"Warum, frage ich dich noch einmal, warum willst du überhaupt Arazeel finden", wechselte die Magus das Thema.
"Arazeel mit seiner Herkunft hat eine unglaubliche Bedeutung für dieses Land. Nur er kann die Lösung sein, damit es wieder Frieden und Gleichberechtigung gibt. Ich weiß, was ihn ausmacht, aber ich will mehr darüber erfahren und ihn dazu überreden, seinen Teil beizutragen. Möglicherweise weiß er noch nicht einmal, dass er der Seegen für das Land ist."
"Der Seegen", wiederholte Isenn übertrieben. "Wie du dich anhörst. Und überhaupt. Was geht uns das Land an? Wir leben hier weit ab vom Schuss in Frieden und Harmonie."
"Frieden und Harmonie", wiederholte jetzt Shilané die Worte ihrer Mutter mit einem abfälligen Ton. "Jahre lang habt ihr in Feindschaft mit den anderen Fraktionen gelebt, ohne auch nur ein einziges Mal zu versuchen, die Streitigkeiten beizulegen. Wer ist hier arrogant und egoistisch?" Isenn öffnete umgehend den Mund, um etwas zu sagen, verstummte dann aber doch. Ihre Tochter hatte nicht ganz unrecht mit ihrem Argument. Auch, wenn es nichts mit ihrer eigentlichen Diskussion zu tun hatte. Sie hatten die anderen Magus nahezu mit Hochmut aus der Bastei getrieben. Ihnen hinterher geblickt als wären sie die Idioten, die nichts verstehen würden. Sie hatte die anderen sogar als arrogant und feige bezeichnet. Statt alles in einer großen Ratssitzung zu besprechen, hatte man ihnen von Anfang an gesagt, sie sollen doch gehen, wenn es ihnen nicht gefällt, was einige wenige entschieden hatten. "Wenn du sagst, was geht uns das Land an, dann frage ich mich doch, warum ihr Arazeel überhaupt erst Schutz gewährt habt. Warum konnte mein Vater Arazeel hierher bringen und um Asyl bitten, wenn euch die Außenwelt nicht im Geringsten interessiert hat?" Isenn schwieg lange und dachte darüber nach, ob sie ihrer Tochter das letzte Schlüsselelement preisgeben sollte, das sie benötigte, um alles zu verstehen. Denn das hatte der Rat ihr eindeutig wohl verschwiegen. Die Magus war hin- und hergerissen. Shilané kannte die Welt da draußen besser, als jeder Magus hier in der Bastei. Sie hatte Jahre dort verbracht und alles aus erster Hand mitbekommen. Das Mädchen erlebte zwar nicht direkt, wie sich die Politik von Mår-quell zum Schlechten wendete, aber sie verbrachte ihre Zeit in den Folgen dieser Wandlung. Wenn Isenn ihr jetzt auch noch die letzte Erkenntnis zuteilwerden ließ, welchen Effekt hätte das auf ihre Tochter? Sie schüttelte traurig den Kopf und blickte ihre Tochter wehmütig an.
"Wenn du unbedingt nach Arazeel suchen musst und dabei die Hashin nicht auslassen kannst, dann werde ich dich begleiten", eröffnete die Magus ihrer Tochter überraschend. "Ich kenne mich, was die Schwesternschaft angeht, etwas besser aus, als die Chroniken in der Bibliothek. Gemeinsam können wir sie finden und ich kann dafür sorgen, dass du lebend bei ihnen ankommst. Allerdings kann ich dir nicht garantieren, dass wir auch lebend dort wieder wegkommen. Die Hashin sind eine geheime Schwesternschaft von Assassinen. Vor hunderten von Jahren wurde sie von den Magus gegründet, um den Königen von damals als Agenten zu dienen. Das ist zwar längst vorbei, aber die Hashin agieren immer noch so, wie es ihr Codex von ihnen verlangt. Eigentlich armselig, wenn man es genau betrachtet. Sie trainieren immer noch ihre Techniken, werben neue Magus an, die sie dann ausbilden und wofür? Ich denke nicht, dass auch nur ein politischer Führer eines anderen Landes jemals wieder eine Hashin anfordern wird."
"Und, wenn doch?", erkundigte sich Shilané. "Wenn sie eine so geheime Schwesternschaft sind, woher willst du oder jemand anderes wissen, dass sie nicht für irgendwelche politischen Führer tätig sind? Entschuldige bitte, aber wer so denkt ist schon ziemlich arrogant und selbstverliebt. Nur, weil etwas veraltet oder Tradition ist, heißt das noch lange nicht, es ist ausgestorben. Vielleicht nutzt sogar Mår-quell die Hashin für ihre Zwecke und niemand hat davon auch nur die geringste Ahnung. Die Vorstellung macht mir eine Gänsehaut. Möglicherweise ist das auch der Grund, warum die andere Fraktion meint, ich sollte bei der Schwesternschaft nach Arazeel fragen. Stell dir mal vor, sie würden Arazeel im Auftrag von Mår-quell überwachen und hätten sogar noch den Befehl, ihn zu töten, falls er ihr unbequem wird."
"Das würde definitiv einen Sinn ergeben, weswegen die Hashin ihn überwachen."
"Aber glaubst du wirklich, dass könnte der Grund sein? Würde Mår-quell so weit gehen?"
"Wenn es um die Erhaltung ihre Macht geht, würde die sogar noch weiter gehen. Da bin ich mir ganz sicher. Aber wir müssen erst einmal herausfinden, ob die Schwesternschaft überhaupt Kontakt zu ihm hat. Eventuell hat dein Sprecher der Fraktion ja auch nur eine Vermutung geäußert."
"Möglich wäre das. Dir Fraktion sprach in erster Linie von Gerüchten und letzter Option. Nicht davon, dass dem so ist. Wie sicher bist du dir eigentlich, dass es diese Schwesternschaft überhaupt noch gibt? Du hattest doch eben gesagt, ihre Tätigkeiten wären gar nicht mehr gefragt."
"Ich bin mir da absolut sicher. Diese Magus waren schon immer sehr speziell und von sich eingenommen. Selbst, wenn sie keine Aufgaben mehr erhalten, werden sie sich unter keinen Umständen auflösen. Sie werden sich eher selber einen Auftrag geben, als abzudanken."
"Das klingt, als hätten die Hashin schon immer in ihrem eigenen Interesse gehandelt."
"Das glaub man. Bei jedem Auftrag, den sie erhalten haben, konnten sie immer etwas für sich abzweigen. Sei es Finanzmittel, Beziehungen oder Informationen. Ich möchte nicht wissen, wie mächtig die Schwestern in den letzten Jahrhunderten geworden sind. Vermutlich kontrollieren sie bereits seit langem umliegende Länder. Vielleicht steckten sie sogar hinter dem Kontinentalkrieg, den Mår-quell angefangen hatte und der dann im biochemischen Krieg unseres Landes endete. Ich möchte schon fast behaupten, deine Hexe von Nuhåven und ihre Liga sind Waisenkinder gegen die Schwesternschaft."
"Dann kann man nur von Glück reden, wenn die Hashin nicht, wie diese Mutantin, in den Vordergrund treten und den Staat herausfordern. "
"Das kann man. Aber stell dir nur einmal vor, die Schwesternschaft würde deine Hexe in einer offenen Feldschlacht herausfordern."
"Nach meinen Erkenntnissen würde ich sagen, wäre das Selbstmord, was die Hashin angeht. Die Liga beherrscht mehr, als nur die vier Elemente."
"Du scheinst nicht wirklich zu wissen, was wir Magus alles entfesseln können. Gut, wir teleportieren nicht, dafür nut zen wir Portale. Wir kennen keine Telekinese, dafür nutzen wir die Luft, um Dinge anzuheben. Cryokinese beherrschen wir ebenfalls nicht, dafür aber das Wasser, das wir gefrieren lassen können. Pyrokinese ist nichts weiter, als das Element Feuer. Du siehst also, wir unterscheiden uns gar nicht so sehr von diesen Mutanten mit ihren Quellen, von denen du erzählt hast. Im Gegenteil. Wir haben den Vorteil, dass wir solche Quellen nicht brauchen. Unsere Kunde lebt in uns selbst." Shilané schwieg nachdenklich, als ihre Mutter geendet hatte. Sie lag absolut richtig mit dem, was sie sagte. Eigentlich besaßen die Magus für jede Metafertigkeit ein Äquivalent in ihrem Repertoire. Auch, wenn sie bei einigen Fertigkeiten auf Hilfsmittel zurückgreifen mussten. Als sie die Fraktion darauf hingewiesen hatte, dass es sich lohnt gegen die Hexe zu kämpfen, sollte diese angreifen, war ihr noch nicht bewusst gewesen, wie stark die Magus waren und welche Möglichkeiten ihnen zur Verfügung standen. Je mehr sie darüber nachdachte, umso stolzer und selbstsicherer wurde sie.
Tandra war gerade im Kontor unterwegs, als ihr Comtab sich meldete. Es war einer der Renegaten, der in der Auswertung arbeitete und mit den Unterlagen aus der geheimen Bibliothek im Schloss von Ake ḿ beschäftigt war. Der junge Mann war ganz aufgeregt und forderte sie auf so schnell, wie möglich zu ihm zu kommen. Tandra versicherte dem Mann , gleich nach ihren Erledigungen bei ihm vorstellig zu werden. Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, beeilte sich die junge Frau, die von Kaziir erhalten A ufgaben zu erledigen, um sich dann in Windeseile in die Dechiffrierabteilung zu begeben. Der junge Renegat war immer noch ganz aufgedreht und stürmte auf Tandra zu, kaum dass sie den Raum betreten hatte.
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