„Hi“ sagt das Zauberwesen mit einem breiten Lächeln auf den schönen Lippen. Was für ein Lächeln. Und diese Zähne. So weiß, wie eine chemisch hergestellte Wandfarbe. Ich muss etwas sagen. Ich kann nicht einfach so hier stehen, sie angaffen und nichts erwidern. Sie hat immerhin schon etwas zur Konversation beigetragen, da darf ich nicht hinten anstehen. Nur, was sage ich, um nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen? Außerdem darf ich nicht zu schüchtern wirken. Oh nein, ihre Augen zeigen eine gewisse Erwartungshaltung an. Sie denkt sich sicherlich, warum der Typ da nur rumsteht und nichts sagt. Nun muss es aber auch überzeugend werden, wenn ich mir schon eine derart lange Bedenkzeit erlaube. Aber was? Aber wie? Aber wer?
„Hi, ich bin Sven.“
„Das weiß ich doch schon... Hallo, ich bin Nathalie.“
„Hallo Nathalie.“
Sag was! Das kann doch nicht alles gewesen sein, da muss mehr kommen.
„Du hast eine schöne Einrichtung.“
Bitte was? Ihre Einrichtung? Was soll der Quatsch denn nur?
„Wie bitte?“
„Also... äh, das ist natürlich nicht Deine Bar hier. Ich meine das im übertragenen... also.“
Hör auf mit dieser dämlichen Wohnungs-Metapher...
„Ich würd‘ Dich nehmen.“
Batz.
Ich setze mich wieder hin und nutze mein Pint zum Kühlen des roten Handabdrucks auf meiner Wange. Chris rutscht auf seinem Stuhl umher und kann sich das Lachen kaum verkneifen.
„Was war das denn für ´ne Show?“ bricht es aus ihm heraus.
„Ach, halt’s Maul.“
„Heute wird das irgendwie nichts. Lass uns einfach noch in Ruhe einen trinken.“
Gesagt, getan. Wir trinken noch ein paar Pints, reden über alte und neue Zeiten und haben einen angenehmen Abend. Gegen halb Zwei zahlen wir und verlassen den Pub, von Matze noch immer keine Spur. Ich verabschiede mich von Chris und mache mich auf zu meiner Bahnhaltestelle. Gerade fummle ich an meiner Jackentasche herum, um meine Kopfhörer heraus zu kramen, als ich eine junge Frau sehe, der eine Tüte voller Karnevalsutensilien auf den Boden gefallen ist. Tröten, Partyhüte, Konfetti und son Zeug. Ich gehe zu ihr rüber und helfe dabei, die Sachen in die Tüte zu packen.
„Na das sind aber dicke Hupen“ sage ich auf die Tröten deutend. Verdammter Alkohol, so kann man ja gar nicht aus seinen Fehlern vom Abend lernen, wenn nach fünf Pints wirklich jeder noch so dumme erste Gedanke aus dem Kopf direkt den Weg zum Sprachzentrum findet. Mein Gesicht ziehe ich reflexartig zurück, um einer weiteren Ohrfeige aus dem Weg zu gehen.
„Pardon?“
Ha, sie hat mich nicht verstanden! Glück gehabt.
„I’m from England and it is my first time in Germany. Mine Deutsch is nickt good.“
Eine Engländerin? Ach, was soll’s. Leider fällt mir spontan kein guter Witz auf englisch ein...
„Oh, okay. No problem. Let me help you with your stuff.”
“That’s very sweet of you” sagt die überraschend gut aussehende Britin mit einem international anerkannten Lächeln. Wir schlendern gemeinsam durch die Innenstadt in Richtung Bahnhaltestelle. Sie müsse mit der gleichen Bahn wie ich fahren, sagt sie. In die selbe Richtung fahren. Eine Station vor meiner aussteigen. Das trifft sich gut. Während wir auf die Bahn warten, unterhalten wir uns. Sie ist in Hannover, um eine Freundin zu besuchen, die sie bei einem Studentenaustausch kennengelernt hat. Heute Mittag haben sie Sachen für eine Party nächste Woche eingekauft und abends noch einen Cocktail getrunken, ehe ihre Freundin sie wegen eines Typen alleine gelassen hat.
„A great friend of yours“ sage ich ihr, möglichst viel Sarkasmus in meine Stimme legend.
„Ah, she’s a bitch, when it comes to men. But she’s nice. And so are you” sagt sie mir lächelnd ins Gesicht.
„You could help me taking this stuff up the stairs, if you like?“
„I’d like to” sage ich und erwider das Lächeln. Für eine Britin sieht sie ja wirklich süß aus.
Am nächsten Morgen mache ich mich auf zu meiner Wohnung. Zunächst vergewissere ich mich, dass das Mädchen, neben dem ich aufgewacht bin, auch im tendenziell nüchternen Zustand vertretbar ist. Der Alkohol hat sicherlich etwas die Konturen verschönt, aber dennoch bin ich zufrieden. Ich schleiche mich aus dem Schlafzimmer und tapse zur Wohnungstür. Vom Küchentisch genehmige ich mir schnell noch eine Karnevalströte und verschwinde im Hausflur. Die 4 Stockwerke nehme ich im Spurt und erleichtert trete ich auf aus dem Haus.
„Aaaaah, das tut gut. Genau das habe ich jetzt gebraucht.“
Und so mache ich mich auf den Fußweg zu meiner Wohnung, absolut selbstzufrieden und absolut laut trötend.
4. Tom
Heute schaffe ich es einfach nicht zu BWL. Es gibt viel zu viel zu tun. Ich muss noch Einkaufen, die Küche auf Vordermann bringen, Etwas essen und den üblichen Internetkrams erledigen. Und nebenbei auch noch den guten Vorsatz vorantreiben, Comedian zu werden. Da bleibt keine Zeit für meinen zweiten Bildungsweg per Studium. Und dann kommt einem mal wieder Mr.HelloKitty59 dazwischen. Schon wieder hat der Sack meinen Wikipedia-Eintrag gelöscht. Langsam bin ich es leid, meine kostbare Freizeit für die Allgemeinbildung und den Fortschritt der Gesellschaft zu opfern, wenn immer wieder alles, was ich mit den Händen aufgebaut habe, von dem Arsch wieder eingerissen wird. Heute habe ich einen kurzen Dokumentarfilm über die Kreation des perfekten Mettbrötchens eingestellt. Das sollte auch den letzten Gourmet-Banausen davon überzeugen, dass mein Beitrag von Wert ist. Ein schmackhafter Beitrag mit wertvollen Essenzen, gewürzt mit einer Prise Humor. Wie ein Mettbrötchen halt.
Aber jetzt ist Schluss mit dem Lotterleben. Nun heißt es in die Hände gespuckt und angepackt. Ich packe meinen Wäscheberg beherzt in beide Hände, stiefel durch die Wohnung und verliere auf dem Weg zur Waschmaschine die Hälfte. Waschmaschine vollgestopft, Waschmittel rein, Hahn aufgedreht und ab geht die Schleuder. Ich spüle schnell ein Messer, eine Gabel und einen Teller in weiser Voraussicht für heute Abend und schnüre die Müllsäcke zusammen, um sie nachher mit runter zu bringen. Danach geht es ins Badezimmer. Rasieren, beim Duschen die Zähne putzen, Fußnägel schneiden, Fingernägel schneiden, Haare stylen. Die Glühbirne fängt an zu flackern. Muss ich mal austauschen. Schnell flitze ich durch die Wohnung und sammle im Vorbeigehen die auf dem Boden liegenden Wäscheteile auf. Diese werfe ich schnell in den Schrank und suche vernünftige Klamotten für den Tag raus. Doch bevor ich mich ankleide, um in die Stadt zu gehen, beschließe ich, eine Pause einzulegen. Das war bislang auch durchaus aufreibend. Immerhin habe ich einiges geschafft. Ich schaue mir mehrere Wiederholungen von King of Queens im Fernsehen an und surfe etwas im Internet. Man hat ja sonst nichts vom Leben. Neben all meinen Pflichten muss ich dann auch noch die Abendplanung in Schwung bringen. Ich zücke mein Handy und schreibe eine SMS an Chris, Matze, Jonas und Linda. Letztere sind alte Schulkollegen von mir. Jonas studiert jetzt Medien Management und Linda ist endlich von ihrem Auslandsaufenthalt in New York wieder da. Das Problem daran ist, dass sie es jedem unter die Nase reiben muss.
„Hey Du! Wie schaut es heute Abend mit Pool spielen aus? Um 8 im Stars. Gruß, Sven“
Das sollte reichen. Bei den momentan aufsteigenden Temperaturen benötige ich unbedingt ein neues Sommerhemd und ein paar T-Shirts. Dieses Jahr ist es im März bereits unüblich warm, also fahre ich in die Innenstadt. Ich habe Glück und verlebe eine Handymusik-freie Bahnfahrt. In der Stadt angekommen mache ich mich auf den Weg zum Kaufhaus meines Vertrauens. Die Innenstadt ist mal wieder verdammt voll. Das wäre ja absolut nicht schlimm, wenn alle Leute einfach gezielt und in einheitlichem Tempo von A nach B laufen würden. Aber nein, da gibt es ja die unterschiedlichsten Typen von Einkaufspassagengängern:
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