„Was soll los sein ?" antwortete sie ganz verwundert und machte eine Beklommenheitspause, begleitet von einem mir nur zu sehr bekannten pfauchenden Pusten.
„Na, er wurde doch zum Teufel gejagt".
„Wa — as ? Unsinn ! Er geht ja täglich zur Schule".
Er schlug eine helle Lache auf, während es mir nichts weniger als lachhaft zu Muthe war. Dann sagte er: „Aber, Frau M., das gibt's doch gar nicht. Der Hinausschmiss passirte ja schon vor zwei Wochen".
Nun hörte ich, wie das mir verhasste Satansweib bald die Hände zusammenschlug, bald mit der Faust auf den Tisch loshämmerte und dazwischen hinein das Blaue' vom Himmel
herunter fluchte.
Ich fand es rathsam, aufzustehen und mich anzukleiden, und zwar zog ich zur Vorsorge gegenüber allen üblen Eventualitäten drei Paar Unterhosen übereinander an. Doch er-
wies sich diese Massregel für überflüssig. Es flogen diverse Thüren auf und zu. Ich hörte ein grosses Geschrei, das von einer Controverse zwischen meinem Vater und seinem Hausdrachen herrührte, von welcher ich aber nur die letzten Worte, die bei geöffneter Thüre gesprochen wurden, verstehen konnte. „Ich vergreife mich an dem Kerl nicht mehr", brüllte das rasende Weib, „mache jetzt du mit ihm was du willst; aber 'raus muss er aus dem Haus, der Lump, der Hund, der Taugenichts, aus dem im ganzen Leben nichts werden kann "
Raus! — das stimmte eigentlich auch mit meinem eigenen Verlangen überein, obgleich ich keine Ahnung betreffs des Wohin u. s. w. hatte. Ich kniff mir den nöthigen Muth
in die Hinterbacken und betrat das Schlafzimmer meines Vaters, in welchem sich obgedachtes Donnerwetter ausgetobt hatte.
Mein Vater sah leichenblass aus und zitterte am ganzen Leibe. Stumm und ernst musterte er mich einige Minuten lang, die mir jedoch wie kleine Ewigkeiten vorkamen. Ohne weitere Einleitung sagte er dann : „Ich habe dein Bestes gewollt — meine Geduld mit deinen losen Streichen ist erschöpft — ich werde dich deinem Schicksal überlassen".
Pause ! Ich spielte den verstockten Sünder. Dann kam der kathegorische Imperativ : „Du hast zu wählen, welches Geschäft du erlernen willst — drei Tage gebe ich dir Bedenk-
zeit. Dann kommst du in die Lehre, wo man dir deine Mucken sicher austreibt. . .
Ohne weiteres Besinnen — wieso ich auf diese Idee kam, ist mir weder damals, noch später klar geworden — bemerkte ich: „Wie wäre es, wenn ich die Buchbinderei erlernte ?"
„Buchbinder. So, so. Hast du bestimmte Gründe dafür?"
„Nicht besonders starke; aber ich denke, dass das Buchbinden nicht allzuschwer sein kann, wenigstens kam mir das beim Zuschauen so vor....... Uebrigens gehe ich später ja doch zum Theater ! ...."
So tragisch die ganze Scene war und so peinlich sie wohl hauptsächlich meinen Vater berühren mochte — er musste lachen, wurde aber bald wieder ernst und sprach das grosse Wort gelassen aus : „Junge Schauspieler, alte Bettler ! "
Thatsächlich hatte ich schon damals den Bühnenvogel, der auch später nie gänzlich ausflog. Der gab mir die Courage, die Bemerkung hinzuwerfen : „Ja, gewöhnliche Schau-
spieler — die mögen wohl an den Bettelstab gerathen; ich aber werde es zur Berühmtheit bringen. Es steckt so 'was in mir, das muss zum Vorschein kommen "
Mein Vater grinste und deutete nach einem Spiegel.
„Da guck hinein ", sagte er. „Solch' ein armseliges Gestell und ein total entstelltes Gesicht — das will zum Theater gehen — es ist zum Todtlachen."
Ich liess mich aber nicht irre machen, sondern bemerkte trocken: „Später wird sich das Alles noch verwachsen.
„Und legen, " lautete die lakonische Antwort, womit die Zukunfts-Musik umsomehr ein Ende hatte, als das Giftweib auf der Bildfläche erschien und mir ein Paar gezogene Augen zeigte, welche glühende Pfeile auf mich zu schleudern schienen.
Als die Canaille von dem Buchbinder- Piojekte hörte, war sie sofort mit dem Einwurf bei der Hand, dass das wohl hohes Lehrgeld kosten werde, das ich nie und nimmer werth sei.
Man solle mich auf's Land schicken, dort einem Schneider oder Schuster überliefern — das koste gar nichts, u. s. w.
Doch bestand mein Vater auf meinem Berufs-Wahlrecht.
In der Gestalt des Buchbindeimeisters Weber wurde bald einer jener „Krauterer " entdeckt, welche zur fraglichen Zeit, weil sie keinen Gesellenlohn zahlen konnten, hauptsächlich durch Lehrbubenschindung „ihr Leben machten ", wie man hierzulande sich auszudrücken pflegt. Diese Lehrzeit beschrieb ich bereits in der Schrift „Acht Jahre hinter Schloss und Riegel". Da dieselbe anno 1886 im Gefängniss geschrieben wurde und aus demselben heraus geschmuggelt werden musste, erschien sie anonym, weshalb ich von mir selber in dritter Person sprach. Ich nehme dem einschlägigen Kapitel, knapp und präcise, wie es gehalten ist, das Folgende :
„Diese Lehrzeit gestaltete sich aber bald zu einer völligen Sclaverei. Obgleich der biedere Lehrmeister sich hundert Gulden Lehrgeld zahlen liess und verlangte, dass der Lehrling sein Bett mitbringe und für seine Wäsche aufkomme, beutete er sein Opfer bis zum letzten Blutstropfen aus. Im Sommer musste einfach von 5 Uhr Morgens bis zum Sonnenuntergang gearbeitet werden und im Winter dehnte sich die Schinderei oft gar bis 10 und 12 Uhr Nachts aus. Ausserden gewerblichen Arbeiten hatte der schwächliche Bursche noch Hausknechts- und Kindsmagds-Dienste zu leisten.
Dass er unter solchen Umständen seinen Beruf nicht Heben lernte, leuchtet wohl ein. Aber er betrachtete auch seine Lehrzeit nur als eine Warteperiode. Und worauf wartete er wohl? Er sehnte sich den Augenblick herbei, wo er ausgewachsen sei und sich die Entstellung seines Gesichtes, wie er sich einredete, verzogen haben werde. Dann wollte er (wie bereits im vorigen Abschnitt angedeutet wurde) die Bretter beschreiten, welche die Welt bedeuten.
Das war eine Idee, für welche er Tag und Nacht schwärmte und von der ihn Niemand abzubringen vermochte, bis es endlich klar zu Tage lag, dass er körperlich theaterun-
fähig sei.
Als Lehrling vermochte er Letzteres noch nicht vorauszusehen; und er bereitete sich mit einer unverwüstlichen Hartnäckigkeit und allen Hindernissen zum Trotte auf seinen
vermeintlichen späteren Beruf vor.
Wenn er fortgeschickt wurde, um fertige Waaren abzuliefern, Rohmaterialien einzukaufen oder auch für die Meisterin Marktgänge zu thun, so pflegte er auf der Strasse - — auswendig oder nach dem Buche — Gedichte oder ganze dramatische Scenen zu deklamiren, was mitunter die Strassen- jugend zu förmlichen Zusammenrottungen veranlasste. Mancher erwachsene Sachkenner aber, der den Knaben recitiren hörte, pflegte da zu sagen : „Schade um den Jungen, dass er
nicht für's Theater ausgebildet werden kann."
Geld hatte der arme Bursche natürlich keines; wenn er also einer Theatervorstellung beiwohnen wollte, welches Verlangen insbesondere an Sonntagen Zu einem unwiderstehlichen sich gestaltete, so musste er zusehen, dass das umsonst
geschehen konnte.
Er schlich sich auf die Bühne oder ins Orchester und wusste für längere Zeit die daselbst dienstthuenden Geister durch allerlei falsche Vorspiegelungen in guter Laune ihm
gegenüber zu erhalten.
Kaum hatte indessen der prosaische Buchbindermeister den Kunstenthusiamus seines Eleven entdeckt und ausgefunden, auf welche Weise der letztere die Musen belauschte, so gab er auch schon dem Theaterdiener und Orchesterfactotum diesbezügliche Winke mit dem Zaunpfahle. Johann wurde zum Tempel hinausgeworfen, so bald man ihn erblickte.
Das konnte ihn jedoch nicht entmuthigen, sondern spornte ihn nur dazu an, seinen Zweck, den feindlichen Gewalten zum Trotz, zu erreichen. Er wählte nun den soge-
nannten Schnürboden, einen Raum, welcher sich oberhalb der Bühne befindet, als seine Privatgallerie aus. Um sicherer dort- hin gelangen zu können, pflegte er sich schon eine Stunde vor Beginn der Vorstellung, wo die Bühne noch ganz dunkel war, einzuschleichen und zu seinem Elysium emporzuklettern.
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