Er schmunzelte über seinen eigenen Scherz.
»Was hat er getan?«, fragte er seine Mutter, die sich daran machte, alte Verbände zu waschen, nachdem sie einen Kessel mit heißem Wasser von der in den Boden gegrabenen Esse gehievt hatte.
»Störrischer Bengel«, knurrte sie, »ist aufgestanden, um sich zu erleichtern, statt auf mich zu warten. Ist mir umgekippt und hat sich die Stirn angeschlagen.«
Vynsu stand über Desith und strich eine feurige Strähne aus seiner Stirn, der Kopfverband war vor einem Tag entfernt worden, die Naht zeigte Schorf und wirkte beinahe vollständig geheilt. Darunter konnte er eine leichte, rote Beule erkennen, und schüttelte den Kopf.
»Er ist stur.« Dann sah er seine Mutter entschuldigend an. »Und es ist ihm peinlich, sich vor dir zu erleichtern. Er wartet lieber auf mich.«
Sie grunzte abfällig. »Ich bin seine Heilerin, er sollte sich daran erinnern.«
»Du bist aber auch eine berühmte Frau«, warf er schmunzelnd ein, »und einschüchternd obendrein.«
Sie wirbelte mit einem hocherhobenen Kochlöffel zu ihm herum. »Ich bin nicht ein…«
Er zog eine Augenbraue hoch. Sie verstummte und starrte auf den drohend erhobenen Löffel in ihrer Hand. Dann nahm sie eilig den Arm runter und drehte sich grunzend wieder um.
Vynsus brummige, schnaubende Art hatte er jedenfalls nicht von seinem Vater geerbt, seine Mutter war bewandert darin, ein ganzes Gespräch nur mit abfälligen oder nachdenklichen Lauten zu führen.
Und sie war ihm eine gute Lehrerin gewesen.
»Aber vor dir ist es ihm nicht peinlich?« Sie schüttelte ratlos ihren klugen Kopf. »Versteh einer diese Männer, können vor einander rülpsen, furzen und scheißen wie Rindviecher, aber kommt eine Frau um die Ecke, petzen sie jegliche Körperöffnungen zusammen. Als Heilerin hat man es wahrlich nicht einfach.«
Er lächelte über sie, blickte aber dann wieder nachdenklich auf Desith herab, sodass das Schmunzeln auf seinen Lippen erstarb.
»Die Leute reden über ihn.«
»Natürlich tun sie das«, stimmte sie zu, »er ist … Besonders.«
»Gefährlich?«, hakte er leise nach, denn in diesem Lager hatten die Zelte Ohren.
Sie lachte leise, glockenhaft. »Nicht mehr, als er es schon immer war.« Sie trat mit einer Waschschale neben ihn und reichte sie ihm. »Würdest du ihn für mich waschen, vor mir will er die Felle nicht lüften.«
Vynsu nahm die Schale, aber er hielt sie zunächst nur fest. Es war ihm nicht peinlich, einen Kranken zu waschen, als Kind hatte er seiner Mutter oft mit ihren Schützlingen geholfen, hatte Verletzte und Kranke und Alte gesäubert, auch an den unmöglichsten Stellen, es fiel ihm nicht schwer, solche Dinge zu verrichten. Und sie hatte ihn gelehrt, dass es niemals unangenehm sein konnte, jemandem in Not zu helfen. Oder einfache Arbeit zu verrichten.
»Danke.« Sie wandte sich wieder ab, die Rabenfedern ihres Kleides raschelten leise.
Vynsu kratzte sich mit dem Daumen über die Stirn, die Waschschale dampfte und fühlte sich heiß an. »Er … er sprach über Dämonen«, erzählte er ihr.
Sie stand schon wieder an ihrem Kräutertisch und drehte mit gerunzelter Stirn das Gesicht über die schmale Schulter. »Hat er geträumt?«
Vynsu schüttelte den Kopf. »Nein.« Und dann erzählte er ihr von der Nacht, als Desith scheinbar verschwunden war und wie aus dem Nichts wiederauftauchte, wie er erwacht war und was er über die Dämonen gesagt hatte.
»Dämonen?«, wiederholte sie und band sich eine Schürze um die schmale Taille. »Völlig unmöglich. Diejenigen, die nicht vernichtet wurden, wurden in die Unterwelt verbannt, und diese ist – wie wir selbst überprüft haben – seitdem schließen des Portals von uns abgeschnitten. Die Dämonen ruhen ohnehin. Sie können nicht erwachen, wenn Zazar es nicht erlaubt, und Zazar hat die Unterwelt von unserer Welt abgeschnitten, um den Riss zu schließen, den das Portal verursacht hat.«
Vynsu rieb sich die schmerzende Schläfe. »Ich komme da nicht mit, Mutter.«
»Verzeih«, entschuldigte sie sich und winkte ab, um sich wieder ihren Kräutern zu widmen, die sie für einen Aufguss und eine Salbe vorbereitete. »Was immer er zu sehen glaubte, kann nicht Wirklichkeit gewesen sein. Es gibt keine Dämonen mehr diesseits der Leere. Vermutlich hat er geträumt, so wie du geträumt hast, er wäre plötzlich fort.«
»Hm.«
Vynsu kniete sich neben Desith und zog die Felle von dessen Leib, dann griff er in die Schale, fischte das durchnässte Tuch heraus und drückte es aus. Wasser plätscherte im stillen Zelt.
»Ich glaube ihm«, sagte er, als er Desiths Rücken wusch. »Er klang nicht wie im Wahn.«
Seine Mutter schwieg, ihre Stirn war in Falten gelegt, während sie nach einem Bund getrocknetem Thymian griff und mit einem Dolch etwas davon abschnitt. »Nun ja, Halbdämonen vielleicht. Oder Zauberer. Die Gerüchte über das Portal und den verschwundenen Sohn von … Desiderius.« Sie stockte immer bei diesem Namen, flüsterte ihn nur traurig, obwohl Jahre vergangen waren seit König Desiderius – einer ihrer Ziehväter – gefallen war. »Diese Bänder könnten tatsächlich etwas bedeuten, vielleicht ein neuer Kult, der auf der Suche nach dieser neuen Macht ist. Am besten, wir hoffen, dass wir diesen Fanatikern niemals begegnen.«
Auf einmal war Vynsu froh, dass sie nicht mehr in Zadest waren, um nach Derrick zu suchen. Wenn sich da Kulte von Magiern herumtrieben, um nach fremder Magie zu suchen, wollte er nicht zwischen die Fronten geraten.
»Es heißt unter uns Hexen, Prinz Sarsar hätte ein Loch zwischen den Welten gefunden«, fuhr seine Mutter leise fort, »einige beten es an, nennen es das göttliche Nichts, und wollen es finden, um seine Macht zu erlangen.«
»Der Dschungel knistert vor Magie«, berichtete Vynsu ihr leise. Er gelangte gerade von Desiths Rücken zu dessen unteren Regionen und hörte ihn im Schlaf wohlig stöhnen. Seine Lider flackerten, vermutlich würde er bald aufwachen. »Mutter, ich … habe wieder geträumt.«
Sie sah ihn aufmerksam an.
Er konnte ihren Blick nicht erwidern.
»Immer wieder derselbe Traum«, erklärte er und faltete das nasse Tuch. »Seit dem Moment, da wir aufbrachen, um Derrick und Desith zu suchen, träume ich von Lohna. Sie steht auf dem Eis und deutet in eine Richtung, dann sehe ich Desith, er liegt in den Armen seines Mörders.«
Er spürte lange ihren forschenden Blick auf sich, aber auch ihre mütterliche Wärme. Trotzdem wollte er nicht aufsehen.
Sie ließ alles stehen und liegen und kniete sich mit raschelnden Röcken neben ihn. Zärtlich strich sie ihm über den Hinterkopf, er genoss ihre Zuneigung. »Das bedeutet etwas, Vynsu. Verschließ dich nicht vor diesen Visionen. Aber denke auch daran, dass dein Verstand dir Streiche spielt. Es ist nicht wirklich Lohna, die du siehst, es ist dein Gewissen, das dich quält.«
»Wenn der Tod zu mir spricht, bedeutet es, dass er kommt?«, hakte er nach und sah sie endlich an.
Trauer und Bedauern standen in ihrem violetten Blick, sie legte den Kopf schief und seufzte. »Ich fürchte, ja. Der Tod versäumt nie, ungelegen aufzutreten, mein Sohn. Aber selten zeigt er uns, wen er wirklich holen will.«
Es war seltsam, wie schnell sich der Verstand an Dinge gewöhnen konnte. Desith hatte Vynsus Schnarchen in der allerersten Nacht als störend empfunden, doch in den letzten Wochen waren diese gegrummelten Laute seine Einschlafhilfe gewesen, wann immer er nachts aufgewacht war und die Gedanken um Derrick, um Dämonen, um die Zeit im Dschungel und die ungewisse Zukunft gewälzt hatte, hatte Vynsus Schnarchen ihn wieder eingeschläfert. Es war immer beständig, gleichmäßig, wurde nicht von plötzlich lauten Grunzern durchbrochen, es war mehr ein tiefes, zufriedenes Grollen, das es Desith leicht gemacht hatte, sich nur darauf zu konzentrieren und zu dem gewohnten Rhythmus einzuschlafen, ähnlich als ob er Schäfchen gezählt hätte.
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