Franzi guckte nach oben, wo wirklich ein gewaltiger Mistelzweig an der Decke hing. Er musste der andere Kunde bei Martin gewesen sein, dachte sie und gab ihm endlich seinen ersehnten Kuss. »Mistkerl, blöder!« Sie grinste. »Und wo soll ich jetzt damit hin?« Fragend hielt sie ihm ihren Mistelzweig entgegen.
»Ach, den hängen wir nachher in den Hausflur, damit sich die Nachbarn auch ein bisschen liebhaben. Aber jetzt komm, ich will dir was zeigen.« Er war zappelig wie ein kleines Kind, das seine Bastelei hinter dem Rücken versteckt hält. Zugegebenermaßen ziemlich neugierig folgte Franzi ihm in die Küche, und die war wirklich kaum wiederzuerkennen. Alles war auf Hochglanz poliert. »Welch seltener Glanz in dieser Hütte, äh Küche«, staunte Franzi. Nichts deutete mehr auf das nächtliche Gelage hin. Lediglich die Eiszapfen hingen noch am Kronleuchter – aber das sah eigentlich richtig gut aus.
Dann sah Franzi, was er noch für sie angerichtet hatte: Im Küchenfenster hing ein Schwein, ein herrliches Schwein! Es hatte große goldene Engelsflügel, ein Grinsen im Gesicht und es schickte sich an, mit seinem wohlgeformten Hintern eine Arschbombe zu machen. Unter dem Schwein stand, auf der Fensterbank, ein flacher silberner Korb, gefüllt mit einer Wolke aus rosa Zuckerwatte.
Gerührt drückte Franzi Felix. »Das ist ja schön.«
Er grinste stolz. »Ja, nicht! Und guck mal hier, ich habe einen Platz für unseren Adventskranz gefunden.« Er deutete auf den Kühlschrank, der durch das grüne Monstrum ganz verändert aussah. »Ich habe extra meine Müsligläser weggeräumt.«
Oh ha, das war wirklich ein Opfer. Denn sein Müsli, das er jeden Morgen aufs Neue zusammenstellte, war ihm heilig.
»Das ist ein super Platz, aber wo hast du denn dein Vogelfutter untergebracht?«, fragte Franzi.
Felix öffnete einen Küchenschrank, in dem die Gläser mit den Nüssen, Kernen und getrockneten Früchten dicht gedrängt und übereinandergestapelt standen. »Ich habe ein bisschen umgeräumt – ist ja nicht für lange?!«
»Nein, nein, spätestens Anfang März, kannst du alles wieder zurück räumen.«
Als Franzi sein Gesicht sah, lachte sie. »Ich habe nur Spaß gemacht.«
Sichtlich erleichtert nahm er sie in den Arm. »Alles wieder gut?«
»Ja, du lieber Chaot.« Sie gab ihm noch einen Kuss. »Ich glaub, ich war ganz schön empfindlich und hab vielleicht auch ein bisschen übertrieben mit meiner Schmückerei.«
»Vielleicht ein klitzekleines bisschen.«, sagte Felix, fügte aber schnell hinzu: »Aber hör bloß nicht auf damit. Ich liebe es.«
»Klar.« Sie schnupperte. »Mm, was riecht denn hier so lecker? Wenn du jetzt auch noch gekocht hast, fall ich gleich hintenüber.«
Felix war Koch mit Leib, Seele und Leidenschaft. Zu Hause jedoch kochte er nur äußerst selten. Er hatte sein Hobby zum Beruf gemacht und konnte sich so in seiner Freizeit anderen schönen Dingen widmen, meinte er.
»Ich hab mit dem Gedanken gespielt«, sagte Felix.
»Nein!«
»Doch! Aber dann fiel mein Blick auf die Nummer vom Pizzaservice und ich erinnerte mich, dass du schon seit einer Ewigkeit nicht mehr deine Lieblingspizza gegessen hast.«
Er öffnete den Ofen. »Und hier ist sie – die Spezial Parmaschinken, Pfirsich, Rucola Pizza, frisch wieder aufgebacken. Ta, Ta!«
Mit dem Tusch stellte er die Pizza auf den Tisch und holte noch eine zweite aus dem Ofen. »Allein Essen ist doof. Holst du Weingläser? Ich habe uns noch einen guten Bordeaux mitgebracht.«
»Sag mal, woher wusstest du eigentlich, wann ich komme?«, fragte Franzi zwischen zwei Bissen, mit halb vollem Mund – die Pizza war einfach zu köstlich. »Du hast ja direkt hinter der Tür gelauert, als ich aufschließen wollte.«
Felix setzte sein Glas ab. »Ich habe euch schon eine ganze Weile beobachtet, dich und den netten Weihnachtsbaummenschen.« Nachdenklich fügte er hinzu: »Wäre der nicht was für dich? Der ist doch echt niedlich.«
Franzi verdrehte die Augen. »Felix, lass den Quatsch! Er ist wirklich ein netter Mensch – aber nein danke, kein Bedarf.«
»Na, wer nicht will, der hat schon.« Forschend beobachtete Felix Franzis Gesicht. »Ach nee, Franzi! Doch nicht immer noch der Prof?«
Ärgerlich, verlegen und leider ziemlich rot, wie Franzi spürte, murmelte sie: »Quatsch! Du verstehst das nicht.«
Betrübt schüttelte Felix den Kopf. »Stimmt, ich versteh das wirklich nicht.« Als er ihren Blick sah, seufzte er. »Schon gut, vergessen wir das Thema.« Er lehnte sich zurück und sagte betont munter: »Lass uns eine deiner Weihnachtsdrogen gucken.« Womit er Franzis gut sortierte Sammlung von Weihnacht-DVDs meinte. Von Klamauk bis Kitsch war alles vorhanden, was irgendwie mit Weihnachten zu tun hatte. »Mir ist heut so, nach der ganzen Schmückerei. Wir kuscheln uns aufs Sofa und glotzen bis der Bildschirm schneit.«
»Au ja!« Franzi war schon dabei sich durch ihr Sortiment zu wühlen. »Aber welche Generation bist du denn? Der Bildschirm schneit doch heut nicht mehr.«
»Na, bei dir schon. Du freche Göre! Und jetzt rück mal, der Opa bringt den Wein mit. Denn Weihnachten muss Opa auf den Wein achten! Da kennt er sich aus.«
Felix ließ sich in das große, plüschige Sofa fallen, ein Erbstück seiner Oma, das er mit einem wunderschönen, tiefblauen Samt hatte beziehen lassen. Das Sofa war das Prunkstück in dem kleinen, an die Küche angrenzendem Raum, den Franzi und Felix zu ihrem Wohnzimmer auserkoren hatten. Nachdem Franzi noch fast ein Dutzend Kerzen angezündet hatte, kuschelte sie sich in die andere Ecke des Sofas und griff nach der Fernbedienung.
»Was gibt es denn Schönes?«, fragte Felix.
»Das Wunder von Manhattan.«
Daraufhin summte Felix: » Wunder gibt es immer wieder «
»Mm ...«
»Oh Fränzchen!«
»Pst!«
»Ach Mädchen nee, das ist doch Schrott! Das hatten wir doch alles schon! Mit diesem altbackenen Mist kannst du hier nichts mehr werden.«
Ein Loch – bitte ein Loch. Franzi sackte immer mehr in sich zusammen. Sie wünschte sich sehnlichst, dass der Boden sich auftun und sie samt ihrer Werke verschlucken würde. Professor Helmer machte sie – mal wieder – vor dem versammelten Kurs fertig. Sie wusste ja, dass sie keine wahnsinnig geniale, moderne oder innovative Künstlerin war, aber diesmal gefielen Franzi ihre eigenen Bilder – eigentlich. Das Thema hatte ihr wirklich gelegen, zumindest hatte sie das bis jetzt angenommen. Ausnahmsweise war es mal nicht erschöpfend originell, wie zum Beispiel das des letzten Sommersemesters: » Explodierendes Glas vor amorphem Hintergrund – die Härte der Vergänglichkeit«. Diese Themen brachten Franzi zur Verzweiflung, und sie haderte regelmäßig mit sich und ihrem Studienfach. Diesmal hatte das Thema schlicht und ergreifend »Landschaft« gelautet. Ihre Kommilitonen hatten unisono aufgestöhnt und vermutet, Helmer war zu faul gewesen, sich etwas Anständiges auszudenken. Franzi jedoch hatte sich gefreut. Endlich ein Thema, mit dem sie wirklich etwas anfangen konnte. Außerdem liebte sie es, in der Natur zu malen. Voller Tatendrang war sie zu all ihren liebsten Orten in der Umgebung geradelt, hatte sorgfältig Ausschnitte gewählt, mit unterschiedlichen Materialien und Techniken experimentiert, versucht ihre Gefühle in die Arbeiten einfließen zu lassen und ... verdammt ihr Herzblut lag in diesen Bildern. Und dennoch stand sie wieder mal da – puterrot, mit glühenden Ohren – und wollte sich einfach nur in Luft auflösen. Was hatte sie hier zu suchen? Es war zwecklos. Sie war keine Künstlerin und würde auch nie eine sein. Wieso tu ich mir das bloß an, dachte Franzi.
»Wer hat sie bloß zum Studium zugelassen?«, polterte Professor Helmer weiter.
Die ganze Zeit schon hatte Carla ihre Freundin besorgt beobachtet. Dass Helmer ein Arsch war und sich immer wieder einzelne Studenten herauspickte, um sie runterzumachen, war hinlänglich bekannt. Doch hier ging es um Franzi, und er war eindeutig zu weit gegangen! Ihr platzte der Kragen. »Jetzt machen sie aber mal einen Punkt! Franzis Arbeiten sind großartig! Sie wird hier nur fertiggemacht, weil keiner mehr so malen kann. Jeder kleckst und kleckert doch nur, wer weiß wie spektakulär und schräg, um irgendwie aufzufallen.«
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