»Kannst du ruhig, ich bin ja schließlich ein sehr seriöser Mensch.« Er schielte über seine auf die Nasenspitze gerutschte Brille.
Lachend umarmte sie ihn. »Ja, und ein ganz besonders lieber!«
»Apropos seriöser Mensch, ich habe Felix gar nicht mehr gesagt, dass ich ihm den Simmerlich in seinen Chor geschickt habe, weil er sich ja immer beklagt, dass sie zu wenig Männer wären.«
»Welchen Simmerlich meinst du? Muss ich den kennen?«, fragte Franzi.
»Na Jürgen Simmerlich, der turnt doch immer bei euch auf dem Weihnachtsmarkt herum und glitzert seitdem so schön.«
»Ach, Glitzi meinst du! Da fällt mir ein, ich habe Lilly noch gar nichts von seinem niedlichen Spitznamen erzählt.«
»Untersteh dich! Er wirkt ein bisschen unscheinbar und steif, doch er ist sehr nett und stille Wasser sind bekanntlich tief. Ich weiß nicht mehr wieso, aber neulich haben wir uns über Musik unterhalten, dabei ist er richtig aufgetaut. Irgendwie kamen wir auch auf den Chor und er war ganz angetan. Vielleicht ist er ja wirklich hingegangen.«
»Hoffentlich!«, sagte Franzi. »Dann bekommt Felix heute gleich zweifach männlichen Zuwachs, das wird ihn freuen.«
»Genau! Und dann muss er uns nicht mehr belatschern und wir können in Ruhe ein Glas Wein trinken.«
»Oder auch zwei.«
Franzi schaute auf ihre Uhr, Viertel nach elf war es erst. Sie war früher als sonst mit den Vorbereitungen für den Mittagsansturm fertig geworden. Der Weihnachtsmarkt war wie ausgestorben. Die Väter und Mütter mit ihren Kinderwagen waren nach Hause geeilt und die Geschäftsleute hatten noch keine Mittagspause. Erst gegen zwölf würde der Weihnachtsmarkt sich wieder füllen. Franzi goss sich eine Tasse Kaffee ein und beobachtete vier Mädchen, die nur wenige Meter entfernt vor dem großen Drogerieschaufenster ihre Instrumente auspackten. Zwei Geigen, eine Klarinette und eine Querflöte kamen zum Vorschein. Nachdem die Mädchen Noten, Notenständer und den obligatorischen Geigenkasten in die richtige Position gebracht hatten, begannen sie zu spielen. Zunächst waren sie etwas zögerlich, wurden aber schnell selbstbewusster. Gar nicht mal so schlecht! Schade, dass sie nur so wenige Zuhörer haben, dachte Franzi.
Lilly kam singend an Franzis Stand. » We wish you a merry Christmas. ..« Franzi klimperte dazu mit Löffeln gegen die Becher im Regal. Gerne hätte sie mitgesungen, doch sie traute sich nicht. Aber Martin traute sich. Er fiel in Lillys Gesang mit ein. Und dann kam auch noch Jürgen dazu, der mit seiner tiefen Stimme den Liedern eine warme Fülle gab.
Die vier Mädchen kamen, ohne ihre Instrumente abzusetzen, zu Franzis Stand herüber und Weihnachten klang über den ganzen Weihnachtsmarkt.
Da Franzi es jedoch fertigbrachte, bei »Jingle Bells« mit ihrem Geklimper wirklich alle aus dem Takt zu bringen, beendeten sie ihre »Jam Session« schließlich lachend.
»So, nu habe ich hoffentlich meine ganzen Weihnachtohrwürmer für dieses Jahr abgenudelt«, sagte Lilly und zog sich ihren Schal zurecht. »Hast du ein Glas Wasser für mich?« Franzi goss ihr ein Glas ein und fragte die Mädchen: »Möchtet ihr auch etwas? Ich gebe einen aus! Apfelschorle oder Holunderpunsch?«
Die Mädchen nahmen das Angebot dankbar an. Und auch Jürgen und Martin ließen sich gerne zu einem winterlichen Heißgetränk überreden.
Einträchtig standen Sänger und Musiker beieinander, pusteten in ihre Becher und ließen Weihnachten in sich nachklingen.
Franzi dachte an das Weihnachten ihrer Kindheit, an die Lieder, an die wundervolle Stimme ihrer Mutter ... In die Stille hinein fragte sie: »Könnt ihr auch: `Maria durch ein Dornwald ging` ?«
»Klar!« Die Mädchen nickten eifrig. »Dafür brauchen wir noch nicht einmal Noten.«
Martin räusperte sich. »Aber ich! Ich bin nicht so textsicher.«
Auch das war kein Problem, die Noten waren schnell herausgesucht. Jürgen setzte seine Lesebrille auf und stellte sich dicht neben Martin. Das Mädchen mit der Querflöte improvisierte eine kleine Einleitung, die anderen drei griffen zu ihren Instrumenten und sahen sich an. Gemeinsam begannen sie zu spielen. Die beiden Männer setzten ein, Lilly schloss für einen Moment die Augen und sang dann mit ihrer wunderschönen klaren Stimme die alte Melodie.
Franzi vergaß zu klimpern; Kerstin vom Nachbarstand hatte sich weit vorgebeugt und hörte mit geschlossenen Augen zu; eine Mutter mit Kinderwagen, die heute spät dran war, blieb lächelnd stehen; ihr Kind lauschte mit offenem Mund, sogar der Taschenverkäufer und die Frau vom Fellstand unterbrachen ihren Plausch ...
»... Jesus und Maria.« Der letzte Ton klang lange nach.
»Wow!« Lilly lächelte. »Da musste ich aber ziemlich in meinen Untiefen wühlen. Ich wusste gar nicht, dass ich mich noch an das Lied erinnere.«
»Das war wunderschön.« Franzi war ganz sentimental zu Mute, ihre Stimme zitterte leicht und ihre Augen glitzerten verdächtig.
Und noch jemand war völlig begeistert. Jürgen konnte kaum an sich halten in seiner Bewunderung. »Wahnsinn! Ich wusste ja, dass du gut bist, aber dass du so wundervoll singst ... Ich meine ich habe es geahnt, aber ...«
»Ach Quatsch!«, Lilly unterbrach ihn. Sie war rot geworden vor Verlegenheit. »Das war einfach ein kitschiges Weihnachtslied, das hat nichts mit dem zu tun, was ich eigentlich mache, äh singe. Wobei ich nicht sagen will, dass ich nicht gut bin. Natürlich bin ich gut! Aber nicht so, ach ...« Sie verhaspelte sich immer mehr, doch dann fiel ihr etwas ein. »Wisst ihr was? Am 20. spielen wir im Kunkel. Das erste Mal nur wir als Band. Also ohne ein Event, das heißt, schon im Rahmen der Tanzparty, aber es ist keine Hochzeit oder so etwas. Na, auf jeden Fall seid ihr alle eingeladen.«
»Echt? Wir auch?«, fragte eines der Geigenmädchen.
»Klar!« Lilly kramte in ihrer Tasche nach den Eintrittskarten.
Eine nach der anderen bedankten sich die Mädchen artig. Während Martin sich seine Karte genauer anschaute. Er lachte. »LA, LI, La, klingt wie ein Kinderlied.«
Lilly grinste. »Stimmt! Wenn man es so ausspricht – wir haben da nicht wirklich lange drüber nachgedacht.«
»Wieso?«, mischte sich Jürgen ein. »Wenn man es richtig ausspricht, klingt es doch sehr schön. Ihr hättet allerdings auch La Lilly nehmen können .«
»Klar!« Lilly schüttelte lachend den Kopf.
Immer noch wie ein Honigkuchenpferd grinsend, fragte Jürgen unvermittelt: »Spielt ihr am 20. auch Weihnachtslieder?«
»Nee! Ich habe doch mit Weihnachten nichts am Hut«, sagte Lilly ziemlich schroff.
»Na ja!« Grinsend tippte Martin gegen die Kugeln an ihrem Hut.
Sie kicherte. »Alles Tarnung.«
Jürgen sah von Lilly zu Martin. Ihm war sein Honigkuchenpferd davongaloppiert.
In der Zwischenzeit hatten die Mädchen ihre Sachen geholt und kamen nun strahlend zurück. Stolz zeigten sie die Münzen in ihrem Geigenkasten. »Nicht schlecht!«, sagte Lilly anerkennend.
»Wir wollten euch etwas abgeben, weil ihr ja mitgesungen habt und so«, sagte das Mädchen mit der Klarinette.
»Nein, nein!«, wehrte Jürgen schnell ab. »Das ist auf jeden Fall euer Verdienst, ihr habt sehr schön gespielt! Aber sagt mal, wieso seid ihr um diese Zeit eigentlich nicht in der Schule?«
»Unsere Orchesterprobe ist ausgefallen. Und da haben wir gedacht, wir könnten ein bisschen Straßenmusik machen.«
»Das war eine sehr gute Idee!«, sagte Martin. »Das fördert die Weihnachtsstimmung auf dem Weihnachtsmarkt und das wiederum fördert den Umsatz. Deswegen bekommt ihr etwas von uns.« Er holte sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche und auch die anderen ließen sich nicht lumpen. Artig bedankten sich die vier und das Mädchen mit der Querflöte meinte: »Das machen wir noch mal!«
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