„Ey, isch hab da noch voll das Witzige! Moment, warte… hier!“
Und man kann eigentlich immer sicher sein, dass man sich auf alles nur erdenklich einstellen kann – witzig wird es nicht sein. Irgendein pseudo origineller Witz-Klingelton-Schrägstrich-Was-auch-immer-Sound spielt in gewollt schräger Stimmlage an. Ich bin froh, dass das Kleinkind gegenüber endlich anfängt zu schreien, sonst hätte ich diesen Part übernommen. Die Mutter wirft einen bösen Blick zu der jungen Bande, die sich glücklicherweise der nächsten Bahnhaltestelle widmet. Sie steigen aus. Ebenso die alte Flaschensammlerin, die bereits auf dem Bahnsteig anfängt, die jungen Leute zu beschimpfen. Endlich ein guter Einsatz ihrer bösartigen Supermacht. Das Kind quengelt rum und möchte anscheinend etwas essen. Die Mutter drückt ihm eine kleine Plastikdose in die Zwergenhände. Der Junge hat bereits Probleme diese zu öffnen, doch dann erscheint der Inhalt: Pistazien. Welch gemeine Frau. Hat man in dem Alter überhaupt schon Fingernägel? Geschweige denn die Kraft, zwei scheinbar unauseinanderbringbare Nusshälften auseinander zu bringen? Selbst ich kapituliere regelmäßig an kniffligen Einzelnüssen und besitze Mini-Blutergüsse am Fingernagel nach einer abendlichen Fressattacke. Der kleine Junge versucht sein Bestes. Sein Kopf fängt langsam an zu erröten. Im Endeffekt geht die Strategie der Mutter aber auf: Der Kleine ist beschäftigt, ruhig und frisst sich nicht unnötig voll.
Der Name meiner Zielstation ertönt und ich mache mich auf zu einer der Türen. Auch die Mutter mit ihrem Kinderwagen schiebt sich gen Ausgang. Ich schaue in den Wagen und der kleine Knirps grinst mich verstohlen an. Ich grinse zurück, winke und steige zu befreienden Metalklängen aus der Bahn. Kaum stehe ich auf der Rolltreppe und fahre Richtung Obergrund piept mein Handy.
„Kein Ding. Werd auch etwas später kommen. Treffen uns in der Bar! Chris“
Genau da treffe ich Matze, wild umschlungen von einer jungen Blondine, die etwas aufgedreht wirkt.
„Abend Matze. Na, haste die schon bezahlt?“ sage ich locker vor mich hin, grinsend zu der Kleinen nickend. Er hat den Witz etwas verbittert aufgenommen, wenn ich seinen Mittelfinger richtig deute. Das Mädel scheint zu betrunken zu sein, um überhaupt noch einen Finger heben zu können, wenn sie mich gehört hätte.
„Wichser. Lass uns runter gehen!“ sagt Matze und geht Richtung Eingang vom Ripper’s, seine neue Bekanntschaft hinter sich her schleifend. Wir steigen die Stufen hinab in den alten britischen Pub und ich freue mich in erster Linie aus dem kalten Dreckswetter zu kommen. Hier ist es warm und alle sind gut drauf. Kein Wunder, zum einen hat England heute ausnahmsweise im Fußball gewonnen, zum anderen sind die Briten schlechtes Wetter ja gewohnt. Denen kann man das Leben doch gar nicht mehr versauen, oder? Schlechtes Wetter, schlechte Frauen, schlechtes Bier, schlechtes Essen, schlechte Elfmeterschützen. Als Brite hat man es nicht leicht. Wir setzen uns an einen Tisch und bestellen bei der britischen Kellnerin drei Pints. Sie sieht zumindest aus, als könnte sie Britin sein.
„Und, willst du mich Deiner neuen Bekanntschaft nicht mal vorstellen, Matze?“
„Och ja. Klar, wenne willst. Tina – Sven, Sven – Tina.“
„Hallo Tina.“
Tina scheint immer noch nicht wirklich daran interessiert zu sein, ihre Zunge aus Matzes Ohr zu nehmen.
„Du sorry, die is glaube ich schon ein bissel zu betrunken...“
„Das könnte sein.“
„Na, immerhin hab‘ ich eine! Schau Dich an, mal wieder nichts am Start.“
„Jaja, kommt ja noch. Wart‘ ma ab, wie der Abend sich entwickelt.“
Kaum gesagt, sondiere ich auch schon die Barlandschaft. Zu alt, zu fett, zu britisch. Alles nicht das Wahre. Oh, die da vorne am Tisch, die ist doch... anscheinend nicht gerade dabei, ihrem Vater die Zunge in den Hals zu schieben?! Mein Blick erfasst eine Gruppe junger Mädels an der Theke. Bestimmt Studentinnen, so Anfang Zwanzig. Ich beschließe meinen unausweichlichen Humor einzusetzen und mache mich auf zu einem Versuch.
„Hi, ist das hier eigentlich eine Bar oder kann man auch mit Karte zahlen?“
Die Mädels stoppen ihr Gespräch und schauen mich alle einen Moment lang verdutzt an. Dann schauen sie sich alle gegenseitig verdutzt an, um dann erneut mich verdutzt anzuschauen.
„Zieh Leine, Spinner“ sagt die Rudelsführerin und fängt genau wie ihre Freundinnen lauthals an zu lachen. Das war wohl nichts. Waren wohl doch keine Studentinnen. Da hätte ich nicht mit so einem Niveau ankommen dürfen. Es hätte plumper sein müssen. Ich setze mich wieder an unseren Tisch und bereite mich darauf vor, mich für meinen schnellen Fehlschlag rechtfertigen zu müssen. Doch das muss ich gar nicht, denn Matze und Tina sind verschwunden. Ich nippe gelangweilt an meinem Bierchen weiter und schaue umher. Bar, was für eine scheiß Idee.
„Bar, was für eine geile Idee!“ sagt Chris, der gerade rein kommt. Während er seinen Mantel auszieht und sich an den Tisch setzt, bestellt er mit einer gekonnten Handbewegung noch zwei Bier bei der Bedienung.
„Danke, ich hab‘ noch“ sage ich, mit einem Blick auf das halbvolle Pint verweisend.
„Jaja, mir doch egal, die sind beide für mich“ sagt Chris etwas gehetzt wirkend. „Ich brauch das jetzt.“ Die Bedienung kommt, stellt Chris ein Pint vor die Nase und will das andere zu mir stellen. Ich winke ab und deute auf Chris, der bereits das erste leere Pint wieder auf das Tablett der Kellnerin stellt.
„Aaaaah, das tut gut. Genau das habe ich jetzt gebraucht“ schmatzt er in sich selbst hinein, während er entspannt im Stuhl versinkt. „Danke Schätzchen“ sagt er mit einem Augenzwinkern zur Kellnerin und nimmt einen Schluck vom zweiten Pint.
„What the fuck ist denn mit Dir los, Chris? Mal ganz davon abgesehen, dass man einer Britin kein Augenzwinkern schenkt, scheint doch irgendwas mit Dir nicht so ganz zu stimmen, oder?“
„Hatte halt noch was zu tun“ antwortet er leicht benebelt grinsend.
„Was denn?“
„Ist doch egal... Die Hauptsache ist, dass wir da sind. Und jetzt heißt es, eine Perle für Dich klar zu machen.“
„Jaja. Am besten gleich eine ganze Perlenkette.“
Chris hat es gut. Er hat eine wirklich süße Freundin zuhause sitzen, mit der er bereits so lange zusammen ist, wie Guns N‘ Roses für ein neues Studioalbum brauchen. Wenigstens konzentriert er sich als Wingman so voll und ganz auf meinen möglichen Erfolg. Er durchsucht den Raum und bleibt mit dem Blick am Tisch der jungen Nicht-Studentinnen hängen.
„Hatte ich schon. Zu humorlos“ sage ich verzweifelt drein blickend.
„Nur weil andere nicht Deinen Humor teilen, heißt es nicht, dass sie humorlos sind“ erwidert Chris, weiter Ausschau haltend. Sein Kopf bleibt still stehen und sein Lächeln wird größer und größer.
„Was?“ frage ich ihn, in dieselbe Richtung schauend. An der Bar steht eine junge Frau, leider nur von hinten sichtbar. Sie sieht sexy aus in ihrem rückenfreien, dunkelgrünen Top. Doch, hat was. Aber nur von hinten sehen und dann anquatschen, ist wie eine Wohnung zu kaufen, bei der man bislang nur den Flur gesehen hat. Aber noch ehe ich meine Erwägung, abwarten zu wollen in Worte fassen kann, fasst Chris mich am Arm und schleift mich rüber.
„Ähm, Entschuldigung, kennst du Sven?“ sagt er, die junge Dame an der Schulter antippend, und dreht sich weg. Diesen Spruch hat er dreist aus einer Fernsehserie geklaut, aber es funktioniert. Sie dreht sich um und sieht mich. Ich bin baff. Nicht nur, weil ich so plötzlich hier stehe und unvorbereitet improvisieren muss, nein, sie sieht auch noch richtig klasse aus. Der Flur war gut, aber der Rest ist großartig. Das Wohnzimmer hat einen Kamin und das Badezimmer einen Whirlpool! Eine absolut nehmenswerte Wohnung.
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