„Lerne, dich zu beherrschen, Avery“, flüsterte er zwischen Küssen, die mir schier den Verstand raubten. Seine Hände berührten mich in einer Art und Weise, dass ich glaubte, meine Haut brenne.
„Hier. Nimm eine von denen!“ Eine dunkle Kugel rollte auf seine ausgestreckte Hand. Ich machte sie flüchtig als die aus, die mir Jodee mitgegeben hatte. Hastig spülte ich sie mit ein paar Schlucken aus dem Wasserschlauch runter und verschluckte mich prompt.
„Na, na, na. Nicht so gierig!“, rügte er mich scherzhaft.
Wir prusteten beide los vor Lachen. Ein befreiendes Lachen, fern von Spott oder Zwängen. Er wartete, bis ich mich wieder gefangen hatte, bevor er sich für mein Empfinden unendlich langsam seiner Kleidung entledigte. Wie hypnotisiert starrte ich auf seine nackte Haut und das Schlangentattoo auf der Brust. Bei der spärlichen Beleuchtung und seinen rhythmischen Bewegungen wirkte es geradezu animalisch echt. Berauscht sog ich jeden seiner Küsse in mir auf, als müsse ich mich davon ernähren. Bald vergaß ich die seltsame Unterhaltung von soeben, wenn sie denn je stattfand …
Skylers Kopf ruhte auf meiner Brust. Sein Arm umschloss geradezu besitzergreifend meine Taille. Der leicht geöffnete Mund wehte mir eine sanfte Brise auf die Haut, ließ mich frösteln. Es war so verdammt kalt in dieser Höhle, doch wollte ich diesen friedlichen Moment nicht durch eine unbedachte Bewegung zerstören.
Wenn ich an die vergangene Nacht zurückdachte, stieg mir jetzt noch heiße Röte ins Gesicht. Warum konnten wir nicht einfach hierbleiben? Wozu zu den in Einsamkeit lebenden Javeérs?
Niemals zuvor fühlte ich mich derart lebendig, so ernstgenommen wie noch vor ein paar Stunden. Ein Seufzen entfuhr meinen Lippen. Kurz darauf räkelte sich Skyler neben mir und murmelte etwas das klang wie: „Ne-ma Labaschté“, und sah mich verschlafen von der Seite an.
„Was bedeuten diese Worte?“, fragte ich ihn interessiert.
Er grinste verwegen. „Das möchtest du nicht wissen.“
Er gab mir einen innigen Kuss, bevor er aufstand und nach seiner Kleidung griff. Kurz meinte ich, einen triumphalen Ausdruck in seinem Gesicht zu lesen, bevor sein Mienenspiel wieder undurchsichtig wurde. Arroganter Kerl.
Hatte ich geglaubt, nur durch das Tor von Merdoran spazieren zu müssen, um zum Kloster der Javeérs in Kadolonné zu gelangen, so irrte ich gewaltig. Wir durchliefen dieses Höhlensystem, in dem Skyler sich zurechtfand, als wäre es sein Zuhause. Stunden. Tagelang. Bei genauerem Hinsehen schien er zwar mysteriösen Zeichen an den Wänden zu folgen, doch sicher war ich mir nicht. Als ich schon nicht mehr damit rechnete, jemals wieder das Tageslicht zu erblicken, tat sich ein Lichtstreif in der Ferne auf, der tatsächlich einem Tor glich.
Kaum erreichten wir dieses Tor, stellte sich uns ein Mann in den Weg. An Größe zwar Skyler ebenbürtig, verschwand die asketisch aussehende Gestalt fast gänzlich unter einer grobgewebten, grauen Kutte, in den Farben der Ellar Hills.
„Peschterr LeAssenat“, brachte Skyler ihm seinen Gruß entgegen.
„Peschterr Skyler“, antwortete eine keinem Alter zuzuordnende Stimme. Das Gesicht des Sprechers blieb unter der Kapuze verborgen.
„Hier trennen sich unsere Wege, Avery“, wandte Skyler sich an mich. „LeAssenat wird dich zu den Javeérs nach Kadolonné führen“, wollte er sich zum Gehen wenden. Ohne eine Erklärung. Ohne ein Wort des Abschieds.
Brüsk bekam ich ihn am Arm zu fassen und funkelte ihn an. „Was hat das zu bedeuten, Skyler? Wo willst du hin?“
„Ich … habe andere Pläne, vorerst.“
Seine hypnotischen Augen, in denen ich mich sonst zu verlieren drohte, sahen an mir vorbei fast flehentlich zu LeAssenat. Mit den Worten: „Ich lasse euch einen Moment allein“, zog sich dieser diskret zurück.
„Du hast andere Pläne? Wegen dir bin ich doch überhaupt erst hier!“ Meine Stimme schlug in Hysterie um.
„Du bist nicht wegen mir hier, Avery, sondern um in deinen Fähigkeiten ausgebildet zu werden.“
„Komm mir nicht so! Es war dein Wunsch, mich dir anzuschließen und dir in diese menschenleere Bergwelt zu folgen. Denkst du, ich hätte Gullorway freiwillig gegen das hier“, verbittert sah ich mich um, „eingetauscht?“ Verzweifelt kämpfte ich gegen die aufsteigenden Tränen an. Ich wollte vor ihm nicht die Fassung verlieren und tat es doch. „Dann war alles nur gespielt? Um mich herzulocken? Warum?“ Meine Stimme versagte und er konnte verdammt froh sein, dass ich noch den Handschuh trug, sonst hätte ich ihn zu Asche pulverisiert.
„Avery, nicht!“, zwang er mich mit sanfter Gewalt, den Handschuh anzubehalten. „Es ist nicht so, wie du denkst.“
„Was denk ich denn? Dass ich blöd genug war, dir wie ein Schaf zu folgen? Dass ich unserer körperlichen Vereinigung mehr beigemessen habe, als dir ein bloßes Triumphgefühl zu entlocken?“
Er hielt mich mit Bärenkräften umschlossen.
„So ist es nicht. Du bist mein …“
„Eigentum? Gebunden an ein Brandzeichen?“
„Du wirst es verstehen, Avery. Doch jetzt ist nicht die Zeit für Erklärungen. Ich werde dich zurückholen, aber während deiner Ausbildung ist für mich hier kein Platz. Daher musst du bei den Javeérs bleiben, als eine von ihnen.“
„Es war nicht der Wind, der mir im Schlaf zugeflüstert hat, dass du ein Abkommen mit ihnen getroffen hast, richtig?“
Ertappt biss er die Zähne aufeinander.
„Und wer sagt dir, dass ich dich dann überhaupt noch will?“, spie ich ihm entgegen.
„Du kannst gar nicht anders, Montai. Verzeih mir.“
Kurz zog er mich zu sich heran, presste seine Lippen auf meine, bevor er mich freigab. Plötzlich stand LeAssenat wie ein Geist neben mir, seine dürre Hand drückte meine Schulter und ich wurde mit einem Mal sehr, sehr schläfrig. Die letzten Worte, die ich noch vernahm, hallten im Inneren meines Kopfes wider, wie ein Schrei, dabei hatte Skyler sie nur geflüstert. „Meine Guhlant.“
Gerade mal eine Woche war es jetzt her, dass Skyler mich bei den Javeérs zurückgelassen hatte. Umgeben von zwölf wortkargen greisen Männern, von denen selbst der jüngste älter als mein Vater war.
Skeptisch besah ich mir die gewagte Konstruktion des Klosters. Sie bestand aus einer hölzernen Pagode, die kunstvoll mit Balken abgestützt und mit kleinen beeindruckenden Räumlichkeiten hoch oben über einem Gebirgsbach schwebte. Wie ein Schwalbennest an eine senkrechte Felswand gebaut.
Seit Tagen schaltete ich auf stur. Ich aß so gut wie nichts. Wollte mit niemandem reden, wenn sie nicht dazu bereit waren, mir von dem mit Skyler geschlossen Pakt zu berichten. Stumpfsinnig dämmerte ich dahin. In dem Maße wie der Hunger schwand, nahmen die Schmerzen in der Brust zu, genauer gesagt, im Herzen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich nach einem Mann derart verzehren würde. Ich wollte ihn hassen, doch eine unbegreifliche Macht band mich an ihn.
Träge öffnete ich die Augen. Nur am Rande registrierte ich die sehnige Hand, die mir irgendeine Flüssigkeit einzuträufeln versuchte. Dicker als Wasser und dünner als Suppe. Begleitet von einem melodischen Singsang, kehrten meine Lebensgeister mit jedem Löffel zurück.
„Du magst einen ausgeprägten Willen haben, mein Kind aber …“
„Avery“, krächzte ich. „Und ich bin das Kind meines Vaters – niemand sonst.“
Aus dem runzeligen Gesicht meines Gegenübers starrten mich zwei milchige, pupillenlose Augen an – der Mann war blind.
„Warum vergeudest du dein junges Leben, wo hingegen Bedeutsames auf dich wartet?“
Er stellte sich mir nicht vor. Stattdessen ordnete er an, den Inhalt des Bronzebechers in seiner Hand in kleinen Schlucken auszutrinken.
Es bedurfte noch einige Tage und des absonderlichen Mantra, bis ich wieder bei Kräften war. Auch wenn er Magie angewandt hatte, so wusste er doch nichts gegen die Leere in meinem Inneren auszurichten. Das Wort Liebeskummer wollte ich mir nicht einmal gestatten zu denken. Wie hatte ich nur so naiv sein können zu glauben, dass Skyler was an mir lag? Für ihn war ich doch nur das Dummchen, an das er seine Eitelkeit stillte und mit Leichtigkeit herumgekriegt hatte.
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