Es kam mir vor, als seien Stunden vergangen, bis Skyler über mir verschwand, um kurz darauf helfend nach meinem Arm zu greifen. Kurzatmig ließ ich mich von ihm ins Innere einer Höhle ziehen, deren Ausmaße ich in der Düsternis nicht einzuschätzen wusste. Augenblicklich nahm das Heulen des Windes ab.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er ganz dicht an meinem Ohr. Ich konnte ihn eher spüren, als dass ich ihn sah.
„Gib mir deine Hand. Wir müssen noch ein Stück weit hinein.“
Ich stolperte hinter ihm her über unser Gepäck in einen geräumigeren Bereich der Höhle. Kleine Öllichter standen auf dem Boden und verströmten ein unheimliches Licht, das unsere Schatten bizarr an der Höhlenwand entlangtanzen ließ.
„Wo sind wir hier?“, fragte ich ihn mit vor Erstaunen geweiteten Augen.
„Am Eingang zum Tor von Merdoran.“
„Dann ist es nicht mehr weit bis zu den Javeérs?“ Bange Hoffnung schwang in meiner Stimme mit.
„Kommt darauf an, was du unter weit verstehst.“
„Übernachten wir etwa hier?“, fragte ich phlegmatisch, viel zu müde, um mich mit Haarspalterei aufzuhalten. Kurz hatte ich wieder das Bild der Raubkatze vor Augen, deren Fänge ich nur knapp entkam.
„Ja. Halte dich einfach in der Nähe der Öllampen auf. Ich hole unsere Ausrüstung.“
Hunger schlug mir seine Faust in den Magen. Wie auf Bestellung brachte Skyler ein paar Streifen gepökelten Fleisches, den letzten Kanten Käse sowie trockenen Rest Brot zum Vorschein. Gierig griff ich nach dem Käse.
„Ich weiß, dass du kein Fleisch magst“, kommentierte er meine Wahl. „Aber bald gibt es keine Auswahl mehr.“ Er lächelte schief, was in dem spärlichen Licht eher einer Fratze glich.
Schweigend nahmen wir das karge Mahl ein. Vor Müdigkeit konnte ich kaum die Augen offenhalten. Ich wollte ihn fragen, woher er den Unterschlupf kannte, wer die Öllichter aufgestellt hatte. Doch kaum hatte ich den letzten Bissen verzehrt, ließ ich mich einfach zur Seite kippen. Skylers Arme fingen mich auf, schoben mir sanft eine Decke unter.
„Ruh dich aus, Montai. Ich halte Wache“, hörte ich noch, bevor ich in einen traumlosen Schlaf versank.
Ich erwachte von eisiger Kälte, dabei lag ich unter zweien dieser seltsamen Felldecken. Fetzen eines fast lautlos geführten Gesprächs drangen an mein Ohr.
„… hast es uns zugesagt!“ Obwohl der Sprecher die Worte sehr leise sprach, klangen sie energisch.
„Scht! Sie wird noch aufwachen“, Skylers tiefes Timbre. „Ich weiß, was ich gesagt habe …“
Ich spitzte die Ohren. Was ging hier vor? Mit wem redete er da?
Die letzten Worte konnte ich nicht mehr verstehen, da sich die Stimmen weiter entfernten. Sollte ich mich weiterhin schlafend stellen, um mehr zu erfahren? Ich ließ einige Zeit verstreichen, ehe ich mich erhob, eine der Decken wie einen Mantel um mich behaltend. Ich fand Skyler am Eingang der Höhle mit angezogenen Knien sitzend vor.
„Kannst du nicht schlafen?“, fragte er in die Nacht hinein, ohne sich nach mir umzudrehen.
„Nein. Ich meinte, Stimmen zu hören“, begann ich vorsichtig.
„Du brauchst dringend Schlaf, wenn du schon Stimmen hörst.“ Es sollte leichthin klingen, aber mein Argwohn war geweckt.
„Mit wem hast du eben gesprochen?“, hakte ich nach.
„Mit niemandem. Vielleicht hast du den Wind gehört. Draußen tobt ein Sturm.“
Du lügst, dachte ich.
„Ich denke, dass ich Windgeräusche von menschlichen Stimmen unterscheiden kann.“ Mit verschränkten Armen blickte ich auf ihn herab. „Verkauf mich also nicht für dumm.“
„Was haben dir diese Stimmen denn gesagt?“, raunte er und grinste amüsiert. In einer einzigen, fließenden Bewegung stand er neben mir. Einen Arm um meine Schultern legend, gab er mir einen Kuss aufs Haar und führte mich wieder ins Innere der Höhle zurück. Sollte ich mir das geheimnisvolle Gespräch nur eingebildet haben? Draußen tobte tatsächlich ein Sturm. Der Wind heulte wie das Wehklagen tausender Stimmen.
„Du frierst ja.“
Tatsächlich bibberte ich vor Kälte.
„Komm her, Sabelanth-Eh.“
Sabelanth-Eh – Kriegerin – ein Wort aus der Sprache der Bowmen, die ich nur ansatzweise verstand und derer er sich äußerst selten bediente. Seine Hände rubbelten mir wärmend über Arme und Rücken, heiße Ströme auf meiner Haut hinterlassend.
„Warum nennst du mich so?“
„Warst du es denn nicht, die den Tschakor getötet hat? Und das mit bloßen Händen“, bemerkte er mit Blick auf meine Schusshand.
„Ein Taschkor soll das gewesen sein? Ich dachte, die leben nur im Dschungel Greenerdoors.“
„Nicht nur. Eine Unterart von ihnen hält sich in den Bergen auf.“
Er führte meine Hand an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf.
„Keine Angst, dass ich meine Emotionen nicht unter Kontrolle habe?“, fragte ich bemüht kühl. Ich hatte ihm seine Zurückweisung und das damit verbundene fadenscheinige Argument noch nicht verziehen.
„Im Moment möchte ich dir vertrauen.“
Er sah mich mit einer Intensität an, die mich an einen Punkt brachte, dem mein Herz nur zu bereit war nachzugeben. Doch wollte ich es ihm nicht zu leicht machen.
„Und im nächsten Augenblick wendest du dich dann wieder von mir ab?“
„Es wäre einen Versuch wert.“
„Du spielst mit mir. Außerdem will ich nicht dein Versuchsobjekt sein.“
Mit ungeheurer Willensstärke wand ich mich aus seinen Armen und kehrte ihm den Rücken zu. Erhobenen Hauptes schritt ich zu meinem Schlafplatz zurück. Skyler folgte mir wie ein Schatten. Ich ignorierte ihn, griff stattdessen die Decke, um mich wieder schlafenzulegen.
„So müde?“, versuchte seine Stimme mich zu umgarnen. Spielerisch nahm er mir die Decke ab.
„Es war ein langer, ereignisreicher Tag und schon bald bricht der nächste an.“ Ich gähnte demonstrativ, dabei hatte ich in dieser verflixten Höhle kein Gefühl für Zeit und Raum. Fürsorglich legte er mir die Decke um die kalten Schultern, schloss mich darin ein, wie in einem Kokon, bevor er mich näher zu sich heranzog.
„Ich kann dafür sorgen, dass du entspannt in den Schlaf findest.“
„Musst du nicht Wache halten?“, fragte ich spitz.
„Da der Tschakor tot ist, bist du und dein Temperament die einzige Gefahr.“
Er hauchte mir einen Kuss aufs Schlüsselbein. Seine Finger vergruben sich in meinem Haar. Ich stieß ihn von mir.
„Du redest den ganzen Tag kein Sterbenswort. Scheuchst mich den steilsten Berg rauf, dem ich je begegnet bin, und dann meinst du, nur Süßholz raspeln zu müssen, und ich zerfließe?“ Mein wildpochendes Herz strafte meine Worte Lügen. Der Verstand versuchte angestrengt, die Oberhand zu behalten. „Ich werde aus dir nicht schlau, Skyler.“
Er maß mich neugierig. Als seine Hand meinen Nacken umfasste, er mit den Fingerkuppen zwischen meinen Schulterblättern hinab wanderte, glaubte ich, von einer Ameisenarmee überrannt zu werden. Mit einer Hand zog er mich am Bund meiner Hose zu sich heran, bis kein Blatt Papier mehr zwischen uns passte. Ich spürte seinen Herzschlag ein Stück über meinem Herzen schlagen, das mir in unkontrollierten Sprüngen aus der Brust zu springen drohte.
„Vertrau mir – und gib acht auf deine Hand.“
Er brachte einen Handschuh hervor und streifte ihn über die Schusshand. Vorsichtig, als sei sie aus Glas.
„Glaubst du, damit aus der Gefahrenzone zu sein?“, fragte ich mit trockener Kehle.
„Gewissermaßen schon.“
Mit sanftem Druck bog er mir den Arm nach hinten auf den Rücken. Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren, als wolle er darin eintauchen. Meine Hand begann zu kribbeln. Würde ein simpler Handschuh ausreichen, vor unkontrolliert abgegebenen Feuersalven?
Skyler küsste meinen Nacken, streifte mir mein Hemd über den Kopf und führte mich auf die Decke zurück. Sein langes Haar kitzelte mir im Gesicht, strich mir über Brust und Bauch. Die Piercings an seinem Ohr spielten in meinen Händen ihre eigene Melodie dazu.
Читать дальше