Sie musste rund drei Kilometer fahren, um von der Walddiskothek nach Hause zu kommen. Ihre Wohnung lag am anderen Ende von Neustadt, direkt über einem Möbelhaus. Auf den gut einhundert Quadratmetern Dachwohnung hatte sie sich eine schöne Penthouseatmosphäre geschaffen.
Um drei Uhr zuhause eingetroffen, entledigte sie sich der verschwitzten, rauchigen Klamotten und sprang noch schnell unter die Dusche. Als sie danach auf direktem Weg Richtung Bett ging, lagen ihr plötzlich drei Bücher im Weg. Sie schienen selbständig aus dem Regal gefallen zu sein. Beim Zurücklegen weckte das eine, mit der Aufschrift ´Tagebuch von Samantha Bauer´, ihr Interesse. Sie nahm es mit ins Bett und schlug die erste Seite auf.
Name: Samantha Bauer
Geb: 02.02.1988
Größe: 179 cm
Maße: 99/63/89 cm
zurückblickend auf den Moment, wie sie sich damals vermessen hatte, musste Samantha beim Lesen herzhaft schmunzeln.
Augenfarbe: braun
Haarfarbe: gerade blond
Adresse: oft wechselnd
Heute ist der 02.02.2013. Mein 25. Geburtstag. Auf mein Leben zurückblickend fällt mir auf, dass ich unbedingt meine Memoiren für die Nachwelt festhalten muss. Ich glaube nicht, dass es viele Menschen gibt, welche auf so ein bewegtes Leben zurückschauen können oder müssen. Zuerst möchte ich jedoch mal zu meiner Entstehung und meinem privaten Umfeld Stellung nehmen:
Ich bin die älteste Tochter einer reichen Unternehmerfamilie. Am besten passt auf mich in Bezug auf meine Familie die Bezeichnung, „Albino“. Ich trage in unserem Haus das Alleinstellungsmerkmal Blondi und darüber hinaus bin ich die einzige, bei welcher die Bezeichnung Brüste auch den Titel verdient hat. Und im Gegensatz zu den drei anderen Frauen im Haus überrage ich diese auch noch locker um fünfzehn Zentimeter. Mit dreizehn gewann ich, unter Angabe falscher Geburtsdaten, die erste Miss-Wahl in Köln. Aber wieso……….?!? Die Augenlieder mussten an dieser Stelle aufgeben!
3. Schon wieder in die Disco?
Grrrrrrrrrrr. Piep, Piep, Piep. Grrrrrrrrrrr. Der Wecker, welcher mit seiner Lautstärke den ganzen Ort wecken könnte und an Penetranz kaum zu überbieten war, stand drei Meter neben dem Bett auf einer Kommode. Sie musste diesen Trick mit der Entfernung anwenden, da sie ihn sonst wieder ausgeschaltet hätte und der Schlaf, wie schon so oft, den Morgenmuffel sofort wieder in seine Gewalt gebracht hätte.
Ihren Dienst trat sie in der Regel immer gegen acht Uhr an. Als Leiterin dieses kleinen Postens, welcher gleich hinter der Kirche versteckt über die Hauptstraße ragte, wollte sie die Pünktlichkeit in den ersten Wochen mit gutem Beispiel vorantreiben.
Zu Fuß ging sie durch die Seitengasse am Schurthplatz vorbei, der entlang eines winzig kleinen Parks führte. Danach geleitete ein Zebrastreifen über die nicht sehr stark befahrene Hauptstraße direkt auf eine kleine Pizzeria zu, die sie natürlich am frühen Morgen rechts liegen ließ. Sie schlenderte gut gelaunt die kleine Steige hoch.
„Morgen, Frau Wachtmeister!“ Sie grüßte zurück ohne zu wissen, wer ihr heute so nett den Gruß abnahm, fand es aber auch lustig, wie locker die Leute hier mit der neuen Polizeichefin umgingen. Oben angekommen, noch ein Blick auf die Kirche und schon stand sie fast vor dem Revier. Je nach Verträumtheit und dem Smalltalk angepasst, benötigte Samantha für die Strecke fünf bis zehn Minuten. Sie traf kurz vor acht ein, grüßte den Kollegen, welcher im Eingangsbereich hinter einer Scheibe den Empfang besetzte und zog ihre Personifizierungskarte heraus. Die Türe nach links summte und Samantha schritt an den anderen Büros vorbei, ganz nach hinten. Ihre Mitstreiterin war noch nicht da, deshalb fuhr sie freundlicherweise beide Computer hoch. Sie stöberte bereits im Nachrichtengewirr des Internets, als Katrin plötzlich herein stolperte.
„Hi! Haben sie dir schon wieder das Bett angezündet?“ Samantha reagierte nicht, da der Artikel über den Handymörder schon voll und ganz ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
„Das ist ja der Hammer. Jetzt hat der auch noch in Freiburg zugeschlagen!“ Die junge Kollegin schien nicht richtig zu verstehen: „Wer hat in Freiburg zugeschlagen?“
„Na dieser Typ, welcher seinen Opfern immer das Handy in den Mund stopft. Und zwar letzte Nacht.“
Katrin schien sich das Szenario gerade wieder ins Gedächtnis zu rufen, was ein angewidertes Schütteln verursachte: „Der ist doch krank. Hoffen wir nur, dass er sich schnell wieder in den Norden verzieht. Hat man denn schon eine Spur?“
Samantha war noch nicht ganz fertig mit Lesen, fing nun aber an, laut zu zitieren: „Sie schreiben, dass es starke Abweichungen im Muster gibt und sie sich nicht sicher sind, ob es sich um einen Trittbrettfahrer handeln könnte. Jedenfalls liegt das Opfer auf der Intensivstation und hat den Angriff anscheinend nur deshalb überlebt, weil ihm seine Kollegen rechtzeitig zu Hilfe kamen. Dieser fünfte Anschlag innerhalb von zwei Monaten gibt eine Reihe von weiteren Rätseln auf, liefert im Gegenzug allerdings erneut keine heiße Spur. Die Ausführung sei immer identisch. Allerdings könne von den wild verstreuten Tatorten kein Muster abgeleitet werden. Genau so wenig gelingt es bisher eine Verbindung zwischen den Opfern herzustellen. Hamburg, München, Düsseldorf, Leipzig und letztendlich Freiburg.“
Katrin kam jetzt rüber und spähte ebenfalls auf den Computer. Die beiden Schreibtische, in dem gut zwanzig Quadratmeter großen Büro, standen sich direkt gegenüber. Von beiden Positionen konnte man seitlich gut aus einem großen Fenster, über den Neubau der Basilie-Schmiede hinweg, auf den am Hang liegenden Vorort blicken.
„Vielleicht kannst du ja mal bei deinen alten Kollegen in Freiburg nachhaken, ob sich über den Pressebericht hinaus schon was Brauchbares ergeben hat.“ Samantha nickte gedanklich abwesend, während Katrin den ersten Anruf entgegennahm.
Die Chefin verließ solange den Raum und kam kurz darauf mit zwei Tassen Kaffee zurück.
Katrin blickte sie an und meinte: „Bist du schon bereit für einen Besuch in der Disko?“
Samantha konnte die Frage noch nicht richtig deuten, deshalb begleitete der Blick auf ihre Uhr die Antwort: „Ich war bis vor fünf Stunden in so einer Lokalität. Eigentlich ist mein Bedarf in diesem Zusammenhang gedeckt.“
„Wo warst du denn?“
„In der Seebachklause! Wieso?“ Jetzt fing Katrin an zu lachen.
„Ja dann weiß ich nicht genau, wie wir weiter vorgehen sollen. Entweder der neue Fall wird wegen Befangenheit abgegeben, oder aber ich führe das erste Verhör direkt mit dir.“
Sie bemerkte die Begriffsstutzigkeit Samanthas und sagte: „Sie haben heute Nacht genau dort eingebrochen.“
Der Groschen war gefallen: „Na dann mal los! Auf was warten wir noch?“
Katrin verzog das Gesicht, während sie die Autoschlüssel schnappte: „Schade um den Kaffee. Aber kalt macht er bekanntlich schöner!“
Dann setzte sie sich ans Steuer des blau getarnten Passats und fuhr los. Im Gegensatz zur Kopilotin hatte sie ihre Uniform an. Samantha hingegen verzichtete so oft es ging auf diese offizielle Dienstkleidung.
Sie musste gerade wieder daran denken, wie sie erst vorletzten Freitag zu einer Ruhestörung gerufen wurden. Eine Clique feierte in einem Mehrfamilienhaus den Junggesellenabschied eines jungen Mannes. Als die beiden uniformierten Mädels eintrafen, stand für den Partykönig offensichtlich fest, dass es sich hier um zwei Stripperinnen handeln musste. Rückblickend betrachtet, lag er bei Samantha da ja auch nicht ganz falsch, was außer ihr aber niemand wissen durfte.
Direkt verübeln konnte man ihm diese Vermutung beim Betrachten der beiden Damen aber auch nicht. Katrin war sogar noch zwei drei Zentimeter größer als ihre Vorgesetzte, trug kurze schwarze Haare und hatte schon einige Modelauftritte hinter sich. Sie war immer braun gebrannt und schien, so empfand es jedenfalls Samantha, seit Jahren die erste ernstzunehmende Konkurrentin zu sein. Zumindest was das Äußere betraf.
Читать дальше