Tobias Fischer
Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 1
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Inhaltsverzeichnis
Titel Tobias Fischer Veyron Swift und der Schattenkönig: Serial Teil 1 Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Nicht im Dienste Ihrer Majestät
Einbruch mit Folgen
Ganz neue Wege
Palast Nr. 4
Impressum neobooks
Kap der Guten Hoffnung, im Jahre des Herrn 1680 …
Hendrik Marten war sich sicher: Das würde ihrer aller Untergang sein, diesmal gab es kein Entrinnen. Der Teufel wollte ihre Seelen!
Mit ohrenbetäubendem Gebrüll peitschte der Sturm die blutroten Segel, Wellen tobten, spülten über das Deck und warfen die De Stern von einer Seite zur anderen. Marten stemmte sein ganzes Gewicht gegen das Steuerrad und brachte all seine Kraft auf, um es festzuhalten. Es drohte ständig auszubrechen, denn die Wellen drückten von allen Seiten gegen das Ruder. Ließe er los, wäre die De Stern den Gewalten der Natur hilflos ausgeliefert und würde kentern. Es grenzte an ein Wunder, dass der Ostindienfahrer überhaupt noch seetüchtig war, doch die drei Masten hielten stand, und die Querbalken trotzten den Kräften des Sturms. Bei anderen Schiffen wären sie längst wie Streichhölzer geborsten.
»Was für ein Wahnsinn, bei dem Sturm unter vollem Tuch zu fahren!«, brüllte der Erste Maat, Wim Vanderdecken, neben ihm. »Warum lässt der Irre nicht endlich die Segel bergen? Wo steckt er überhaupt? Wir werden alle draufgehen! Ich schau mir das nicht länger an. Van Halen, schickt die Männer in die Wanten! Refft die Segel!«
Der angesprochene Offizier nickte und eilte in Richtung Bug, Befehle brüllend, die vom Tosen des Sturms und dem Krachen überschwappender Wellen sofort verschluckt wurden.
Kisten, Fässer, Männer, alles wurde von einer Seite auf die andere geworfen; die Masten knarrten, Winschen und Brassen quietschten, sämtliche Taue vibrierten. Alles war zum Zerreißen gespannt, als hätte eine göttliche Kraft die De Stern gepackt und drohte damit, sie jeden Moment zu zerfetzen.
Marten umklammerte das Steuerrad noch fester, obwohl er gar nicht gedacht hätte, dazu imstande zu sein. Es war die nackte Todesangst, die ihm eine unbändige Kraft verlieh. Noch nie in seinem Leben war er in einem derart gewaltigen Sturm gesegelt.
Er sah furchtlose Männer die Wanten hinaufklettern, gleich winzigen Spinnen in einem Netz, vom Wind und hin und her geworfen. Sie könnten jeden Moment wie Herbstlaub fortgeblasen werden, doch sie hielten sich fest und kämpften sich weiter nach oben. Die Ersten erreichten bereits die Vormars, krochen auf die Rahen, um die Segel zu reffen.
»Kommando zurück! Was seid Ihr nur für ein Feigling!«, zerschnitt eine Stentorstimme den Sturm wie ein Peitschenknall.
Marten zuckte zusammen, Vanderdecken erging es nicht anders.
Fast zwei Meter groß, mit gewaltigem Brustkasten, stand Kapitän Barend Fokke auf dem Achterdeck. Die mächtigen Oberarme gingen in breite Schultern über, aus denen ein bulliger Nacken aufragte. Sein dunkler Lederumhang, den er über der schwarz-weißen Uniform der Niederländischen Ostindien-Kompanie trug, blähte sich wie das Segel des Leibhaftigen. Die stahlblauen Augen sprühten Blitze, der grau melierte Bart bebte vor Zorn. »Die Rahen sind aus bestem holländischem Stahl, die brechen nicht wie Zedernholz! Die Segel bleiben gesetzt, verdammt noch mal«, brüllte Fokke. Sein gewaltiger Körper wirbelte herum. Geschmeidig wie ein Tiger sprang er hinunter aufs Hauptdeck, schubste die Männer wie Kegel zur Seite, bellte wütende Befehle.
»Runter mit euch, ihr Affen! Runter mit euch, und macht mir die Luken dicht! Unter Deck und ran an die Pumpen! Van Evert? Van Evert! Seht mir zu, dass der Wasserpegel nicht unter acht Zoll fällt! Wir brauchen Ballast, sonst werden wir topplastig!«
Im Nu kletterten und sprangen die Männer die Wanten hinab, den Ordern dieses Hünen von Kapitän blind gehorchend. Marten war jedes Mal beeindruckt, welche Autorität dieser Mann besaß. Barend Fokke wagte niemand zu widersprechen, und wäre er auch der Teufel in Person.
Doch Vanderdecken schien diesmal nicht geneigt, sich kommentarlos zu fügen. Zu groß war die Furcht um sein Leben, zu heftig dieser Sturm und die Lage zu gefährlich. »Der bringt uns um, dieser kranke Friese! Van Diemen, wo ist der Unterkaufmann? Er muss den Käpten zur Räson bringen, sonst sind wir alle tot!«
Van Diemen, einer der Offiziere an Bord, stampfte mit dem Fuß auf das Deck. »Sitzt unten in der Kajüte und kotzt sich die Seele aus dem Leib!«
Der Unterkaufmann, bevollmächtigter Vertreter der Niederländischen Ostindien-Gesellschaft, war noch ein junger Mann, und dies war seine erste Reise auf einem Ostindienfahrer. Marten bezweifelte, dass der junge Krämer den Mut, geschweige denn die Autorität besaß, es mit Fokke aufzunehmen – obwohl der Kapitän laut Gesetz dazu verpflichtet war, dem Unterkaufmann Gehorsam zu leisten. Wäre die De Stern eine Galeone, größer und stärker bewaffnet, so wäre ein erfahrener Bevollmächtigter mit auf diese Reise gegangen, ein altgedienter Oberkaufmann, der sogar Todesurteile zu verhängen vermochte. Dem Jüngling unter Deck, den bisher nur wenige an Bord zu Gesicht bekommen hatten, war dies dagegen kaum zuzutrauen.
Dann sah Marten, wie Fokke in die Wanten des Großmasts sprang, einige Meter hinaufkletterte und drohend die Faust gegen den Himmel reckte. »Uns holst du heute nicht, du da oben! Kein Sturm, keine Welle, nichts wird mich daran hindern, nach Amsterdam zurückzukehren! Und wenn ich mich mit dem Teufel persönlich einlassen und bis zum Ende der Tage diese Gewässer kreuzen muss: Schiff, Ladung und Mannschaft werde ich heil nach Hause bringen!« Seine Stimme, obwohl gut zwei Dutzend Ellen entfernt, schallte dermaßen laut, dass der Lärm des Sturms für einen Moment regelrecht zu verstummen schien.
Alle hielten die Luft an, und jene, die noch nicht mit Fokke gefahren waren, machten sich klein. Ein paar Männer hielten sich ob dieser Gotteslästerung die Ohren zu. Sogar der Erste Maat, Vanderdecken, und die anderen Offiziere, zuckten zusammen. Doch Marten kannte seinen Kapitän, wusste um dessen besondere Begabung, die weit über das hinausging, was Jahrmarktsgaukler beherrschten. Fokke konnte Stürme niederbrüllen, ihnen sogar regelrecht befehlen – und sie gehorchten ihm. Marten hatte schon einige Male miterlebt, wie nach einer derartigen Ansprache Fokkes die Winde nachließen und sich die Wolken verzogen. Wüsste er es nicht besser, er hätte den Mann für einen Hexenmeister gehalten, einen Magier.
Just in diesem Moment schwappte eine gewaltige Welle an Deck, spülte die Männer von Backbord nach Steuerbord, und auch Fokke verschwand im tobenden Wasser. Marten hielt die Luft an. Hatte ihn der Teufel erhört und zu sich geholt?
Doch nein! Da war Fokke, tropfnass zwar, aber aufrecht und unversehrt, und lachte höhnisch. Er fischte seinen breitkrempigen Hut unter dem Umhang hervor, setzte ihn sich trotzig auf den Kopf und marschierte beinahe gemächlich zurück auf das Achterdeck.
»Nicht einmal ein Kaventsmann wird dieses Schiff versenken! Das Ende des Sturms ist nah, ihr Bangbüxen!«, verkündete er und brach in schallendes Gelächter aus.
Marten musste schmunzeln. Andere würden den Kapitän jetzt für verrückt erklären, aber er wusste es besser. So viele Fahrten hatten sie mit der De Stern unternommen, dem besten Schiff der ganzen Ostindienflotte, nicht einmal die Engländer besaßen ein schnelleres. Vor drei Jahren hatten sie die Fahrt von Java nach Amsterdam in drei Monaten und vier Tagen gemeistert, das war ein absoluter Rekord. Seitdem munkelte man, Fokke stünde mit dem Teufel im Bunde und sein Schiff könne fliegen. Derart aufgedreht hatte Marten seinen Kapitän jedoch noch nie zuvor erlebt. Dieser Sturm war der bislang schlimmste, an den Marten sich erinnern konnte, und selbst die leibhaftige Hölle könnte nicht schrecklicher sein. Dennoch zeigte Fokke nichts anderes als Todesverachtung.
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