Cpt.Jonas (13:15)
Bist du Günther Jauch? Wer dumme Fragen stellt, bekommt dumme Antworten. ;)
Nach einer guten Viertelstunde kranker Vergleiche und einer ähnlich kranken Diagnose seiner Softwareproblematik kamen wir zu dem Entschluss, dass er bei seinem Passwort die Groß- und Kleinschreibung vergessen hat. Dank dieser kleinen unnützen Odyssee hätte ich beinahe die Zeit vergessen. Ich verabschiede mich von Jonas und packe schnell meinen letzten Kram zusammen. Die S-Bahn zum Bahnhof erwische ich gerade pünktlich und schaffe es somit mit etwas Pufferzeit zum Hauptbahnhof der Deutschen Bahn. Immerhin muss ich ja auch noch ein Ticket holen. Und das ist nicht immer ein Spaziergang. Der Bahnhof selbst ist heute erstaunlich wenig überfüllt. Die Chance, einigermaßen unbeschadet die gesamte Halle zu durchqueren um zu den Kartenautomaten zu gelangen, scheint recht hoch zu sein. Hier am Bahnhof ist es ähnlich, wie in der Fußgängerzone, mit dem einen kleinen aber bedeutsamen Unterschied: Koffer. Am besten noch kleine Trollies, die man hinter sich herzieht und die kein Schwein sieht. Dazu kommt dann ein plötzliches Stoppen, weil die feine Dame, die genau am Aufgang zu den Bahnsteigen 3 und 4, steht gucken muss, wo denn wohl Bahnsteig 2 liegen könnte. Eine Kettenreaktion wird in Gang gesetzt: Um einen Auflaufunfall zu vermeiden muss ein älterer Herr ausweichen und blockiert somit den Gegenverkehr. Alle müssen langsamer werden, bleiben stehen oder rempeln sich an. Das Weltklima verschlechtert sich, weil alle von sich gegenseitig jeweils denken „man, was ist das denn nur für ein volltrunkener Penner?!“. So ist niemandem geholfen. Und kein Wunder, dass der Bahnhof heute einigermaßen leer erscheint: Anscheinend haben sich alle Menschen Hannovers dazu entschlossen, sich in diesem Augenblick ein Bahnticket an einem der zahlarmen Automaten ziehen zu wollen. Aus Zeitgründen lasse ich eine eingehende Prüfung der verschiedenen Warteoptionen ausfallen und stelle mich bei der nächstbesten Schlange an. Dieses Mal habe ich wirklich Glück. Ein junges Pärchen vor mir scheint kurzfristig eingefallen zu sein, dass es doof ist, vor einem Automaten Schlange zu stehen und entschließt sich zu gehen. Außerdem entpuppt sich die weitere Menschenmasse vor mir als eine Großfamilie, die gesammelt zu elft von dannen zieht, als der Familienvater selbiges mit dem Automatenticket macht. Ich wusle mich durch die Automatenlogik und erhalte nach kurzer Zeit einen kleinen Ausdruck für 63 Euro. Hannover Hbf – Köln Hbf; Köln Hbf – Hannover Hbf. Fein. Danach gehe ich den gesamten Weg durch die Bahnhofshalle zurück zu meinem Gleis ohne einen Auflauf zu veranstalten und schaue nach, in welchem Abschnitt die Wagen der zweiten Klasse bestimmt sind, stehen zu bleiben. Ich gehe etwa einen Abschnitt weiter, als auf dem Plan angegeben, lege meinen Rucksack ab und schaue auf die Uhr. Na klasse, noch zwölf Minuten. Da wird einem das Timing bereits vollkommen dadurch versaut, dass alles einigermaßen planmäßig abläuft. Kaum ist mir dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, da ertönt auch schon eine alte Männerstimme durch die Bahnsteiglautsprecher:
„ICE 2049 aus Berlin Ostbahnhof bis Köln Hauptbahnhof über Bielefeld, Hamm, Dortmund, Abfahrt 14:31 Uhr, wird voraussichtlich etwa fünf Minuten später eintreffen. Wir danken für Ihre Geduld.“
Was denn bitte für eine Geduld? Dass er es noch einmal wiederholt und in gebrochenem Englisch aufsagt, macht das Ganze auch nicht besser. Um weiteres Unheil möglichst aus dem Weg zu gehen, stöpsele ich meine Kopfhörer in Handy und Ohren. So überhört man die Durchsagen und ärgert sich erst über eine Verspätung, wenn es wirklich dazu kommt und nicht elf Minuten vorher.
23 aufregende Minuten und eine Tüte Chips aus dem Automaten später fährt auch schon der Zug ein. Um „ist der noch frei?“-Gesprächen gegenüber gewappnet zu sein, schalte ich meinen MP3-Player ab und stöpsele mein rechtes Ohr frei. Mein angezielter Waggon bleibt selbstverständlich nicht dort stehen, wo er stehen bleiben sollte, aber ich habe Glück und stehe direkt vor einer anderen Eingangstür. Die Tür öffnet sich und ich bin froh, dass viele Menschen aussteigen wollen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass in dem Waggon noch freie Plätze vorhanden sind. Denn sind wir mal ehrlich: Drei Euronen für eine Platzreservierung? Nein danke. Schade ist nur, dass anscheinend alle Reisenden mit Hannover als Ziel durch genau meine anvisierte Tür aussteigen müssen. Neidisch schaue ich zur Tür am anderen Ende des Abteils, wo bereits Leute einsteigen. Kein Wunder, dass das hier nicht voran geht. Eine alte Dame hat ihre kompletten Erbschaften mit dabei und lässt sich diese von diversen Herren über die Schwelle tragen. Somit dürfte sich die Verspätung des Zuges noch weiter ausbauen. Endlich ist der Weg frei und ich schlängle mich durch den dünnen Eingang und haste in das Abteil. Ein freier Platz ist schnell gefunden. Zumindest sitzt da keiner drauf. Ein schneller prüfender Blick auf die Reservierungsanzeige erfüllt meine Hoffnungen und ich lege meinen Rucksack ab. Während ich im Begriff bin, meinen stilvollen Kurzmantel abzulegen fällt mir ein, dass es doch irgendwie geiler ist, in Fahrtrichtung an einem Fensterplatz zu sitzen und entschließe mich, doch eine Reihe weiter zu gehen. Auch hier der Blick zur Digitalanzeige: Frei. Wunderbar. Sitzplatz, Armlehne, Fenster, Tisch – alles dabei. Erleichtert lasse ich mich in den Sitz sinken und schaue den nach mir Eingestiegenen bei der hektischen Platzsuche zu. „Ist der noch frei?“ hier „Entschuldigen Sie, ich glaube, Sie sitzen auf meinem Platz“ dort. Selbstzufrieden, bereits die Früchte der eisernen Platzsuche gefunden zu haben, stöpsele ich mir den Kopfhörer wieder in mein rechtes Ohr und schalte mein mobiles Orchester an.
„And when I’m tired of walking alone, I put my headphones on. And whe…”
Und wieder aus. Ein älterer Herr stupst mich mehrmals an.
„Junger Mann?!“
„Hä?“
„Sie sitzen auf meinem Platz...“
„Wie meinen?“
„Ich habe den reserviert.“
„Aber ich habe doch vorhin extra geguckt...“
„Ja, die schalten sich manchmal erst später ein.“
Tatsache. Mein erneuter Blick auf die Anzeige zeigt mir ein sarkastisch aufleuchtendes „Hannover Hbf – Dortmund Hbf“. Na super. In der Zeit in der ich selbstzufrieden vor mich hin gesessen habe, haben alle anderen Leute Plätze fürs Leben gefunden. Der Waggon scheint voll zu sein. Ich packe meine Klamotten zusammen und mache mich auf zum nächsten Wagen. Auf dem Gang stecke ich hinter einer dicken Frau fest, die versucht, möglichst unerotisch ihre Jacke auszuziehen. Mit Erfolg. Ein wehmütiger Blick nach links offenbart mir, dass auf meinem zuerst anvisierten Platz ein Herr mittleren Alters neben einer hübschen jungen Frau sitzt. Und bei beiden Plätzen liegt keine Reservierung vor. Fuck. Im nächsten Abteil sieht es nicht viel besser aus. Anscheinend wollen alle ihren Freitagabend in Köln verbringen. Hinten links entdecke ich eine kleine Lücke im Meer der Köpfe und mache mich auf den Weg. Nach einigen Schritten entpuppt sich der vermeidliche Parkplatz als Kleinwagen. Zwei kleine Kinder grinsen mich an. Es ist ein hämisches, schadenfrohes Grinsen. Gut, dass ihr in die Weltwirtschaftskrise hinein geboren wurdet, ihr Drecksblagen. Wenn es um Sitzplätze im Zug geht, gibt es keine Freunde oder Zukunft, die auf kleinen Beinchen unterwegs ist. Ein weiterer verzweifelter Rundumblick offenbart mir jedoch eine andere frei erscheinende Stelle. Aber nicht nur das: Auf der anderen Seite des Gangs scheint ein anderer junger Mann dasselbe Problem wie ich zu haben. Er schaut genau in die Richtung meines neuen Ziels. Dann schaut er zu mir. Wir bleiben beide einen kurzen Augenblick stehen. Schnell laufe ich zügigen Schrittes über den Gang. Er fängt schon beinahe zu rennen an. Doch dieses Mal hat er das Pech: Ein voluminöser Herr möchte einen Schokoriegel aus seinem Koffer holen und versperrt den Gang und die Grenzübergänge an alle Ostblockstaaten gleichzeitig. Ich schere kurz davor in den freien Platz ein und schicke ein hämisches Grinsen zu meinem Interimskontrahenten hinüber. Dieser lässt seine Faust schwingen und zieht erbost in die andere Richtung ab. Noch im Endorphinrausch des Sieges schwelgend, schaue ich auch hier auf die Reservierungsanzeige: „Hannover Hbf – Bielefeld Hbf“ steht dort geschrieben. Aber der Zug ist seit einigen Minuten in Bewegung und weit und breit niemand zu sehen, der berechtigte Ansprüche auf den Platz zu erheben scheint. Die ältere Dame am Fensterplatz scheint von dem ganzen Schauspiel etwas irritiert zu sein und schaut von ihrem Taschenbuch zu mir hoch. Ich setze mich erst einmal hin und warte ab. Nach wenigen Momenten sehe ich mich in meiner Entscheidung bestätigt, denn die Reservierung erlischt. Klasse, denke ich mir und lege meine Klamotten ab.
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