Tom warf seinem Patenonkel einen überraschten Blick zu. »Sie haben das Netzwerk des F.B.I. geknackt?«
»Nein«, gab Veyron zurück. »Aber Wimille.«
»Wer ist Wimille?«
»Mein Bruder.«
Tom und Jane starrten Veyron vollkommen entgeistert an. »Sie haben einen Bruder«, fragten beide wie aus einem Mund.
Veyron kniff entnervt die Augen zusammen. »Natürlich. Viele Menschen haben Brüder. Was ist daran so erstaunlich?«
Jane schmunzelte kurz, ehe sie sich wieder ihrem Telefon widmete. »Und ich dachte immer, man hätte Sie bei Wellstorm Automatics zusammengeschraubt, dem Roboterhersteller aus Ealing«, flachste sie.
Tom gestattete sich ein kurzes Auflachen, aber Veyron blieb todernst.
»Machen Sie keine Witze über meinen Bruder, Willkins«, sagte er mit finsterer Stimme.
»Können wir ihn kennenlernen? Ich wüsste gerne, wie Wimille so ist. Immerhin ist er Ihr Bruder«, fragte Tom, doch Veyron verneinte es entschieden.
»Wimille ist anders, und wir können ihn nicht besuchen. Nicht heute und auch morgen nicht. Schluss jetzt mit diesem Thema! Nun, Willkins, wie sieht es aus? Haben Sie endlich den Richter?«
Triumphierend schaltete sie ihr Telefon ab. »Sir Robert Scott.«
Veyron bedankte sich, dann schloss er die Augen und lehnte sich zurück. Mehrmals atmete er tief durch, seine Haltung wurde krumm und angespannt, seine Mundwinkel zogen sich tief nach unten, die Augenbrauen sträubten sich.
Jane staunte nicht schlecht. »Was wird das, wenn’s fertig ist?«, fragte sie flüsternd in Toms Richtung.
»Er konzentriert sich und taucht in die Persönlichkeit von Richter Scott ein – soweit er ihn kennt. Ich hab das schon ein paar Mal erlebt«, erklärte Tom stolz darauf, Jane einmal in einer Sache voraus zu sein.
Als Veyron die Augen wieder aufschlug, nahm er den Kugelschreiber entschlossen zwischen die Finger und setzte eine krakelige Unterschrift unter den Durchsuchungsbefehl, gänzlich anders als seine ansonsten schwungvollen Buchstaben. » Voilà «, verkündete er und legte Stift und Papier zufrieden beiseite. »Das wäre geschafft. Jetzt können wir im Prinzip loslegen.«
Jane war jedoch immer noch dagegen. »Das ist Urkundenfälschung, was Sie da machen«, wandte sie ein.
Veyron winkte ab. »Das soll nur den Hausmeister beschäftigen und uns Zugang zur Wohnung verschaffen. Einer gewissenhaften Prüfung wird die Unterschrift zwar nicht standhalten, aber sie sollte authentisch genug wirken, um auf den ersten Blick zu überzeugen.«
Jane schnaubte wütend und wandte kurz den Kopf zur Seite. »Ich frag mich wirklich, wozu Sie mich eigentlich brauchen«, murrte sie.
Veyron schaute sie überrascht an. »Genau genommen brauche ich Sie auch nicht, lediglich Ihre Dienstmarke«, erklärte er trocken.
Tom duckte sich instinktiv. Hätten Janes Blicke töten können, Veyron wäre nur mehr ein Häuflein Asche. Ohne Zögern sprang sie auf. »Okay, das reicht! Ich gehe!«
Veyron fasste Jane am Handgelenk, um sie wieder zu beruhigen. »Willkins«, begann er, »ich verstehe Ihre Skepsis und auch, dass es Ihnen als Polizistin zuwider ist, das Gesetz zu brechen. Aber ich will ehrlich mit Ihnen sein. Ganz Elderwelt schwebt in Gefahr. Und die unsere auch, falls es der Zaltianna Trading Company – oder der Regierung – gelingt, das Horn des Triton vor mir zu finden. Ich sage Ihnen, dass wir dann Naturkatastrophen erleben werden, gegen die jeder Tsunami wie ein übergelaufenes Waschbecken wirkt. Ich bin gerne bereit, ein paar Gesetze zu übertreten, um das zu verhindern.«
Jane musterte ihn für einen Augenblick, rang sichtlich mit ihrem Gewissen und wägte ab, was mehr Gewicht hatte. Sie seufzte und setzte sich wieder. »In Ordnung, ich bin dabei. Aber es ist das allerletzte Mal, das schwör ich! Wann wollen Sie loslegen?«
»Gleich nach Einbruch der Nacht. Tom, hast du Mr. Darrow erreicht?«
»Ja. Er trifft sich zu angegebener Zeit mit uns in der False Lane.«
Veyron rieb sich zufrieden die Hände. »Sehr gut. Wir haben noch etwas Zeit, trinken wir also unseren Kaffee aus. Walter macht den besten Cappuccino in der ganzen Stadt. Es wäre ein Jammer, ihn kalt werden zu lassen«, sagte er, schnappte sich seine Tasse und nippte daran. Ein zufriedenes Lächeln huschte über seine Lippen.
Tom war nicht ganz sicher, ob es am Geschmack des Kaffees lag oder mehr an der Tatsache, dass alles nach Plan verlief.
Den restlichen Nachmittag über unterhielt Veyron sie mit ein paar Geschichten von Fällen, die weder Tom noch Jane kannten. Als es schließlich dunkel wurde, gingen sie zu Janes Dienstwagen und machten sich auf den Weg in die False Lane.
Eine typische Wohngegend war ihr Ziel. Große Wohnblöcke standen Reihenhäusern aus dem vorletzten Jahrhundert gegenüber. Die kalten, rechteckigen Betonklötze der Neuzeit konkurrierten mit den roten Backsteinfassaden und typischen Kaminen der viktorianischen Ära. An den Bürgersteigen dieser Straßenseite parkten teure, oftmals funkelnagelneue Limousinen und Sportwagen, auf der anderen standen die älteren, billigen Vehikel der Hochhausbewohner.
42b False Lane war einer der großen Wohnblöcke, die wohl auf der ganzen Welt annähernd gleich aussahen. Sie parkten den Wagen direkt vor dem Eingang, gleich hinter dem teuren Porsche von Danny Darrow. Der lehnte am Wagen und rauchte. Als Veyron, Jane und Tom ausstiegen, schnippte er seine Zigarette weg.
»Wurde aber auch Zeit. Ich hab schon gemeint, ich wart mir die Füße platt«, begrüßte Darrow sie. Als er Jane bemerkte, setzte er ein Lächeln auf und stellte sich vor. »Hallo, wen haben wir denn da? Ich bin Danny Darrow. Aber sagen Sie ruhig Danny zu mir.«
»Hi, Detective-Constable Jane Willkins, CID. Aber sagen Sie ruhig Constable Willkins zu mir.«
»Scheiße …«
Jane gestattete sich ein triumphierendes Lächeln, während sich Danny verlegen am Hinterkopf kratzte.
»Ich wusste ja nicht, dass die Situation dermaßen ernst ist. Die Polizei hat sich doch gar nicht für meinen Fall interessiert«, plapperte er, aber Veyron brachte ihn mit einem blitzartig erhobenen Zeigefinger zum Schweigen.
»Nur die Ruhe, Danny. Willkins ist hier, um unser Vorgehen zu bezeugen. Nichts weiter. Wer ist der Hausmeister?«
»Peter Driscoll, die Klingel ganz unten«, erklärte Danny. Zu viert schritten sie zur Haustür. Veyron inspizierte die Klingelanlage für einen Moment, tippte dann mit dem Fingernagel unter die einzige unbeschriftete Klingel.
»Aha, vierter Stock, Westseite zur Straße. Das Namensschild wurde erst vor Kurzem entfernt, und zwar recht hektisch. Sehen Sie nur, die kleinen Kratzspuren rund um das Schild. Der Kunststoff ist an einer Ecke angebrochen. Es musste schnell gehen, offensichtlich in der Absicht, Sie, Mr. Darrow, zu täuschen«, erklärte Veyron. Er drückte die Klingel der Hausmeisterwohnung.
Eine verschlafene Männerstimme meldete sich per Sprechanlage und Veyron stellte sich kurz vor.
»Guten Abend, Mr. Driscoll. Ich bin Detective-Inspector Veyron Swift. Können wir Sie für einen Moment sprechen?«
Auf der anderen Seite der Sprechanlage wurde gemurrt und aufgelegt. Der Türöffner summte, und sie traten ein.
Im Treppenhaus war es stockdunkel; erst nach und nach sprangen die Lichter an. Peter Driscoll, ein Mann mittleren Alters mit schlaffen Muskeln und hagerem Gesicht, dem man den übermäßigen Genuss von Zigaretten ebenso ansah wie den unzureichenden Sport, erwartete sie vor seiner Wohnungstür.
»Was liegt an, Inspector«, fragte er. Tom glaubte, deutliche Skepsis in seiner Stimme zu hören.
Ohne Vorwarnung packte Veyron Tom am Kragen und schleppte ihn vor Driscoll. »Dieser junge Mann da behauptet, dass er heute Morgen von einer jungen Dame angegriffen und verprügelt worden ist. Einer gewissen Miss Fiona Smith«, erklärte Veyron streng.
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