liebe, die sich in späteren Beziehungen dann widerspiegelt. Das Gefühl, wir selbst sein zu dürfen mit allen Eigenschaften, auch den nicht so akzeptablen, und dass wir um unserer selbst willen geliebt werden, ist der Grundstein für unsere eigene Wertschätzung und Liebesfähigkeit.
Der mütterliche Schatten
Wenn über unserer Kindheit ein mütterlicher Schatten lag, fühlen wir uns später nicht angenommen und aufgehoben. Unsere Liebe ist dann mit Schmerz, Zurückweisung und Kühle verbunden, sodass wir schließlich davon überzeugt sind, kein Recht auf Zuneigung und Zuwendung zu haben. Auch wenn wir als Kind immer wieder enttäuscht wurden, statt Liebe und Freude zu erfahren, Gebote, Verbote und Pflichterfüllung im Vordergrund standen, erwarten wir auch später noch, dass sich unsere Wünsche nicht erfüllen werden, wenn wir diesen frühen Geboten entsprechen. Also ziehen wir uns zurück, weil wir den Schmerz von einst nicht mehr fühlen wollen. All diese Befürchtungen und Erwartungen belasten nicht nur unsere Gefühlsnatur, sondern beeinflussen fatal eben auch unsere Beziehungen, zumindest die auf einer intimeren Ebene.
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