»Ja, aber vielleicht besser am Nachmittag, wenn mehr los ist«, riet Lilly.
»Gute Idee, dann haben wir auch mehr Zeit. Apropos Zeit.« Der Blick der Musikerin wanderte zu der Rathausuhr. »Unser Bus kommt in fünf Minuten!« Hektisch packten sie ihre Instrumente ein, verabschiedeten sich eilig und rannten mit wehenden Schals in Richtung Bushaltestelle.
Jürgen sah ihnen nach. »Ich muss dann auch mal wieder.« Er wandte sich zum Gehen, doch Lilly hielt ihn auf. »Warte! Hast du ihnen da so viel reingelegt?«
»Na ja, ein bisschen was, ich fand, man sollte sie unterstützen. Aber es war nicht alles von mir. Ich habe auch einige Kollegen gesehen, die etwas hineingelegt haben. Aber ...« Jürgen unterbrach sich. »Vielleicht ...« Begann er, nestelte an seinem Mantel und holte aus der Innentasche eine Papierrolle. Einen Moment drehte er sie unschlüssig in seinen Händen, schließlich reichte er Lilly die Rolle. »Vielleicht kannst du ja doch etwas damit anfangen.« Er nickte den beiden anderen zu und ging schnellen Schrittes, ohne weiteren Gruß, davon.
Verdutzt schaute Lilly ihm hinterher und entrollte dann langsam das Papier. Eine ganze Weile starrte sie darauf. Nachdenklich begann sie vor sich hin zu summen, sie lächelte. »Bis später«, murmelte sie und ging leise singend zu ihrem Stand zurück.
Martin und Franzi guckten sich an. »Was war das jetzt?«, fragte Martin. Franzi zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung!«
Martin stellte den Metallzaun um seine Bäume und mühte sich, die letzten Elemente mit einem Vorhangschloss zu verbinden. Endlich schnappte das rostige, alte Schloss ein – da waren dringend ein paar Tropfen Öl nötig. Aber nicht heute Abend. Er steckte den Schlüssel in die Hosentasche, schwang seinen Rucksack über die Schulter und beeilte sich, zu Franzi zu kommen. Die war zwar noch dabei ihren Stand zu schließen, aber eigentlich war sie schon auf dem Sprung. Sie war mit Carla verabredet und die wartete schon ungeduldig. Sobald die letzte Luke geschlossen war, wünschten Franzi und Carla Martin einen schönen Abend und zogen ohne ihn los.
Enttäuscht schaute Martin ihnen nach. Sie hatten ihn kaum beachtet und nicht gefragt, ob er vielleicht Lust hätte mitzukommen. Er zog seine Mütze tiefer ins Gesicht, er hatte das Gefühl, es wurde immer kälter. Erst wollte er noch einen Abstecher in einen Supermarkt machen, um sich etwas zum Kochen zu besorgen, entschied sich dann aber dagegen. Er sprang auf dem Weg nur schnell in einen Bäcker und kaufte zwei belegte Brötchen.
Die Wohnung war kalt und verlassen. Der Freund, der Martin sein WG-Zimmer überlassen hatte, absolvierte ein Auslandssemester, sein Mitbewohner hatte das Semester abgekürzt und war bereits zu seinen Eltern irgendwo in Süddeutschland gefahren.
Martin drehte die Heizung ein bisschen weiter auf, was nicht viel brachte, denn das Kälteste in dieser Wohnung war der komplett und scheußlich gekachelte Boden. Die ganze Wohnung hatte absolut nichts Anheimelndes. Männer haben nur selten die Gabe, es sich wirklich gemütlich zu machen, und die beiden Bewohner dieser Wohnung hatten sie definitiv nicht.
Mit seinen Brötchen setzte Martin sich an den grauen Resopal Küchentisch. Aus dem einen Brötchen hing ein trauriges, schlaffes Salatblatt und aus dem anderen guckte eine an den Rändern angetrocknete Käsescheibe. Die Brötchen waren genauso trostlos wie die Wohnung, der ganze Abend und ... War echt eine super Idee gewesen, hier Weihnachtsbäume zu verkaufen, dachte Martin.
Aber mit den Brötchen im Magen (sie hatten besser geschmeckt, als sie aussahen) und nachdem er das Geld in seiner Kasse gezählt hatte, sah die Welt schon wieder ein bisschen besser aus. - Schluss mit dem Selbstmitleid. Es war doch eigentlich ganz gut gelaufen die letzten Tage. Er holte sein Handy aus der Tasche, starrte einen Moment auf das Display – seufzte und wählte.
Sein Vater war ziemlich schnell am Telefon. »Lindhöft!«
»Hallo Vaddern, du am Telefon? Ist Mama gar nicht da?«
»Nee, hörst du doch. Was wolltest du denn von Ihr?«
»Ach nichts, nur weil sie sonst immer ans Telefon geht.«
»Ja, sie ist nicht da. Soll ich ihr etwas ausrichten?«
»Nö, ich wollte eigentlich nur mal berichten, dass es jetzt ganz gut läuft mit den Weihnachtsbäumen, ich habe schon eine ganze Menge verkauft und ...«
Sein Vater unterbrach ihn. »Ja schön, ich muss jetzt Schluss machen, ich habe im Moment andere Sorgen.«
Martin hörte Gemurmel im Hintergrund und im nächsten Augenblick hatte sein Vater auch schon aufgelegt.
Verdutzt starrte Martin auf sein Handy. Was war das jetzt wieder? Okay, er verstand sich momentan nicht wirklich gut mit seinem Vater, aber so hatte er sich noch nie verhalten.
Das Verhältnis zu seinem Vater war eigentlich erst seit der ganzen Weihnachtsbaumgeschichte so mies. Vorher hatten sie ihre Meinungsverschiedenheiten gehabt, aber immer miteinander reden können. Doch seit Martin die Weihnachtsbaumschonung von seinem Großvater geerbt hatte, hatte er das Gefühl kein vernünftiges Wort mehr mit seinem Vater wechseln zu können. Wie hatte bloß diese völlig verfahrene Situation entstehen können? Martin starrte auf die geschmacklose Tapete. Wie konnten sich zwei erwachsene Männer nur mit so etwas in der Wohnung abfinden?
Mist, dachte Martin, jetzt habe ich vergessen, ihn zu fragen, ob er mir Nachschub bringen kann.
Restlos gefrustet zappte er sich durch das Fernsehprogramm, das frustrierte jedoch nur noch mehr. Nachdem er bei der fünften Quizshow gelandet war, gab er auf. Er holte sich sein Buch aus dem Rucksack, machte es sich auf der Schlafcouch bequem, stopfte sich noch ein Kissen in den Nacken und schlug das Buch auf. Doch er konnte sich nicht auf sein Buch konzentrieren, immer wieder schweiften seine Gedanken zum Weihnachtsmarkt. Franzi wie sie Erbsensuppe servierte – es schüttelte ihn, wenn er nur an den Anblick der grünen Pampe dachte. Dann dominierte jedoch glücklicherweise Franzis Gesicht seine Traumbilder. Ihr Lächeln, die zarten, kaum erkennbaren Sommersprossen auf ihrer Nase; die Art wie sie ihre feinen widerspenstigen Locken aus der Stirn pustete ... Martins Augen fielen zu.
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