Erste Funken begannen bereits aus meinem Finger zu sprühen. Skyler bemerkte es und umschloss ihn mit beiden Händen.
„Damals wusste ich noch nicht, wer du bist,“ gab er gequält von sich.
„Ja, und? Jetzt weißt du es eben. Macht das einen Unterschied?“
„Versprichst du mir, nicht mit deinem Finger auf mich zu zeigen?“
„Mit dem hier?“ Kaum hatte ich es ausgesprochen, da stob ein rotglühendes Kügelchen daraus hervor und streifte ihn an der Schulter. Vor Schreck schlug ich mir die Hand vorm Mund.
„Das, das habe ich nicht gewollt“, stammelte ich panisch.
„Und genau das ist der Punkt.“
„Was?“
„Deine Emotionen, deine Fähigkeiten. Du hast sie nicht unter Kontrolle!“ Er sprang auf und lief unruhig umher, ohne dass ich seine Schritte hörte. „Wenn du von Gefühlen geleitet wirst, egal in welcher Form, gerätst du außer Kontrolle!“
Er war wieder an meiner Seite.
„Bedeutet dies jetzt etwa, dass ich jedes Mal Funken sprühe, wenn du mich berührst, küsst oder …“ Meine Stimme kippte, ein Kloß im Hals drohte mir die Luft abzuschnüren.
„Scht, scht, beruhige dich, Montai.“
Trotz meiner Gefährlichkeit wagte er es, mich in die Arme zu nehmen?
„Was hat dir Jodee eigentlich zu den Kugeln gesagt?“, fragte er wie nebenbei.
„Dass sie gegen unerwünschten Kindersegen schützen. Woher weißt du davon?“
„Ich habe sie ihr für dich gegeben, an dem Abend, als du nicht gekommen bist.“
„Aha.“
„Avery, du …“
„Ja?“
„Nichts.“
„Du sprichst wieder mal in Rätseln. Darf ich erfahren warum?“
„Du bist die Tochter einer Magierin, einer dunklen Magierin.“
„Und das bedeutet automatisch, das ich auch Böses im Sinn habe oder haben werde?“
„Du vielleicht nicht, aber dein Kind, wenn es geboren wird. Unser Kind, wenn wir jemals eines haben sollten.“ Der letzte Satz war nur noch geflüstert.
„Sagt wer?“
„Dein Lesestein – liest du eigentlich nie darin?“
Er jedenfalls schien ihn auswendig gelernt zu haben.
„Das ist ja lächerlich“, wies ich seinen Einwand von mir. „Wo ist denn deine untrügliche Vernunft geblieben? Erst reden dir die Javeérs ein, dass Amarott noch am Leben ist und jetzt lässt du dich von uralten Zeilen eines dummen Steins beeinflussen?“
„Er enthält viele Wahrheiten, mit denen du dich besser heute als morgen vertraut machen solltest.“
Skylers seltsames Verhalten und seine Worte hatten mich nachdenklich gestimmt. Weiteren Fragen verschloss er sich, indem er mir einfach den Rücken zukehrte. Alsbald schlief er ein. Wie konnte er jetzt schlafen? Ich dagegen war viel zu aufgewühlt. Als die Kälte unerträglich wurde, rückte ich enger an ihn heran. Er murmelte etwas im Schlaf, wies mich aber nicht ab. Stunden später fiel auch ich in einen unruhigen Schlaf.
„Wir müssen los“, drang Skylers Stimme ungeduldig und dennoch zäh wie Brei an mein Ohr. Langsam kam wieder Leben in meine verspannten Glieder. Alles tat mir weh, von dem unbequemen Nachtlager. Mit steifen Beinen stand ich auf, streckte mich und konnte gerade noch erspähen, wie er seinen Blick rasch abwandte.
„Sind wir heute schlecht gelaunt?“, fragte ich ihn, erhielt aber keine Antwort. „Na toll“, fluchte ich vor mich hin, fuhr mir mit den Fingern statt einer Bürste durchs Haar, um die Locken zu bändigen. Ich suchte den steinigen Untergrund nach meinem Lederbeutel ab, doch Skyler hatte unser Gepäck bereits auf das Lapendor geschnallt, längst im Sattel sitzend.
„Wie ist dein Plan?“, startete ich erneut den Versuch, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
„Wir machen uns auf den Weg nach Merdoran zu den Javeérs.“
„Was für eine Überraschung. Ich dachte, du wolltest mit mir ans Meer“, gab ich schnippisch zurück.
Schweigend führte uns Skyler sicheren Schrittes durch die Ellar Hills, deren graue Granitwand ich bisher nur aus weiter Ferne kannte. Je mehr wir uns darin verloren, desto erdrückender wirkten sie auf mich, hüllten uns ein wie ein steinerner Kessel. Sonnenstrahlen huschten bald nur noch vereinzelt über die kantig, schroffen Felsen und wurden kurz darauf von einem dichten Wolkenkranz verhüllt.
Verstohlen schaute ich mal auf Skylers ausladende Schultern, mal erhaschte ich einen flüchtigen Seitenblick auf seine versteinerte Miene. Was mochte ihn nur derart verstimmt haben?
„Können wir wohl mal eine Pause einlegen?“
Wenn er schon auf mich keine Rücksicht nehmen wollte dann gegebenenfalls auf mein Pferd, das ob des unwegsamen Geländes bereits zu lahmen begann. Statt einer Antwort schweifte sein Blick über die uns umgebenden grauen Steilhänge, bevor er absaß.
„Höchstens eine halbe Stunde.“
„Sag das dem Pferd. Es lahmt. Ich hingegen kann natürlich tagelang ohne Nahrung auskommen, wenn es sein muss. Ich übe mich dann einfach in Meditation. Genug Ruhe dazu habe ich ja.“
Herausfordernd sah ich ihn an, kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um seine Regungen besser wahrzunehmen. Er schien etwas erwidern zu wollen, verkniff es sich aber. Stattdessen nestelte er an den Vorräten herum und hielt mir ein Stück Brot hin.
„Herzlichen Dank. Ich werde es mir gut einteilen. Wer weiß wann ich wieder was …“
„Avery, bitte.“ Er griff sich in den Nacken, knetete die Muskulatur, als sei er darauf aus, sie herausreißen.
„W-a-s?“
„Ich – sehe mal nach deinem Pferd.“
Er wandte sich abrupt ab, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. Unbändige Wut stieg in mir auf. War es das, was er bezweckte? Wollte er mich provozieren, damit die Funken aus meinem Zeigefinger unkontrolliert entweichen konnten? Nein. Ich würde ihm beweisen, dass ich meine Emotionen unter Kontrolle hatte.
Schwindel erfasste mich. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Ich sank ein Stück weiter abseits auf einen Felsvorsprung nieder, atmete tief ein, bis mein Herz wieder ein gemächlicheres Tempo anschlug. Lustlos kaute ich auf der harten Brotkruste herum, mein erster Bissen für heute.
„Verdammt“, hörte ich Skyler leise fluchen, während er die Fesseln des Pferdes untersuchte. „So kommen wir nicht voran. Wir werden zu Fuß weitermüssen.“
Bald zeigte sich jedoch, dass auch dies nicht gelang. Der stetig ansteigende Pfad, dem wir folgten, stellte für die Tiere ein nicht kalkulierbares Risiko dar. Skyler schnallte ihnen daher das Gepäck ab, teilte es unter uns auf, wobei er sich selbst den größeren Teil auflud. Die Pferde überließ er einfach sich selbst, sie würden ihren Weg schon finden, meinte er.
Allmählich begann ich die Anstrengungen des Aufstiegs zu hassen. Jeder Schritt schmerzte. Lederriemen, an denen das Gewicht des Proviants zerrte, schnitten mir ins Fleisch. Doch ich wollte Skyler keinen Anlass zur Kritik geben. Das Atmen fiel mir angesichts der ungewohnten Höhe immer schwerer. Der Wind frischte auf und senkte die Temperatur empfindlich herab. Die Augen konzentriert auf den steinigen Untergrund gerichtet, achtete ich darauf, nicht zu straucheln. Seltsam geformte braune Anhäufungen, bepflasterten zeitweise den Pfad, machten es fast unmöglich ihnen auszuweichen.
„Nur noch ein kleines Stück, dann treffen wir auf eine Höhle, die uns Schutz für die Nacht bietet.“
Skylers Stimme, die ich seit Stunden nicht mehr gehört hatte, drang unnatürlich laut an mein Ohr.
„Wo willst du denn hier eine Höhle finden? Für mich sieht alles gleich aus“, maulte ich. Augenblicklich ließ ich das Gepäck zu Boden gleiten. Kraftlos gaben meine Knie nach.
„Es ist wirklich nicht mehr weit.“
Durchdringend sah er mich an. Irgendetwas an seinem Ausdruck versetzte mich in Alarmbereitschaft. Ich mobilisierte die letzten Kraftreserven, um hinter ihm herzustolpern.
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