Schnell noch etwas Geld von der Sparkasse geholt. Im Osten wie im Westen Paläste. Die Kommunen haben es ja … Dann zum Bahnhof und Dors verabschiedet. Der Himmel weint, leise tropft es auf den Sattel.
Im Regen durch Sonneberg, alles relativ gepflegt, kurz vor der Grenze eine syrische (?), junge Familie auf dem Bahnhof, also doch, es gibt sie auch hier im Osten, zum Glück noch keine ausländerfreien Zonen. Im Zug noch ein kurzein Interview mit Dors über seine bisherigen Eindrücke.
Ketschenbach bei Neustadt b. Coburg: Gaststätte Klößerei
Männer holen den Sonntagsbraten
Richtung Neustadt bei Coburg noch ein Gespräch mit zwei Arbeitern, die sonntags (?) an einer Waschanlage Ausbesserungsarbeiten durchführen. Sie kommen aus dem Westen und arbeiten im Osten. Wohl kein Einzelfall, wie sich in den nächsten Tagen herausstellen sollte. Der „Marktkauf“ lässt in einiger Entfernung grüßen: Subvention Ost?
In Neustadt bei Coburg fällt mir als erstes der türkische Fußballverein auf. Die Häuser machen einen nicht so gepflegten Eindruck wie im thüringischen Sonneberg. Einbildung, Vorurteil? Auf dem Marktplatz ein Gespräch mit einem ca. 55-jährigen Frührentner, der seinen kleinen Hund Gassi führt. „ Schauen Sie sich doch mal den Marktplatz hier an! Nichts mehr los hier, alles runtergekommen .“ Berichtet von seinen Fahrten in den 70er und 80er Jahren zu den Verwandten in die Sperrzone, Treffen in Sonneberg. Die Stasi hörte immer zu.
Tour de Neustadt, einmal im Kreis gefahren – das einzig Gute war, dass ich durch Zufall an der Kultgaststätte, die ich schon aus der Grünen-Band-Literatur kenne, „Klößerei“, dem Gasthaus „Lindenhof“, vorbeikomme. Die Männer stehen in Schlangen vor dem Ausgabefenster und holen in ihren Kochtöpfen den sonntäglichen Braten und die Klöße. Drinnen ist die Hölle los. Ich bestelle mir eine Riesenportion Sauerbraten. Natürlich mit Klößen. Mit vollem Magen geht es weiter: die Karte in Stefan Essers sehr nützlichem Buch ` Radtouren am Grünen Band ´ lügt nicht. Einmal unfreiwillig Neustadt b. Coburg Ortsumgehung. Schließlich finde ich mit Hilfe von Einheimischen raus aus dem Gewirr Richtung Eisfeld. Der nächste Berg wartet. Wie wird der Akku das heute schaffen?
Am Froschgrundsee ein nettes Ehepaar, fitte Radler im Rentenalter: „ Nein, E-Bikes brauchen wir noch nicht.“ Sie wünschen mir eine gute Fahrt. Ein Fahrrad-Haudegen, locker über 70, rät mir von der Nebenstrecke Richtung Eisfeld ab: „ zu viel Berge!“.
In Schalkau versuche ich einen Chai in dem türkischen Imbiss zu bekommen. Ayran? Fehlanzeige. Tote Hose in dem Laden, aber nachher kommen doch noch ein paar Jugendliche und holen sich etwas zu essen.
Fahrt nach Görsdorf, wo wohl noch ein Rest der Grenzanlagen stehen soll. Unterwegs mit einem 30-Jährigen über E-Bikes gefachsimpelt. Er war mit seinen Eltern schon überall in Deutschland, Österreich und hat sogar eine Mountainbike-Tour nach Luxemburg gemacht. Die DDR? Nur vom Hörensagen. Die junge Generation geht offensichtlich anders damit um.
Am Ortseingang von Görsdorf noch kurze Diskussion mit einem Ehepaar meines Alters. „ Wie war das hier an der Grenze im Sperrgebiet“, frage ich. „ Alles ok, man hat sich halt daran gewöhnt. Nur bei Verwandtenbesuchen war es schwierig.“ In Steinwurfweite war der Westen. Fotosession an den Überresten der Mauer. Mein Stativ kommt zum ersten Mal zum Einsatz. In die Mauer haben Leute ein Loch reingeklopft. Symbolik.
Über Umwege auf der westdeutschen Seite nach Eisfeld. Oben auf dem Berg befindet sich die GüSt Rottenbach-Eisfeld. Relativ kaputt frage ich in der großen Tankstelle nach, wo man hier übernachten kann. „Waldhotel Hubertus“ – Großes Hotel: Essen bitte bis 19.30 Uhr bestellen.
Viele Tische mit Reserviert- Schildern, wie früher zu DDR-Zeiten.
Blick auf den Froschgrundsee
Mauerüberreste bei Görsdorf
Nach dem Essen (Thüringer Rostbratwürste mit Sauerkraut) falle ich mit vollem Magen ins Bett. Die Schulter schmerzt gewaltig. Die Füße freuen sich, in die Badelatschen zu kommen. Von 9 bis kurz nach 11 Uhr abends im Koma gelegen. Ist es wohl alles zu viel? Was wird wohl Dors machen?
Tag 6 (23.07.2018): Von Eisfeld nach Einöd
km: 222 – 255
Beim Aufstehen tun meine Knochen mal wieder weh. Frühstück ok. Ein Paar, über 60, sportliches Radler-Outfit, fährt die Werra runter bis nach Hann. Münden. Ich richte Grüße aus. Die Stadt, in der ich in den 60er Jahren zur Schule gegangen bin und einen rücksichtsvollen, jungen Klassenlehrer (Mathe und Physik) hatte. Er hat mich durchs Abi geschleust. Nach der Fünf in Englisch (Klasse 10) und der Fünf in Französisch (Klasse 12) durfte ich keine weitere haben. Natürlich auch vielen Dank an den leider nicht mehr unter uns weilenden Klassenkameraden Ulrich N., der mich nicht nur oft mit Hausaufgaben, sondern auch während der Physik-Klausur unterstützt hat…
In Ahlstadt steht eine wunderschöne Kirche. Ich komme mit H. ins Gespräch. Frührentner, früher Bauer, jetzt trägt er mit seiner Frau morgens ab halb drei Zeitungen aus. Unterstützung bekommt er nicht angesichts seines Besitzes an Ackerflächen. Früher war es hier ruhig, total ruhig. Das einzige, was gestört hat, waren die Amerikaner mit ihren Jeeps und Panzern, aber kein Problem. Flurschäden wurden großzügig reguliert. „ Nach 1989 musste man hier alles abschließen. Im November sind die DDR-Bürger mit den Trabbis gekommen. Kilometerlange Schlangen .“ Heute jedoch keine Ressentiments, nur vereinzelt.
Er erzählt von seiner Krankheit, Morphium, Rückenschmerzen. Keine Perspektiven und das mit Mitte Fünfzig. Das Gespräch macht mich sehr nachdenklich. Ich vergleiche seine und meine gesundheitliche Situation. Ich empfinde große Dankbarkeit.
Grenzübergangsstelle Rottenbach – Eisfeld: Grenzturm mit Museum
In Grattstadt mache ich eine Vesperpause unter einem schönen Nussbaum. Ab und an kommt ein Auto vorbei. Fast wie in den 60er Jahren in den kleinen Dörfern.
Über Heldritt fahre ich nach Bad Rodach .Die italienische Eisdiele am Marktplatz gehört mir: ein Eiskaffee. Am Nachbartisch eine relativ (wohlhabende) ausländische Familie, vermutlich Flüchtlinge (aus Syrien?), fährt nachher mit dem großen, gebrauchten Volvo weg. Das deutsche Ehepaar mittleren Alters am Nachbartisch schaut mit großen Augen hinterher. Im „Netto“ kaufe ich mir eine Banane, Zahncreme und Zahnbürste, die ich bei Dietrich liegen gelassen habe. Alles ist so vertraut (im Westen).
Auf dem Weg zur Burgruine Straufhain treffe ich einen Kollegen, einen Haibike -Fahrer aus dem Osten, der sich noch gut an die Zeiten vor der Wende erinnern kann. Alles war in den Grenzdörfern ruhig, man konnte auf der Straße spielen. „ Heute muss ich die Kinder zur Vorsicht aufrufen .“
Auf der Fahrt nach Ahlstadt – Landschaft pur
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