Hier entfielen oder korrigierten sich bei mir einige vertraute Denktypen.
Für meine Wege zu den Bänden nutze ich zwei Wanderpfade:
1. für jedes Kapitel eine Aussicht über wesentliche Aussagen als Langtext
2. für jedes Kapitel eine poetische Stichwortsammlung
Insofern haben Sie jeweils nur den halben Seitenumfang zu bewältigen, wenn Sie sich für eine entscheiden.
Diese Zweiteilung habe ich gewählt, weil sie meinen Weg die drei Bände zu lesen wiedergeben. Ich las Sloterdijk auf einer Ebene „sachlich“, um ihn wie andere Autoren „zu verstehen“. Da ich ihn als philosophischer Autodidakt las, reichte das nicht, um viele Passagen wirklich zu verstehen. Aber immer, wenn ich das Buch beiseite legte, ließ es mir keine Ruhe sein Denken zu ergründen, oder besser: Mein Denken ließ mir keine Ruhe. Es wollte dem Sinn nach-reisen, „verstehen“.
Dieses Nachdenken führte zu einem eher poetischen Wort-Wolken-Spiel. Man sieht tausend Wolken aber noch keine schlüssige Wetterlage, keinen Trend dieses Wolkenbildes. Ich spürte, wie ich nach und nach den Zusammenhang besser verstand, aber mir die angemessenen Worte für eine Wiedergabe fehlten, oder besser die angemessenen zwar durch den Kopf zogen, sie aber noch keine Sätze bilden konnten, kein versammeltes Bild schufen.
So biete ich Ihnen beide Varianten an, falls es Ihnen auch so ergehen sollte. Die meisten Aussagen sind im Original oder so Werkgetreu wie möglich wiedergegeben. Die Kapitel entsprechen der Gliederung im Original. Deshalb finden sie keine Fußnoten oder Seitenangaben.
Mit freundlichen Grüßen
PH Schwan
noch einmal neunhundert seiten
der letzte band im großen wurf
liegt nun vor uns
die ersten zwei?
anläufe, warmlaufen
vorlaufen ins große ganze
stärken den rücken
für lange wege
der dritte
der abschließende pol
läßt offene fragen für weiteres
anders klarer frischer aufblitzen
ist auch alleine lesbar
im ersten
große erzählungen über
sphären-wesen die sich über
orte entwicklung schützendes sprache zeichen
kreieren
ihr zusammensein empfindlich lernfähig
sellenräumlich moralisch sympatie verständnis
alles zeigt:
wir-immunität ist tiefer als ich-immunität
doch nähe löst auch primäragression aus
das allen wiederfahrende grundereigniss
die klausur in der mutter
für jeden neuen raumdesigner
der nun ein leben im außen
gemeinsam
mit dem inneren geheimnis
dem seismograf für abweichungen
von diesem idealen raum
führen muss
im idealfall behütet ergänzt
von „reichen“ müttern vätern und einigen mehr
das flüstert ihm gestaltungszwang
-drang -wunsch -wille -kraft -macht ein
alles seine wesensmerkmale
basis permanenter unruhe sorgen- und hoffnungsdelirien
zusammenleben entwickelt
sich in solch gefüllten sphären
das ist das natürliche am m e n s c h e n
dem empfänger-überträger von gespür und stimmung
von ich-hier nach du-dort
die passung ein schwankendes schiff
einander erreichbar u n d einander transzendent
von da an eine erzählung über die
expansion des seelischen
in imperialen und kognitiven weltbesetzungen:
familien hütten dörfer städte imperium universum
die psyche will teilhabe
am finden des unzerstörbaren
kognitiv und architektonisch
deshalb:
wer jedes einzelne leben verneint
und private immuninteressen ignoriert
wird „abgelöst“
wer infinität über immunität stellt
zerschmilzt im leben-will-leben-strahl
so globalisiert die welt dreifach:
metaphysisch
terristrisch
telekommunikativ
das „leben“ entfaltet sich so
multifokal: ein gott sprachlos – viele bewerben sich
multiperspektivisch: augen gehen nicht nur zum himmel
heterarchisch: kein oben ohne unten – jeder will könig sein
auf
simultanen bühnen
in
vernetzten werkstätten
sie tun immer eins:
bringen den raum hervor
eine raumrepublik
immer bedroht bereichert
verlust an form gewinne an beweglichkeit
ausgediente übertreibung folgen schwärme von
diskreten aufschwüngen
»auf die schiffe, ihr philosophen!«
Zur Einstimmung eine Kurzfassung für „nur Band III-Leser“. Sloterdijk möchte in diesem dritten Band der Erwartung nachkommen, dass dieser ohne Vorkenntnisse aus den ersten Bänden zu lesen sei. Sein gesamtes Vorhaben der drei Bände sei auch am besten von seinem abschließenden Pol her zu überblicken.
Band I –Blasen- ist die große Basis-Erzählung zur ersten Sphäre in der für uns alle, alles beginnt, eine geschützte Innen-Brüter-Sphäre, sorgsam abgeschottet und sie doch spürend, die schon lange vor mir wogenden-tobenden Außen-Sphären. Und doch entwickelt sich im Innen ein Lauscher an der Wand, in dem Drängendes wächst -ein Zug ins Außen-. Hin zu einem In-der-Welt-sein, d. h. einem Leben im Außen, das Innenwelten trägt.
Sphäre ist "der" Grundbegriff, der sich über die drei Bände in topologische (Lage, Ort), anthropologische (menschliche Entwicklung), immunologische (umfassend: mich/uns „schützend“) und semiologische (Sprache, Zeichen) Bedeutungsaspekte verzweigt.
Das nahe Zusammen-Sein von Menschen mit Menschen stiftet ein bisher zu wenig beachtetes Interieur, eine Mikrosphäre. Ein empfindlich und lernfähiges, ein seelen- räumliches –wenn man will moralisches-Immunsystem in dem die Wir-Immunität gegenüber der Ich-Immunität das tiefere Phänomen verkörpert.
Das "Wir-Gefühl" –minimal die Zwei- ist die Basis, das tiefere Gefühl, gegenüber der Eins des "Individualismus", weil wir schon in den neun Monaten nicht alleine sind. Ein AUCH -das werdende Kind- umhegt-versorgt von einem MIT -der Plazenta-, unser erstes direktes "Gegenüber", bilden „zu zweit“ die erste und "ideale" Sphäre. Meine stille, fast vergessene, lebenslange Sphären-Blaupause. Vielleicht ist sie es, wenn man sagt, oder wenn ich glaube: Ich sei von allen guten Geistern verlassen.
„Nichts ist im Großen was nicht im Kleinen angelegt ist.“
Eine wie Sloterdijk selber sagt: spekulative Philosophie zu der eine „neue“ Sprachsensibilität gehört, deren Evidenz aber seit langem Formen annimmt. Schon Sokrates lehrte Mäeutik -Hebammenkunst-, längst vergessene Traditionen begruben die Plazenta im Garten unter einem Lebensbaum und in unseren Tagen war es Alfred A. Tomatis, der die wiedererkennbare Mutterstimme „vom ersten Tag an“ zu einer verbreiteten Therapieform entwickelte. Außerdem Hannah Arendt über die Geburtlichkeit, Ludwig Janus „Das Seelenleben des Ungeborenen“ oder Tatiana Shchyttsova „Jenseits der Unbezüglichkeit Geborensein“ um nur einige zu nennen.
Auch Hermann Schmitz mit seiner Neuen Phänomenologie.
Damit verbunden sind seine Ausführungen über das sphärenbedürftige, diese aber (mit)erzeugende, (mit) gestaltende und von Sphären (mit)geformte Wesen, das wir zu schnell, kaum hinterfragt, als Mensch voraussetzen. Selbst unräumliche Verhältnisse wie Sympathie und Verstehen lassen sich in quasi räumliche Verhältnisse übersetzen. Gleichzeitig macht die notwendige, unumgehbare Nähe mit anderen, anfällig für die Auslösung von Primäragressionen.
„Das Bekannte ist selten das Erkannte“. (Hegel) Deshalb wagt er sich mit assoziativem Sprachwerkzeug, tastend, erahnend, mit neuen und frischen Worten an das allen Menschen wiederfahrende Grundereignis – der Werdensklausur in der Mutter- heran. Jede Geburt bringt einen neuen Raumdesigner aus art-typischen Gründen hervor, ist eine Chance zu einem Weltaufgang.
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