Doch dazu kam es gar nicht. Als er Renko sah, schnaubte der Drache zuerst ein paar Rauchwolken in seine Richtung – und drehte sich dann auf den Rücken. Renko musste lachen, das sah wirklich einzigartig albern aus. Der Drache benahm sich wie ein Hund, der gekrault werden wollte. Moment. Wollte er das etwa wirklich? Renko trat an die Seite des Drachens und strich zögernd über die Schuppen des Bauches. Er schien es zu mögen, zumindest ließ er es sich gefallen. Ganz hinauf reichte Renko nicht, dafür war er nicht groß genug. Er konnte den Puls des langsam und kräftig schlagenden Herzens fühlen. Es war nicht in Worte zu fassen, was Renko dabei empfand.
Aus einem Impuls heraus kletterte Renko unbeholfen auf den Drachen und stand schließlich auf seinem Bauch. Die Gischt durchnässte Renko, aber davon bekam er gar nichts mit, denn der Herzschlag des Drachen drang durch seine nackten Füße und schien durch seinen ganzen Körper zu pulsieren, ganz im Einklang mit dem Schlag seines eigenen Herzens. Das war mit nichts zu vergleichen, was Renko jemals erlebt hatte. Er stand einfach nur da, schloss die Augen und genoss das Gefühl.
Dann fing der Drache an, sich zu bewegen, ganz vorsichtig, wie es schien. Er warf Renko nicht ab, also bemühte dieser sich, oben zu bleiben, indem er sich balancierend den Bewegungen anpasste. Als sich der Drache vom Rücken auf den Bauch gedreht hatte, breitete er langsam die großen Flügel aus. Mit klopfendem Herzen setzte sich Renko auf die Schultern des riesigen Wesens. Nach zwei kräftigen Flügelschlägen, deren Bewegung Renko nach Luft schnappen ließen, erhob sich der Drache in die Luft. Sie flogen. Unfassbar. Sie flogen!
Schritt für Schritt auf Umwegen
Als sich Josh und Amanda am nächsten Tag mit den Dolbs trafen, herrschte eine gedrückte Stimmung, aber immerhin hatten sich alle ein wenig beruhigt. Josh war mit einer vagen Idee erwacht.
„Egal, was wir machen, wir müssen die Nesodoraner vor der geplanten Entführung warnen, damit sie endlich Kontrollen für die Wüste einführen. Ansonsten sollten wir uns erst mal überlegen, was wir erreichen wollen”, sagte Josh zu Amanda und bimmelte den Satz dann für die Dolbs. „Es wäre doch am sinnvollsten, wenn das Konglomerat einen guten Grund hätte, die Idee mit der Entführung aufzugeben und Amanda gar nicht erst zu suchen, oder? Wenn sie beispielsweise denken, dass ihr alle tot seid, hättet ihr eure Ruhe. Was haltet ihr davon?”
Amanda und die Dolbs waren skeptisch. Wie sollten sie das anstellen?
„Grob umrissen: Ich könnte einen Schwarm erschaffen, der aussieht wie ihr”, wandte er sich an die Dolbs. „Amanda könnte so tun, als ob sie euch einfängt und an Bord ihres Shuttles bringt, damit das so abgespeichert wird. Wir müssten nur irgendwie an die Datenbank in deinem Kopf rankommen, Amanda, und die Erinnerungen an unser Treffen und die Gespräche löschen. Und dann tun wir so, als hätte das Shuttle irgendein technisches Problem und lassen es explodieren. Kurz bevor es hochgeht, teleportiere ich in einem PAL rüber und hole dich in die Wildsau.”
Amanda lachte bitter auf und schüttelte frustriert den Kopf. „Abenteuerlich, aber viel zu kompliziert. Das klappt nie im Leben, völlig unmöglich. Außerdem: Sabotage erkennen die sofort, die sind doch nicht blöd. Die Datenbank ist verschlüsselt und gesichert. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich da leider nichts machen kann.”
„Könnt ihr über euer Ebenen–Gebimmel herausfinden, wie man Amandas Datenbank entschlüsselt?”, fragte Josh die Dolbs.
Nein, aber das war nicht wichtig, denn sie hatten eine vollkommen andere Idee: Sie wollten sich zu dem Auftraggeber durchbimmeln und versuchen herauszufinden, worum es überhaupt ging. Dazu bräuchten sie Amandas Hilfe. Sie sollte die Augen schließen und sich ihren Auftraggeber vorstellen so gut es ging.
Josh übersetzte und Amanda probierte es aus. Ja, sie sah ihn deutlich vor sich.
„Gut. Die Dolbs wollen sich einklinken, wenn du einverstanden bist. Sie werden sich dazu auf deinem Körper verteilen und bimmeln. Du sollst dich nur so gut es geht weiter auf das Bild konzentrieren, bis die Dolbs von ganz allein neben deinem Auftraggeber auftauchen. Wenn sie wieder verschwunden sind, kannst du die Augen öffnen. Den Rest kriegen sie alleine hin”, erklärte Josh ihr. „Einverstanden?”
„Ich weiß nicht. Hältst du das für eine gute Idee?”
„Keine Ahnung. Lassen wir sie doch einfach machen.”
„Wir? Du hast leicht Reden, dich wollen sie ja nicht bebimmeln, du Eule.”
„Hast du etwa Schiss?” Josh grinste.
„Pah! Quatsch. Wovor denn?” Amanda warf ihm einen finsteren Blick zu. „Na gut”, seufzte sie schließlich. „Einverstanden.”
Sie legte sich hin, schloss die Augen und stellte sich widerwillig noch einmal Gordogan Foregga vor. Sie mochte sowieso kaum jemanden, aber ihr Boss, dieser Foregga, ging ihr ganz besonders auf die Nerven. Ein arroganter Pinsel, der es sichtlich genoss, seine Untergebenen herumscheuchen zu können, wie es ihm gerade in den Kram passte. Widerlich. Nun gut, egal, sie sah ihn vor ihrem geistigen Auge und wartete ab.
Sie konnte fühlen, wie sich die Dolbs überall auf ihrem Körper verteilten und sich das Bimmeln wie ein Vibrieren in ihrem Körper ausbreitete. Amanda musste sich sehr konzentrieren, um das innere Bild nicht zu verlieren, aber es gelang ihr irgendwie. Sie erinnerte sich an den Moment, als Foregga ihr in seiner gewohnt überheblichen Art und mit abschätzigem Blick ihren Auftrag erklärt hatte. Im Geiste streckte sie ihm den Mittelfinger entgegen. Grinsend lag sie im Sand und Josh fragte sich, was wohl so lustig sein mochte.
Tatsächlich sah Amanda die Dolbs neben Gordogan auftauchen. Sie verteilten sich auf seinem Körper und bimmelten dort weiter. Dann verschwanden sie gemeinsam mit Gordogan. Amanda setzte sich auf und sah Josh stirnrunzelnd an. Die Dolbs waren weg.
„Das ist absurd. Wo sind sie denn hin? Teleportieren geht hier doch angeblich nicht. Wie haben sie das gemacht?”
Josh zuckte die Schultern. „Was weiß ich”, sagte er fröhlich. „Zauberei? Ist doch unwichtig. Ich find's coool, Mann.”
Verzweiflung und ihre Blüten
Gordogan Foregga war nur mit großer Mühe in der Lage, seiner Arbeit auch nur ansatzweise angemessen nachzugehen. Das fiel natürlich auf. Mit jedem Tag erntete er zweifelndere Blicke. In keinem schwang Besorgnis mit, denn er hatte es sich nicht zur Gewohnheit gemacht, sich mit seinen Untergebenen über das nötige Maß hinaus abzugeben. Im Gegenteil, sie waren ganz eindeutig unter seinem gesellschaftlichen, finanziellen und intellektuellen Niveau und interessierten ihn kein bisschen.
Gut so. Bis jetzt hatte es noch keiner von ihnen gewagt, ihn auf sein verändertes Verhalten anzusprechen. Anscheinend hatte sich auch noch niemand getraut, sich über ihn zu beschweren, aber er musste sich zusammenreißen, sonst würde es über kurz oder lang darauf hinauslaufen. Leider war ihm das unmöglich. So sehr er sich jeden Tag aufs Neue dazu zwingen wollte, er schaffte es nicht, denn er war mit den Gedanken ganz woanders.
Entgegen seiner langjährigen Gewohnheit ließ er seit einigen Wochen pünktlich zum Feierabend alles stehen und liegen und flüchtete aus dem Büro. In seiner Führungsposition konnte er sich das eigentlich nicht leisten und seit dem Tod seiner Frau vor fast sieben Jahren hatte er sich erst recht in die Arbeit geflüchtet wie ein Besessener. Umso stärker fiel es nun allen auf, dass er nicht bei der Sache war. Egal. Das ging niemanden etwas an, die sollten sich gefälligst um ihren eigenen Kram kümmern. Er tat ja schließlich seinen Job, oder? Zur Zeit nicht sehr gut, das konnte er sich selbst gegenüber zähneknirschend zugeben, aber so gut er konnte. Das musste reichen. Es gab Wichtigeres.
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