Vynsu runzelte die Stirn, doch er hatte gerade keine Zeit, sich danach zu erkundigen, weshalb hier niemand freiwillig vorbeikam, immerhin hatte er gerade ein ganz anderes Problem. »Hm«, brummte er, »gut.«
Er zog sich wieder in das von Kerzenschein geflutete Innere zurück, Schatten tanzten über die Wände, als der Luftzug von draußen die Flammen bewegte.
Wie, beim Allvater, war Desith aus diesem Zelt gelangt? Vielleicht hatte er eine Wand aufgeschlitzt und war geflohen. Vynsu drehte sich um, um die Zeltplanen abzulaufen, als er abermals in dieser Nacht erschrocken zusammenzuckte.
Desith lag im Bett, friedlich schlafend, als wäre er nie fort gewesen.
Einen unbegreiflichen Moment lang stand Vynsu einfach da und starrte ihn, ohne zu blinzeln, an. Er lag noch genauso sabbernd auf der Seite, wie Vynsu ihn zuletzt gesehen hatte.
Hatte Vynsu sich getäuscht? Aber nein, so sehr konnten seine Augen ihn doch nicht trügen! Vielleicht hatte er noch geträumt.
Mit einem großen Bogen, als hätte Desith die Pest, ging Vynsu wieder um das Bett herum, eine Hand auf dem Knauf seines Schwertes, es gab ihm Halt. Seine braunen, gesprenkelten Augen suchten den Boden nach Spuren ab, doch dort war nichts, kein einziger Fußabdruck. Auch die Kleider, die für Desith bereit lagen, waren unangerührt, und er wäre wohl kaum nackt durch das Lager gelaufen und dann zurückgekehrt. Verwirrt ging Vynsu die Zeltwände ab, doch auch diese wiesen keinerlei Ausbruchsspuren auf. Niemand war herein, noch herausgekommen. Unmöglich.
Er fuhr sich über den violetten Schopf, seine Seiten waren frisch rasiert, seine Mutter hatte sich dessen angenommen.
»Ich werde noch verrückt«, murmelte er. Vielleicht hatte er geschlafwandelt. Trotzdem ließ ihn das drängende Gefühl nicht los, dass er sich nicht getäuscht hatte. Unbehagen legte sich um seinen Magen wie ein Eisenband, und zog sich langsam zu.
Er kratzte sich an der Schläfe und drehte sich wieder zu Desith um. Er legte den Kopf schief und betrachtete dessen schlanken Rücken mit schmalen Augen. Von hinten hatte er fast ein wenig Ähnlichkeit mit Lohna. Aber nur fast.
Leise trat er näher an das Bett heran und beugte sich über den schlafenden Wildfang, der selbst so still und friedlich irgendwie nach Ärger aussah. Es gab Männer, die betrachtete man nur ein einziges Mal und man wusste von vorne herein, dass sie einen ruhelosen, feurigen Charakter besaßen. Das war wie bei Pferden. Vynsu konnte einen Hengst bereits einschätzen, wenn er ihn nur in der Ferne auf der Weide grasen sah. Genauso erging es im mit Desith. Von Anfang an, als sie nur Jungen gewesen waren, hatte er gewusst, dass Desith sich nicht einfach ein Halfter anlegen lassen würde, zumindest nicht, wenn er es nicht höchstpersönlich zu seinem eigenen Vergnügen verlangte.
Und irgendwie ließ ihn das Gefühl nicht los, dass Desith ihm selbst im Schlaf an der Nase herum führte.
»Nicht mit mir«, sagte er zu dem Schlafendem, leise und grollend. »Hörst du, Desith? Du wirst dich schön brav benehmen, sonst Gnaden dir deine verbannten Götter.«
Plötzlich riss Desith die Augen auf und schnappte nach Luft. Vynsu war zu überrascht, um rechtzeitig zurückzuzucken, da hatte Desith ihn bereits mit erstaunlich kräftigen Fingern am Revers seines Hemdes gepackt und mit einem Ruck zu sich herab gezerrt.
»Dämonen!«, raunte er unheilvoll.
Vynsu runzelte die Stirn. »Was?« Er glaubte, dass Desith noch träumte, dass er die Wirklichkeit nicht erkannte, und legte beruhigend seine Hände um dessen kalte Finger, damit er sie sanft lösen konnte.
Aber Desith hatte sich wie ein Adler in seine Beute festgekrallt. »Dämonen«, wiederholte er und seine frostblauen Augen wurden erschreckend klar, er blinzelte. »Im Dschungel, Vynsu! Da waren Dämonen. Dämonen!«
Die Falten auf Vynsus Stirn wurden tiefer. »Du träumst.« Unmöglich, es gab keine Dämonen mehr, die unter den Sterblichen wandelten. Sie waren vor fast drei Jahrzenten vernichtet und verbannt worden, ebenso wie die Götter.
»Nein!«, spuckte Desith ihm entgegen, zog sich an Vynsu hoch, bis sich fast ihre Nasen berührten. In seinem Blick konnte Vynsu Furcht, aber keinen Wahnsinn entdecken. »Sie waren da, bevor du kamst. Sie … sie waren wirklich da. Gestalten in Umhängen, unter denen keine Gesichter lagen. Und sie wollten in meinem Kopf lesen. Sie … sie…« Ein Gedanke blitzte regelrecht in seinen Augen auf, als erinnerte er sich plötzlich an etwas, dass ihn noch mehr in Furcht versetzte. »Sie … verdammt, ich … Ich weiß nicht, was sie wollten. Aber ich schwöre dir bei der Liebe meiner Mutter, ich konnte spüren, dass die Finsternis an ihnen klebte, wie der Geruch von Scheiße! Und sie hatten Bänder an den Armen.« Er ließ Vynsu mit einer Hand los, um aufgeregt auf die entsprechende Stelle seines Oberarms zu deuten, auffordernd sah er Vynsu ins Gesicht. »Purpurne Bänder, als wären sie … eine Art … Kult oder so. Sie waren echt, Vynsu! Du musst mir glauben, sie haben mich aus dem Wasser gezogen! Ich weiß, dass sie echt waren, ich… ich … ihr müsst sie suchen, sie wollten etwas von mir, ihr müsst sie finden. Schwarze Umhänge, Vynsu, und Bänder an den…«
»In Ordnung«, Vynsu versuchte, ruhig auf ihn einzureden. »Aber sie sind jetzt nicht mehr hier und sie werden dich hier auch nicht finden, Desith. Das verspreche ich dir. Wir halten Ausschau, aber wir sind nicht mehr in Zadest.« Er legte seine großen Hände vorsichtig um Desiths Schultern und versuchte, ihn in die Felle zu drücken. »Sie sind weit weg. Jetzt schlaf noch etwas.«
Desith sah ihn nicht überzeugt an, seine Lippen bebten. »Aber… aber ich habe … sie waren…«
»Ja, aber jetzt nicht mehr«, sprach Vynsu weiter auf ihn ein, drückte ihn sanft nieder. »Jetzt bist du hier und ich bleibe bei dir sitzen, bis du dich wieder selbst wehren kannst.«
Desiths Blick huschte zwischen Vynsus Augen hin und her, forschten fiebrig in ihm. »Ich … ich…«
»Kein Dämon legt sich mit meiner Mutter an, in Ordnung?«
Das schien ihn etwas zu beruhigen, er gab seine Gegenwehr zumindest auf und sank auf das Lager, doch noch immer betrachtete er Vynsu mit aufmerksamen Augen, unter denen tiefe Ringe lagen, die im Kerzenschein beinahe bläulich schimmerten. Sein Gesicht war bis auf eine erhitzte Wangenröte noch immer beunruhigend blass.
»Du bist müde, du musst noch schlafen«, sagte Vynsu und zog die Felle über Desith schwitzenden, fiebrigen Leib. »Ruh dich aus, du bist nicht mehr im Dschungel. Keine Dämonen lauern hier, keine Drachen. Nur du und dein Fieber, das ist alles, wogegen du gerade kämpfen musst. In Ordnung?«
Desith starrte ihn an. »Ich fürchte mich nicht…«
»Nein, natürlich nicht. Warum auch.«
Desith betrachtete ihn, als überlegte er, ob Vynsu sich über ihn lustig machte. »Ich … ich glaube, mein Degen zerbrach an … an Ricks Panzer.« Als Derricks Name fiel, senkte Desith den Blick und seine Stimme wurde zu einem Flüstern, als schämte er sich für etwas.
Vielleicht dafür, dass er versucht hatte, Derrick zu verletzen. Dabei konnte Vynsu ihn verstehen, Liebe hin oder her, wenn ihn ein Drache angegriffen hätte, hätte er sich auch gewehrt.
Wobei er immer noch nicht richtig verstanden hatte, wie aus Derrick ein Blutdrache hatte werden können, aber das war eine andere Geschichte, die jetzt nicht von Belang war.
Vynsu nickte Desith zu und versprach: »Du bekommst eine neue Waffe. Solange bin ich dein Schwert.«
Auch das schien Desith zu beruhigen, seine Lider flatterten schläfrig.
»Schlaf jetzt weiter«, trug Vynsu ihm auf. »Wenn du wieder aufstehen kannst, gehen wir heim.«
Ein letztes Mal zwang Desith die Augen auf und betrachtete Vynsu mit einer beinahe beängstigenden Eindringlichkeit. »Versprichst du es mir?«, verlangte er rau. »Du bringst mich nach Hause, ja? Du hast es am Fluss gesagt, Vynsu, als du mich fandest. Du bringst mich heim. Versprich es mir!«
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