Ich verschränkte die Arme vor der Brust zum Zeichen dafür, dass ich mir fürs Erste alles von der Seele geredet hatte.
Skyler wartete geduldig, ob ich meiner Tirade noch was hinzuzusetzen hatte. Jeglicher Spott war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Stimme klang fest und bestimmt.
„Ich habe dir bereits erklärt, dass ich Zeit brauchte mich selbst zu finden, indem ich Antworten bei den Javeérs suchte. Ich wollte nicht, dass du etwas für mich empfindest, sollte in mir derselbe Dämon leben, wie in meinem Halbbruder Amarott.“ Seine Augen bemühten sich um Blickkontakt. Ich sah jedoch rasch an ihm vorbei, um klar denken zu können.
„Es betrübt mich, deinen Vater in die Enge gedrängt zu haben, womit das gut gehütete Geheimnis deiner Herkunft ans Tageslicht kam. Ich wollte euch nicht entzweien.“
Er trat in mein Blickfeld und zwang mich damit, ihn anzusehen.
„Durch deine Ausbildung bei den Javeérs bist du wertvoller für die Menschen, die dir am Herzen liegen, als wenn du mit ihnen einen steinharten Acker bearbeitest.“
Ich wollte protestieren, doch er hob gebieterisch die Hand.
„Allein die Javeérs sind in der Lage, deine Fähigkeiten zu ergründen und auszubilden.“
„Was macht dich da so sicher?“, unterbrach ich ihn und erntete ein zorniges Funkeln seiner Augen.
„Lass mich ausreden! Ich habe dich auch nicht unterbrochen!“
Ja, Meister. Wie du befiehlst, Meister. Ich hasste es, wenn er sich so aufspielte.
„Die mir zugetragenen Informationen über die gelungene Flucht Amarotts stammen nicht zuletzt von den Javeérs selbst, die über ein ausgezeichnetes Netz von Informanten verfügen. Und zu deiner letzten Frage: Es verging kein Tag, keine Nacht, an dem meine Gedanken nicht bei dir waren. Ich wollte dich in deinem Handeln nicht beeinflussen. Du bist jung, Avery, musst deinen Weg erst finden. Ein Leben im Dschungel von Greenerdoor wäre für dich, als würde man einen Tiger im Käfig einsperren.“
Er verstand sich gut darauf, zu argumentieren. Zweifelnd forschte ich in seinen markanten Zügen, ob seine Worte der Wahrheit entsprachen, wollte ihm gern glauben aber …
„Ich hatte mich bereits für Gullorway entschieden, für den Wiederaufbau. Dein Stolz jedoch verbot es dir, sich mir anzuschließen. Was immer es war, dass dich nach so langer Zeit bewog mich hier aufzusuchen, hat nichts mit Gefühlen für mich zu tun.“
Meine Schultern strafften sich in dem Bemühen, meinen Worten Nachdruck zu verleihen.
„Wärst du am Abend meiner Ankunft zu Jodee gekommen, auf ein gemeinsames Glas Kumbrael, hätte ich dir bewiesen, was mich sonst noch nach Gullorway geführt hat.“ Seine Stimme nahm einen rauchigen Unterton an.
„Ja, sicher. Gemeinsam hätten wir dem Alkohol zugesprochen, von dem du bei Weitem mehr verträgst als …“
Urplötzlich versiegelten seine weichen Lippen die meinen, saugten die restlichen Worte in sich auf, die daraufhin zu einem grollenden Gurgeln erstarben. Meine Knie wurden weich. Sonstige Rechtfertigungen fanden keinen Nährboden mehr. Feine Bartstoppeln kratzten mir übers Gesicht wie Brennnesseln, stimulierende Reize aussendend.
„Du hast mir gefehlt, Montai.“
„Warum jetzt?“, setzte ich zu einer letzten Gegenwehr an. Das Prickeln endete. Der Mund verzog sich zu einem warmen Lächeln.
„Weil die Zeit dafür gekommen ist.“
Elegant hob er mich aufs Pferd. Bevor wir aufbrachen, reichte er mir einen reich verzierten Bogen sowie einen gefüllten Pfeilköcher.
„Ein Ortegramm?“, mutmaßte ich in dem Bestreben, meine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Nur wenige waren in der Lage, ein Ortegramm herzustellen. Es ermöglichte dem, der es angefertigt hatte, die beschenkte Person überall zu orten.
Meine Finger fuhren über die kunstvollen Schnitzereien des Bogens. Skyler blieb mir die Antwort schuldig, folgte jedoch meinem prüfenden Ertasten, wie ein Händler, der wusste, dass seine Ware einzigartig ist.
Der Pfeilköcher, hergestellt aus gehärtetem Dschellaleder, wies die Insignien der Bowmen auf – Pfeil und Bogen. Die blauschwarzen Federn an den Pfeilenden mussten von einem Garbet stammen, einem fast ausgestorbenen Vogel der östlichen Inseln, zu denen auch Perges gehörte.
„Probiere ihn aus“, forderte er mich auf. Eine handtellergroße Lederkugel flog plötzlich durch die Luft. Viel zu spät setzte ich einen meiner Pfeile darauf an.
„Hm. Der Bogen muss noch etwas ausbalanciert werden, das ist schnell getan. Deine Reaktionen jedoch lassen stark zu wünschen übrig.“
„Ich bin keine Kriegerin, schon vergessen?“
„Dann wird es Zeit, dass du lernst eine zu sein.“
Wir folgten dem sich windenden Verlauf des Mukonors. Das Haar klebte mir schweißnass im Nacken, doch wagte ich nicht, den unförmigen Lederhut vom Kopf zu nehmen. Trotz der unbarmherzigen Hitze trug ich ein langärmliges Hemd und weiche Lederhandschuhe. Letzteres von Skyler selbst passgenau angefertigt. Sie sollten meine helle Haut vor der gnadenlosen Sonne schützen. Ich hatte allerdings den Verdacht, dass sie ihn eher vor unkontrollierten Feuerkugeln aus meinem Finger bewahren sollten.
Wir vertrieben uns die lange Reisezeit, indem Skyler mich auf alles schießen ließ, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Mal mit Pfeil und Bogen, dann wieder sollte ich meinen Dolch zu Hilfe nehmen – ohne ihn beim Namen zu nennen. YEMAHL, wie er hieß und der rotglühend, butterweich durch Äste oder Knochen schneiden konnte, wenn ich ihn so nannte.
Wenn ich nicht verängstigte Hasen jagte und ihnen das Fell über die Ohren zog, forderte Skyler mich zum Schwertkampf heraus. Die Schwerter bestanden aus Holz, die er zu Übungszwecken angefertigt hatte.
„Stell dich schräg auf! Rechtes Bein vor! Achte auf meine Augen, meine Körpersprache. Versuche, darin zu lesen, was ich als Nächstes tun werde.“
Du meine Güte. Wie sollte ich in diesen beherrschten Gesichtszügen irgendetwas lesen können? Was verrieten mir seine angespannten Muskeln, wenn er das Holzschwert von einer Hand in die andere tanzen ließ, nur um dann doch mit dem Fuß nach mir zu treten? Schon jetzt überzogen meinen Körper mehr blaue Flecke als Mückenstiche.
Er wand mir das Schwert mit einem raschen Hieb aus meinen verkrampften Fingern. Wehrlos stand ich ihm gegenüber. Zorn und Enttäuschung stauten sich in mir und drohten sich explosionsartig zu entladen.
„Lass dich nicht von deinen Gefühlen beherrschen. Sie machen dich unvorsichtig, Avery.“
Augenscheinlich konnte er in meinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch.
„Wenn du mich weiterhin so schikanierst, komme ich als Krüppel bei den Javeérs an.“
Ich rauschte an ihm vorbei und schälte mich aus den verschwitzten Kleidern, stürzte mich kurzerhand in den Fluss. Was für eine Wohltat, die kühlenden, seichten Wogen über die geschundene Haut fließen zu lassen, obwohl der Strom wegen der langen Trockenperiode gerade mal hüfthoch an der tiefsten Stelle war. Genüsslich tauchte ich den Kopf unter, schüttelte mein Haar danach wie ein nasser Hund – und erstarrte.
Am Ufer Stand Skyler, umringt von fünf Männern in zerlumpten Kleidern.
„Badetag? Warum folgst du deiner hübschen Begleiterin nicht in den erfrischenden Fluss?“, verhöhnte ihn einer der Männer, die anderen brachen in donnerndes Gelächter aus. Sie waren mindestens einen Kopf kleiner als Skyler, miserabel ausgerüstet und schienen nicht aus Kandalar zu stammen.
„Er wird sowieso bei den Fischen enden, Bew-Tor.“
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, sackte Bew-Tor wie ein nasser Sack zusammen. Seine Hände, die die Eingeweide im Bauch zu behalten versuchten, glitten kraftlos von ihm ab. Nur Sekunden später brach auch der Sprecher röchelnd zusammen. Die anderen drei hatten kaum Zeit nach ihren Waffen zu greifen, bis auch sie getroffen zu Boden gingen, sich im Todeskampf windend.
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