Nur für sie zwang er wieder die Augen auf und stellte sich dem Schmerz, der sich wie ein Frostwind über seinen bandagierten Arm ausbreitete.
»Habt Ihr noch große Schmerzen?«, fragte die Stimme und ließ von ihm ab.
Desith traute seiner Kehle noch nicht, wenn er schluckte fühlte es sich so an, als wäre sie aufgerissen, weshalb er lediglich bejahend nickte.
Er vernahm, wie sie sich entfernte, das leise Rascheln eines bodenlangen Kleides wehte durch das Zelt. Mühsam hob er den Kopf, um seine Heilerin sehen zu können. Als er sie jedoch erblickte, erstarrte er zu Stein.
Das konnte doch unmöglich wahr sein…
Vielleicht täuschte er sich, aber das glaubte er nicht. Er kannte nur eine Frau aus der Geschichte, die violettes Haar besaß und in einem Kleid aus Rabenfedern auftrat.
Sie werkelte mit einem leisen Summen an einem Tisch herum, zerstampfte Kräuter und goss sie mit rotem Wein aus einem dampfenden Krug auf. Der Duft bitterer Blüten stieg im Zelt auf, aber immerhin musste Desith nicht mehr den beißenden, grässlichen Rauch der Räucherwerke des Schamanen ertragen.
»Trinkt das, es betäubt den Schmerz«, trug sie ihm sanft auf, als sie sich mit einem Hornbecher zu ihm umdrehte und langsam auf das Bett zukam.
Desith konnte sie nur anstarren, sein Mund glitt immer weiter auf. »Ihr … Ihr seid die Hexe Karrah.«
Sie lächelte milde und kniete sich vor sein Lager auf ein Wolfsfell, an dem noch der Kopf hing. »Die bin ich wohl. Trinkt, Prinz Desith, das tut Euch gut.«
Sie ließ keine Widerrede zu, legte ihm eine Hand in den Nacken und führte den Becher an seine Lippen. Desith schluckte das heiße Weingemisch, obwohl seine Kehle schmerzte. Dabei starrte er sie noch immer an, unschlüssig, ob er Ehrfurcht oder Angst empfand, wobei diese beiden Empfindungen nahe beieinander lagen.
»Ihr seid Vynsus Mutter«, flüsterte er noch immer perplex. »Ihr wurdet von König Desiderius großgezogen, der Unterweltfürst Bellzazar ist Euer Nennonkel! Ihr … Ihr wart dabei, als der Großkönig in einen spuckenden Feuerberg sprang, um das Ritual des Drachenzähmens zu vollenden. Ihr … Ihr seid… die Hexe aus Nohva. Ihr habt geholfen, das Tor der Unterwelt zu schließen, Ihr … wart beim Großen Krieg dabei…«
Sie lächelte nur milde über sein Gestotter, als wäre sie es gewohnt, dass Menschen in ihrer Nähe sprachlos wurden. »Einfach nur Karrah«, betonte sie bescheiden, stellte den Hornbecher ab und hob stattdessen einen Nachttopf an. »Müsst Ihr?«
Ihr strenger Blick hielt ihn nicht davon ab, zu lügen. Er schüttelte den Kopf und ignorierte den Druck auf seiner Blase. Er würde sich doch nicht vor der mächtigsten Hexe, von der er je gehört hatte, erleichtern.
Sie verengte wissend die Augen, drängte ihn aber nicht und stellte den Nachttopf wieder unter sein Lager. »Wie Ihr wünscht, sagt Bescheid.«
Das würde er niemals tun, lieber ließ er zu, dass ihm die Därme rissen. »J…ja…Mylady.«
Sie grinste belustigt. »Diese Anrede nutzen wir in Carapuhr nicht.«
»Nein, natürlich nicht, ich … ich …« Er senkte beschämt den Kopf, da er keinen vernünftigen Satz mehr Zustande bekam. »Vergebung.« Frustriert schlug er mit der Faust auf die Felle und bereute es sofort, sein Arm schmerzte noch immer bei der leisesten Bewegung, die Verbrennung spannte.
»Sehr höflich«, ihr Tonfall klang lobend, aber es schwang auch reichlich Belustigung darin. »Schlaft noch ein wenig, Prinz Desith. Die Nacht ist gerade erst hereingebrochen.« Sie stand auf und trug den Becher zu ihrem Tisch, wo sie stehen blieb und noch mehr Kräuter in einen Mörser gab.
Desith sah zum Zelteingang, konnte aber nicht erkennen, ob es draußen hell oder dunkel war. Zwar bestanden die Wände nun aus Stoff statt Leder, dennoch ließen sie kein Licht hindurch.
Der Trank zeigte langsam Wirkung, betäubte seinen Schmerz, aber ebenso seinen Verstand. Müdigkeit legte sich wie ein schwerer Mantel über ihn.
»Wo sind wir?«
»Dies ist das Lager des Großkönigs, wir sind in Elkanasai, kurz hinter der Grenze zu Zadest.«
Allein der Klang des Namens dieses abscheulichen Dschungels verursachte ihm ein Schaudern.
»Wie lange bin ich schon hier?«, wollte er wissen.
Sie drehte sich nicht um, ging gewissenhaft ihrer Arbeit nach. »Drei Tage.«
Drei Tage? So lange soll er geschlafen haben?
»Wurde mein Vater informiert? Ist er auf dem Weg?« Einerseits fürchtete er sich vor dessen Tadel und seiner Arroganz, andererseits hätte er ein so vertrautes Gesicht wie das seines Vaters gerade gut gebrauchen können.
»Darüber habe ich keine Kenntnis.«
Ein unbehagliches Gefühl machte ihm die Brust eng. »Wann kann ich nach Hause?«
Sie ließ sich unverschämt viel Zeit, um darauf zu antworten. »Bald gehen wir alle nach Hause«, sagte die Hexe schließlich irgendwann ausweichend.
Desith schüttelte den Kopf, war aber zu müde und musste sich hinlegen. »Ich meine … ich will … zu … zu meiner Familie…«
Seine Augen zuckten zu dem Stuhl, der vor seinem Bett stand, dort lagen Kleider für ihn bereit, feinsäuberlich zusammengefaltet und gestapelt. Aber seine Waffen fehlten. Oder hatte er sie gar verloren, bevor man ihn gefunden hatte? Er konnte sich nicht besinnen, der Trank vernebelte seinen Verstand.
»Ich will… zu meiner Familie.«
Ein Schatten fiel auf ihn, als die Hexe sich in das Kerzenlicht stellte und sich über ihn beugte. Ihre Lockenpracht hüllte ihn ein, sie roch nach Orchideen. »Du bist schon bei deiner Familie, mein Sohn. Das weißt du doch noch, oder? Du hast dem Großkönig die Treue geschworen.«
Er wollte noch verneinen, wollte ihr sagen, dass sein Schwur in dem Moment nichtig geworden war, als Rick … gegangen war. Aber der Schlaf übermannte ihn.
*~*~*
Mit dem schwindenden Fieber, wurden auch seine Träume klarer…
Desith stolperte durch den Dschungel, unter dem Blätterdach herrschte unheilvolldrohendes Zwielicht. Geflüster in den Schatten. Kein Tier schien sich zu regen, dafür schien etwas anderes hinter den Blättern zu lauern, etwas Böses. Er konnte regelrecht spüren, wie es ihn aus der Dunkelheit heraus beobachtete. Es war überall, auf jeder Seite, vor und hinter ihm, immer dort, wohin er gerade nicht blickte.
Gehetzt sah er sich um. »Rick?« Er wollte rufen, wollte schreien, aber die Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Mehr als ein heiseres Raunen entkam seinen Lippen nicht. »Rick?«
Ein Rascheln ließ ihn herumfahren, sein Herzklopfen pochte in seinen Ohren. Er wusste, dass er träumte, konnte den Traum aber nicht beeinflussen. Er ging dem Geräusch entgegen, obwohl er sich selbst anschrie, es nicht zu tun. »Rick?«
Etwas sprang aus dem dichten Unterholz in sein Blickfeld, groß und schlank, nicht mehr als ein Schatten. Er zuckte zurück, das Herz sackte ihm in die Hose, bis er ihn erkannte. Der Schatten nahm Form an, bekam ein Gesicht.
»Rick?« Er blinzelte. Es war Derrick, unverkennbar, groß und muskulös, aber mit einer Grazie, die ihm seine sterbliche, spitzohrige Mutter vererbt hatte. Doch etwas war anders an ihm, fremd und seltsam fern. Er sah Desith an – und doch starrten seine grünen Augen wie durch ihn hindurch, als wäre er in tiefen Grübeleien versunken.
Desith schluckte. »Rick? Lass uns nach Hause gehen, ja?«
Rick drehte sich jedoch einfach um, ohne ein Wort, und ging weiter in den Wald hinein. Suchte oben, suchte unten, blieb aber nicht stehen, folgte einer unsichtbaren Spur, wie ein Wolf der Witterung.
Ein unheimliches Schnattern wehte durch den Wald, die Bäume schienen zu stöhnen.
Desith eilte Rick nach, wollte ihn einholen und ihn festhalten.
Ganz gleich wie schnell er rannte, über kniehohe Wurzelgeflechte und umgestürzte Bäume hechtete, er holte Derrick nie ein, der – obwohl er langsam ging – ihm immer einen Schritt voraus war. Zum Greifen nahe, aber doch unerreichbar.
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