Die Luft füllte sich mit den Geräuschen des Angriffs und der Abwehr. Schwertklingen trafen auf Krallen, die den Kindern wuchsen. Schweiß lief ihr in die Augen, doch noch immer zögerte sie, einen tödlichen Schwerthieb auszuführen. Mochte sie nach außen hin kühl und unnahbar erscheinen, was nicht zuletzt an ihrem Gesicht und ihren blonden langen Haaren lag, war es ihr nicht wirklich egal, dass sie gegen Kinder kämpfte.
Doch spätestens als einer der Jungen in ihren Arm biss und merklich Blut aus ihren Körper in seinen sog, war für Celeste die Zeit des Ausweichens vorbei. Mit aller Härte schwang sie ihr Schwert, was sich zeitweise auch wieder in den Dolch zurückverwandelte, um ein paar schmerzhafte Wunden zu hinterlassen.
Trotz allem waren die Kinder in der Überzahl und die Verletzungen, die die jungen Körper zierten, brachten nicht den erhofften Erfolg. Stattdessen kämpften die Lamien immer wütender und immer kräftezehrender. Hätte Celeste nicht bereits gegen zwei Monster gekämpft, hätte sie sich nicht zurückdrängen lassen. Doch jetzt musste sie überlegen, wie sie die Kinder ausschalten konnte. Was bedeutete, dass sie ihre Kräfte schonen musste.
Rückwärts, das Schwert schwingend und Tritte austeilend, bewegte sie sich auf die zwei steinernen Torbögen zu, die sich auf der höchsten Stelle des Berges befanden. Die Lamien schrien und fauchten, doch sie kamen nicht nah genug an Celeste heran, um sie tödlich zu verletzen.
Auch Melina machte es den kindlichen Monstern nicht leicht. Die Magie der Nymphe prallte wirkungslos an den kleinen Körpern ab, was dazu führte, dass sie als einzige Verteidigung ihr Schwert und ihre Pfeile hatte. Sie bewegte sich so schnell, dass die Augen der Lamien ihr nur schwer folgen konnten.
Als Celeste über einen Stein stolperte, rettete ihr genau dies das Leben. Einer der Jungen hätte sie ansonsten mit seinen langen Krallen direkt am Hals erwischt. In einer einzigen fließenden Bewegung stand sie wieder auf, während Azia ein Mädchen attackierte, das zum Sprung auf die Dunkle ansetzte. Ophir hatte weniger Skrupel als sie und biss gerade einem der älteren Kinder in den Arm.
Als Celeste einen weiteren Schritt nach hinten auswich, schoss eine brennende Hitze über ihren Fuß hinauf in ihren Körper. Ein erstickter Schrei entfuhr ihr, der von niemandem außer Azia wahrgenommen wurde. Der Adler flog direkt über Celeste und stieß einen Warnschrei aus. Celeste sah, dass sie nun mitten zwischen den Steinbögen stand.
Auf der Innenseite waren fremde Zeichen eingemeißelt worden, die nun anfingen zu glühen. Aus dem Boden wand sich eine schmale Flamme nach oben. Sie leckte an dem Stein, bis sie die Zeichen ausfüllte und diese so aussahen, als würden sie gerade in das Material gebrannt werden.
Selbst die Lamien hielten mit einem Mal Abstand, was in Celeste ein noch größeres Gefühl der Angst auslöste. Ungebeten kamen ihr die Worte ihres Ausbilders in den Sinn. Nur Schwächlinge haben keine Angst. Dieses Gefühl bringt unseren Körper dazu, ums Überleben zu kämpfen.
Und genau das machte Celeste jetzt. Die Schmerzen in ihrem Körper nahmen mehr und mehr zu, machten sie praktisch bewegungsunfähig.
Melina sah endlich, dass etwas nicht stimmte, doch bevor sie ihrer Freundin helfen konnte, stürmten weitere Lamien aus dem Nichts auf sie zu. Einige waren jetzt sogar mutig genug, einen erneuten Angriff auf Celeste starten zu wollen.
Doch das ließ das Feuer nicht zu. Es schnellte erneut aus dem Boden und verbrannte die Angreifer zu grauer Asche, die durch den Wind in alle Himmelsrichtungen verteilt wurden. Geschockt sah Melina dabei zu, wie sich nun das Feuer an Celestes Körper hinaufschlängelte.
„Lass sie gehen“, donnerte eine männliche Stimme vom Himmel herab.
Die Nymphe wusste instinktiv, dass gerade ein Gott zu ihr gesprochen hatte. Doch alles in ihr schrie danach, Celeste zu helfen. Die Flammen änderten in nur wenigen Sekunden ihre Farben. Von Gelborange bis hin zu Weißblau und ehe Melina noch entscheiden konnte, ob sie dem Befehl Folge leisten sollte, war ihre Freundin verschwunden. Da Azia direkt über Celeste geflogen war, wurde auch sie von den Flammen eingeschlossen und verschwand zusammen mit ihrer Gefährtin.
Zurück blieben nur Melina und Ophir, die sich nun ungefähr zwanzig Lamien gegenübersahen, die sie siegessicher angrinsten und sich bereits die Lippen leckten.
Celeste hörte Azia in ihren Gedanken schreien und wusste, dass sie in Schwierigkeiten steckte. Die weißblauen Flammen nahmen ihr jede Sicht, doch zum Glück hörte das Brennen in ihrem Körper langsam auf. Nach und nach gehorchte ihr Körper ihr wieder. Es kostetet sie all ihre verbliebene Kraft, nicht zurückzuschrecken, als ein paar Schritte vor ihr eine schimmernde Gestalt auftauchte. Sie war etwas größer als Celeste und nur als Schemen wahrnehmbar.
„Sei gegrüßt, Dunkle aus den großen Häusern“, sagte eine dunkle Männerstimme.
„Wer bist du?“
„Das wirst du erfahren, sobald die Zeit dafür reif ist. Ich bin hier, um dir einen Auftrag zu geben.“
„Bist du ein Gott oder ein Monster?“ Celeste biss frustriert die Zähne zusammen, als sie das erheiternde Lachen hörte.
„Manche würden sagen, beides. Edrè ist in Gefahr, aber das weißt du ja bereits. Eine Helle hat das gleiche Tor wie du passiert und ist auf die Erde gereist. Das gesamte Weltgefüge bekommt dadurch immer mehr Risse. Du musst sie finden, einfangen und zurückbringen. Schaffst du das nicht, wird Edrè aufhören zu existieren.“
Celeste ahnte, dass mit diesen drohenden Worten auch gemeint war, dass somit alles Leben in ihrer Welt ausgelöscht werden würde.
„Warum gerade ich?“, entfuhr es ihr verzweifelt. „Warum werde ich geschickt, um die Helle einzufangen? Wie kannst du von mir erwarten, die Last einer ganzen Welt zu tragen?“
Sie spürte ein wenig Wohlwollen in der Luft, als die Gestalt antwortete: „Zweifel niemals an Entscheidungen, die du nicht ändern kannst. Für manch einen ist es ein Spiel, für andere die Nahrung für den eigenen Hass, für andere wiederum ein Anliegen des Herzens, das seit Anbeginn der Zeit existiert.“
Und mit diesen kryptischen Worten verschwand die Gestalt und das Brennen kehrte in Celestes Körper zurück. Wie eine Woge aus reiner Lava rauschte sie durch sie hindurch, bis ihr Körper schließlich kapitulierte und sie in selige Dunkelheit tauchen ließ.
Ian starrte an die Decke seines Hotelzimmers und lauschte auf die Geräusche der Menschen, die sich trotz der späten Stunde draußen aufhielten. Er selbst würde normalerweise auch dazu gehören. Doch als eine eigentümliche Melodie an seine Ohren drang, setzte er sich kerzengerade auf.
Ein Blick auf den Wecker sagte ihm, dass es bereits zwei Uhr nachts war und er somit seit vier Stunden wach in seinem Bett gelegen hatte. Kurz überlegte er, die Melodie zu ignorieren, die sich deutlich von der Musik der Jugendlichen draußen unterschied. Doch letztendlich siegte seine Neugierde.
Im Hinausgehen warf er sich schnell seine Klamotten über, ehe er den Flur entlang und anschließend die dunkle Treppe nach unten lief. Allein, dass das Hotel keinen Fahrstuhl besaß, sagte allen, in was für einem Etablissement er abgestiegen war. Das kam eben davon, wenn man kurzfristig ein Zimmer brauchte und nicht bei seinem besten Freund auf der Couch übernachten wollte.
Als er die schwere Eisentür des Hinterausgangs öffnete, quietschte diese so laut, dass es ihm in den Ohren wehtat. Seine nackten Füße in den Sneakers froren, als er wie ein Dieb in der dunklen Gasse hinter dem Hotel stand und aufmerksam lauschte. Die Melodie war jetzt lauter. Da die lauten Passanten auf der Hauptstraße nichts sagten, ging er davon aus, dass nur er sie hören konnte.
Sein Nacken kribbelte, als er um die Ecke ging, nur um sofort in eine neue, noch kleinere Gasse zu gehen. Die Töne wurden immer lauter, bis er sich schließlich die Hände auf die Ohren drückte. Ein vorbeikommender Polizist warf ihm einen prüfenden Blick zu, doch zu Ians Glück ging er einfach weiter.
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