»Sehr schön!«, sagte Carla. Ihr Blick fiel auf die Arbeitshandschuhe in ihrer Hand. Sie lächelte und steckte sie links und rechts über Zweige des bemützten Baumes. Lilly wollte nicht nachstehen. »Opfer müssen gebracht werden!«, sagte sie, pflückte zwei große, blaue Weihnachtskugeln von ihrem Hut und befestigte sie als Augen unterhalb der Mütze.
Die drei traten einen Schritt zurück und betrachteten ihr Werk. »Der Weihnachtsbaummann!«, murmelte Lilly andächtig.
»Nicht schlecht! Der sieht Martin richtig ähnlich«, sagte jemand hinter ihnen.
Ach genau, Martin hieß er, dachte Franzi. Sie drehte sich um. Rüdiger, der aushilfsweise in der Tankstelle arbeitete, bewunderte ihr Werk. »Schade, ich dachte schon, endlich möchte jemand einen Baum kaufen. Ich soll Martin nämlich heute Abend vertreten. Oder möchtet ihr vielleicht doch einen Baum oder einen Mistelzweig?«
Bedauernd schüttelten die drei ihre Köpfe.
»Wir wollten ihm etwas Wichtiges mitteilen.«, sagte Lilly feierlich.
»Wann ist er den wieder da?«, fragte Franzi.
»Ich fürchte, da müsst ihr bis morgen warten. Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Lass mal, ich komm einfach morgen früh vorbei«, sagte Franzi.
»Gut, dann ... ich glaub, ich muss mal wieder los.« Er deutete in Richtung Tankstelle, wo schon ein Kunde in der Tür stand und sich suchend umsah. »Bis Morgen!«, rief er und sprintete los.
Franzi schaute ihm nach. »Schade. Na egal, morgen ist auch noch ein Tag. Kommt! Wir gehen zu mir und machen es uns gemütlich. Vielleicht ist Felix da, der müsste heute seinen letzten freien Tag haben. Dem können wir von unseren Taten berichten.« Sie stellte sich neben den Weihnachtsbaummann und legte einen Arm um seinen stacheligen Körper. »Mach mal ein Foto!«, sagte sie zu Carla. »Als Anregung für seine nächste Schmückaktion.«
Lilly sah Franzi fragend an. »Versteh ich nicht. Seit wann schmückt Felix denn irgendwas? Ich dachte, nur du bist vom heiligen Weihnachtswahnsinn befallen.«
Carla, die schon ihr Smartphone gezückt hatte, beschrieb Lilly die nächtliche Schmückaktion von Felix.
»Oh, das hört sich gut an!«, sagte Lilly. Sie wickelte sich in ihren bestimmt drei Meter langen Schal. »Dann lasst uns endlich los! Mir ist schon wieder schweinekalt! Außerdem bin ich gespannt auf Felix´ Deko.«
Doch Franzi musste sie enttäuschen. »Alles längst behoben.«
»Schaaade!«, waren Carla und Lilly sich einig.
»Guten Morgen!«, sagte Martin zu der Zeitung, hinter der er Franzi vermutete.
Es hatte geklappt, er stand mit seinen Weihnachtsbäumen auf dem Weihnachtsmarkt und sein erster Weg am ersten Morgen hatte ihn direkt zu Franzi geführt.
Nach dem zweiten, nicht mehr ganz so zaghaften, » Guten Morgen!«, ließ Franzi endlich die Zeitung sinken. »Hallo, schön dass du da bist!« Sie strahlte ihn an. »Hat alles geklappt? Möchtest du einen Kaffee?« Ohne eine Antwort abzuwarten, goss sie ihm einen Becher ein und reichte ihn über die Theke. Dann allerdings griff sie wieder zu ihrer Zeitung. »Entschuldige! Ich will nur schnell noch den letzten Absatz lesen.« Im nächsten Moment war sie auch schon wieder hinter ihrer Zeitung verschwunden.
»Schon Okay«, murmelte Martin und nippte an seinem Kaffee. Nur ein paar Locken und ihre Hände waren noch zu sehen. Obwohl ihre Hände leicht gerötet waren, sah man die zarten Sommersprossen auf den Handrücken. - Ob ihre Hände wohl wieder so kalt waren?
Unvermittelt ließ Franzi die Zeitung sinken und lächelte in seine Beobachtungen hinein. »Hast du schon den Bericht über die neue Ausstellung in der Kunsthalle gelesen? - Sehr interessant. Einer meiner Professoren hat den Artikel geschrieben.«
Martin hob entschuldigend die Schultern. »Ich bin heute Morgen noch gar nicht dazu gekommen, mir eine Zeitung zu holen, geschweige denn sie zu lesen. Es hat eine ganze Weile gedauert, die Bäume und Zäune hierher zu transportieren und alles wieder aufzubauen.«
»Klar! Aber vielleicht kommst du nachher dazu. Ich leih sie dir gerne.«, sagte Franzi.
»Das wäre schön. Es werden ja nicht gleich heute früh Heerscharen von Kunden einen Baum haben wollen. Obwohl ich wirklich hoffe, dass es hier besser läuft als bei der Tankstelle.«
»Das wird es bestimmt.« Franzi war entschieden optimistisch. Sie reichte Martin die Zeitung über den Tresen. Im selben Moment kam Lilly an den Stand. Sie sah die Zeitung und den Artikel mit dem großformatigen Foto. »Oh, der Artikel vom Windei Kugler. Was hat dein Schwarm denn wieder Großartiges verzapft?«
Franzi wurde rot. »Er ist nicht mein Schwarm! Lies den Artikel! Er ist präzise geschrieben und voll interessanter Beobachtungen.«
» Interessante Beobachtungen? Was beobachtet er denn, der Gute?«
»Grr! Du weißt schon, was ich meine! Außerdem musst du doch zugeben, dass er wirklich Ahnung hat, und ein fantastischer Künstler ist und ...«
»Schon gut!« Lilly lachte. »Ich werde nie wieder etwas gegen Kugler den Großen sagen. Es gibt ja auch wirklich schlimmere. Und jetzt schau nicht so sauer. Gib mir lieber einen Kaffee.«
Franzi holte einen weiteren Becher aus dem Regal, füllte ihn mit Kaffee und sagte dabei zu Martin: »Darf ich vorstellen, das ist Lilly.«
»Hi Lilly!«, sagte Martin.
»Hi!«, erwiderte Lilly, sie musterte ihn nicht uninteressiert.
Franzi guckte von einem zum anderen. »Lilly hat mal mit uns zusammen studiert, deswegen meint sie, ihre ätzenden Kommentare abgeben zu können.«
»Richtig. Und ich bin heilfroh, aus diesem Kleckstempel der Eitelkeiten entkommen zu sein.«
»Jetzt versucht sie sich im Musikgewerbe, was ja völlig von Eitelkeiten befreit ist.«
Lilly streckte Franzi die Zunge raus. Die grinste nur, sagte dann aber zu Martin: »Lilly hat eine fantastische Stimme und ihre Band ist wirklich klasse! Eigentlich warten sie nur noch auf den großen Durchbruch.«
»Na ja«, Lilly wiegelte ab. »Um bei der Wahrheit zu bleiben: Wir tingeln von Hochzeit zu Hochzeit, auf der Karriereleiter knapp über dem Alleinunterhalter mit Hammond-Orgel.«
»Aber das klingt doch spannend«, sagte Martin. »Was spielt ihr denn für Musik?«
»Ach, so eine richtige Richtung haben wir eigentlich gar nicht. Ein bisschen Soul, R & B und – na ja, wenn ich ehrlich bin, sind unsere eigenen Stücke erstens rar und zweitens nicht sehr gefragt. Meistens covern wir halt. Aber wir arbeiten an neuen Songs. Und im Moment sind wir, glaube ich, auf einem ganz guten Weg. Allerdings brauchen wir alle noch unsere Brotjobs und deswegen steh ich mir hier auf dem Weihnachtsmarkt die Beine in den Bauch.«
»Sie ist unser Glitzerengel.«, warf Franzi ein. »Jedes Jahr kommt ein neues glitzerndes Produkt hinzu. Glitzerkerzen, Glitzersterne, Glitzer...«
»Glitzerkugeln«, vollendete Martin den Satz.
Verwundert schauten Franzi und Lilly ihn an. Er grinste und deutete auf Lillys Hut, auf dem sie ca. ein Dutzend glitzernde Kugeln drapiert hatte. Lachend sagte Lilly zu Franzi: »Das ist ja ein echter Blitzkneisser!« Die antwortete trocken: »Na ja, er wollte Weihnachtsbäume an der Tankstelle verkaufen, das fand ich jetzt nicht so pfiffig.«
»Ach, du bist das mit den Weihnachtsbäumen.«
»Genau, ich bin der Trottel.«
»Ach was«, sagte Lilly. »Ein bisschen naiv vielleicht. Aber sag mal, wie hat dir denn unser Weihnachtsbaummann gefallen?«
»Ihr habt Waldemar so schön geschmückt?!« Lächelnd sah er von Lilly zu Franzi – und Lilly beobachtete seinen Blick. »Er, also Waldemar hat noch eine Nase und einen Schal bekommen und passt jetzt auf den Stand auf, wenn ich nicht da bin.«, sagte Martin.
»Waldemar, wie wunderbar!«, trällerte Lilly. Schwungvoll drehte sie sich und griff nach dem Zuckerstreuer. »Upps!« Sie prallte mit einem großen, äußerst gediegen gekleideten Mann zusammen. »Jürgen! Was schleichst du dich denn so an? Ich habe einen richtigen Schreck gekriegt.« Was man ihr allerdings keineswegs anmerkte. Jürgen hingegen, sah ziemlich verschreckt aus. »Entschuldige!«, murmelte er und klopfte sich verstohlen den Zucker von seinem eleganten, anthrazitfarbenen Wollmantel. Dann erst nahm er Martin und Franzi richtig war. Er schüttelte Martin förmlich die Hand. »Guten Morgen! Jürgen Simmerlich«, stellte er sich vor.
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