„Kann ich mir denken. Halt eine ganz andere Welt. Aber schön, dass du wieder da bist. Hier hast du doch immerhin deine Freunde und Familie.“
„Ja, stimmt schon. Aber New York ist halt etwas Besonderes.“
Klack. Die nächste Halbe versinkt schamhaft in einem Loch. Am Tisch gegenüber erleuchtet die Tischlampe. Kurze Zeit später kommen ein Pärchen und eine junge Frau in den Raum und setzen sich an deren kleinen Beistelltisch.
„So, du bist dran“ sagt Jonas und hält mir einen Queue vor die Nase. Er hat sich anscheinend wieder etwas eingekriegt. Zumindest hat er seine vorletzte Kugel nicht einlochen können. Ich genehmige mir erst noch einen Weizenschluck und einen Blick zum Nebentisch. Die junge Frau zieht ihre Jacke aus und es kommt ein bauchfreies Oberteil zum Vorschein. Und das Wichtigste daran ist: Sie kann es tragen. Diese Kombination gibt es heutzutage viel zu selten. Ich stehe auf und umkreise den Billardtisch. Dabei versuche ich möglichst nachdenklich und professionell auszusehen. Die Konzentration ist auf dem Siedepunkt. Ich sammle meine kleinen Geschicklichkeitsreserven, um mein eigentliches Dasein als totaler Bewegungslegastheniker möglichst gekonnt zu vertuschen. Da eine leicht verwandelbare Kugel nicht beeindruckend genug wirkt, entschließe ich mich zu einer fortgeschrittenen Variante: Den Queue führe ich hinter meinen Rücken entlang, um die weiße Kugel über eine halbe Kugel hinweg zu spielen und so meine Volle in der Ecktasche zu versenken. Im Fernsehen klappt das immer. Schon während ich den Holzstab unangekreidet in den grünen Filzstoff ramme, erscheint mir die Fernsehwelt nicht als die Realität, wie ich sie mir vorgestellt habe. Nichtsdestotrotz macht die weiße Kugel das, was sie sollte: Sie fliegt. Nur die angedachte Richtung scheint ihr nicht sonderlich in den Kram zu passen. Ebenso anscheinend nicht unser Tisch. Sie knallt auf den Boden und rollt dem Nachbartisch entgegen. Madame Bauchfrei stoppt die Kugel lässig mit dem Fuß und hebt sie auf.
„Ist das etwa Deine Kugel hier?“
„Ähm, ja... Tschuldige. Kommt nicht wieder vor.“
„Ach, kein Problem. Viele Männer haben halt Probleme beim Einlochen“ sagt sie mit einem verschmitzten Grinsen. Ich denke mir, das ist einen Versuch wert.
„Na da gehöre ich aber nicht zu. Eine einmalige Geschichte.“
„Das sagen sie alle...“
„Du, sag mal. Schläfst du nachts eigentlich auf Deinem Bauch?“
„Nein, das ist mir unangenehm. Wieso?“
„Darf ich das dann?“
Batz.
Ich setze mich an unseren Bistrotisch und lege mir das kühlende Weizenglas an die Wange. Der missglückte Versuch ist mir absolut schleierhaft. Warum bringen Frauen derartige Vorlagen und laden einen Mann geradezu dazu ein, dreckige Kommentare zu machen, wenn es dann doch wieder nur Backpfeifen hagelt? Die machen sich wohl einen Spaß draus? Zumindest machen Jonas und Linda das.
„Ha, die hat gesessen!“ sagt Jonas hervor preschend. „So eine hatte ich zum Glück schon lange nicht mehr.“
Und schon erscheint ihm seine Sonja wieder wie die bestmöglichste Freundin auf Erden. So hat mein Versagen doch noch etwas Gutes gehabt und wir doch noch eine Chance, ihn beim Billard zu besiegen.
„Tja, Lebensgefährtin kommt wohl von Lebensgefahr, was Jonas?“ sagt Linda in sich hinein glucksend.
„Nene. Das kommt von Lebensgefährt. Immerhin kann man auf ihr reiten.“
„Hehe, nicht schlecht“ hake ich ein. „Kennt ihr eigentlich schon Anatidaephobie?“
Beide schütteln nur erwartungsvoll die Köpfe.
„Das ist die Angst irgendwie, irgendwo von einer Ente beobachtet zu werden!“
„Hammer!“
Wir stoßen lachend mit unseren Gläsern an und spielen weiter.
6. Du Lutscher
Am kommenden Wochenende fahre ich einen Freund in Köln besuchen. Um etwas Proviant zu besorgen und die heimischen Vorräte aufzustocken, geht es heute in den Supermarkt. Ich benötige vor allem Haargel, was einen Einkauf heute dringend notwendig macht. Bezogen auf den Erwerb von Lebensmitteln bin ich immer noch ein großes kleines Kind. Schon früher habe ich es geliebt, die Einkaufstüten meiner Mutter nach Neuem und Leckerem zu durchstöbern. Und so ist es gekommen, dass ich ein zettelloser Einkäufer geworden bin. Klar, ich habe immer mal bestimmte Sachen, die ich unbedingt einkaufen muss, und die meist auch den Gang zum Supermarkt überhaupt ankurbeln, aber eine Einkaufsliste schreibe ich nie. Das ist zu bürokratisch, zu Deutsch. Da lasse ich mich lieber vom Sortiment leiten und spontan erleuchten. Von vielen Sachen weiß man im Vorfeld ja auch gar nicht, dass man sie unbedingt braucht, weil sie so bunt und lustig und neu sind. Das Einzige, was sich bei mir systematisiert hat, ist die Strecke, die ich im Laden durchlaufe. Wie von der Supermarktarchitektur gewollt, starte ich bei den Salaten und Obst. Frische spanische Salami und frisches Mett von der Theke und zu den Broten. Brötchen, Müsli, Brotbelag, Nudeln, Reis, bei den Sonderangeboten im Kühltisch vorbei und zum Tiefgekühlten. Gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, dass ich noch Gewürz-Ketchup benötige. In der Regalreihe mit den Soßen und Gemüsekonserven schlängle ich mich an einer Frau vorbei, die gerade mehrere Gurkengläser vergleichend studiert. Schlecht sieht die ja nicht aus... Und einen Freund scheint sie ihrem Einkaufskorb nach zu urteilen auch nicht zu haben, denn da liegen lauter gesunde Sachen drin. Frauenzeugs also. Ich schlängle mich erneut an ihr vorbei, um einen besseren Blick auf sie zu haben. Eines der Gurkengläser stellt sie zurück ins Regal, das andere legt sie in ihren Korb. Oh nein, sie scheint gehen zu wollen, verdammt. Schnell schnappe ich mir eine Flasche Ketchup und gehe eine Regalreihe weiter. Puh, da ist sie ja. Sie will anscheinend mit einer Verkäuferin reden.
„Ähm, entschuldigen Sie? Ich suche eine hautfreundliche Quarksorte, um eine Aloe vera-Maske zu machen...“
„Die sind im Kühlregal auf der rechten Seite.“
„Danke schön.“
Soso, ich kenne also ihr Ziel. Um eine Gangreihe versetzt renne ich so unauffällig wie es mit einem vollbepackten Einkaufskorb nur eben geht zum Kühlregal. Dort angekommen greife ich nach einem der Quarkbecher und tue so, als würde mich interessieren, was da so alles drin ist.
„Entschuldigen Sie? Könnte ich mal kurz...?“ fragt sie mich auch schon, ob ich ein Stück zur Seite gehen könnte.
„Ähm, klar...kein… Problem“ hechle ich zurück, noch immer etwas außer Puste von dem Zwischenspurt. Im Sport war ich ja schon immer eine Niete, aber wenn es um das Erreichen eines persönlichen Ziels geht – also Frauen, Geld oder Schlaf – bin ich auf der motivationalen Höhe. So, jetzt aber schnell, bevor sie alle unnützen Informationen auf der Packung durchgelesen und sich entschieden hat.
„Wozu braucht man eigentlich eine Gesichtsmaske, außer zum Banküberfall?“
Sie schaut verdutzt zu mir rüber. Mein Grinsen verliert von Sekunde zu Sekunde an Selbstsicherheit und gewinnt an Verlegenheit. Fräulein Gesichtsmaske scheint genug unnützes Zeug gelesen und gehört zu haben und geht einfach. Keine Reaktion. Ein kleines Augenzwinkern wäre doch nicht zu viel verlangt gewesen, oder? Irgendwie zweifle ich mittlerweile daran, dass Comedians mehr Erfolg bei Frauen haben. Vielleicht sollte ich es eher als Totengräber versuchen. Ich mache mich auf zur Kasse. Selbstverständlich hat man sich heute entschlossen, nur zwei Kassen aufzumachen. Macht ja auch Sinn, bei etwa 3,6 Millionen wartenden Kunden. So hat man wenigstens Zeit, sich für eine der beiden Schlangen zu entscheiden. Links ist die kürzere Schlange mit vier, fünf, nein sechs Leuten. Dafür allerdings ein Mann über 80, eine Frau mit Kleinkind am Arm und ein Mann, der anscheinend nur einmal im Jahr einkaufen geht und dann aber auch alles kauft, was er sieht. Die andere Schlange besteht aus geschätzten zehn Zahlungseinheiten, die aber allesamt jung und darin bestrebt aussehen, dieses Stück vorgezogenes Fegefeuer so schnell wie nur irgendwie möglich hinter sich zu bringen. Schnell betrachte ich noch einmal die Arbeitsfrequenz der beiden Kassiererinnen, und entscheide mich doch für die kürzere Schlange. Es geht sogar schneller voran, als ich gedacht hatte. Schon fast hämisch schaue ich zu dem bemitleidenswerten Pack von Kasse 3 herüber. Ha, falsche Entscheidung, Freunde!
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