Grumbach hatte bei weitem nicht das Interesse für die Details wie seine Frau. Ihn peinigte die kritische Lage, in die nun er und mit ihm der ganze Klub geraten war. Seine Gedanken bewegten sich nach ganz anderer Richtung.
»Ich bin nur glücklich, Dagobert,« begann er, »daß ich dich jetzt zur Hand habe. Du bist der Mann, dem Schwindel ein Ende zu machen.«
»Ich schmeichle mir allerdings, der richtige Mann zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein. Ich verbürge mich dafür, daß ich dir den Gauner in wenigen Tagen stelle!«
»Du bist zu gütig, Dagobert, aber dafür danke ich ganz entschieden!«
»Habe ich mir so gedacht.«
»Wenn ich ihn kenne, muß ich ihn dem Gerichte ausliefern. Muß ich, geht gar nicht anders; und dann haben wir den öffentlichen Skandal mit all seinen Konsequenzen.«
»Das glaube ich auch. Was soll ich aber sonst tun?«
»Bringe mir den Schurken in aller Stille weg. Er soll sich seinen Strick anderswo suchen. Kein Mensch darf von der Geschichte auch nur ein Sterbenswörtchen erfahren, und was mich betrifft, so will ich nie mehr etwas von ihr hören.«
» Bon! Soll besorgt werden.«
Vier Tage später saßen sie wieder zu dritt im Grumbachschen Hause. Bei Tisch, wo die Dienerschaft ab und zu ging, wurde nur von gleichgültigen Dingen gesprochen, von den Soireen bei Eichstedts, von dem nächsten Damenabend, der im Klub veranstaltet werden sollte, und dergleichen mehr. Als sie aber dann im Rauchzimmer saßen, sicher vor Störungen durch die Dienerschaft, und Dagobert sich anschickte, harmlos weiterzuplaudern über die alltäglichen Ereignisse, da konnte Grumbach doch nicht länger an sich halten und brach mit der spannungsvollen Frage los: »Nun, Dagobert, wie steht's?«
»Womit?«
»So sei doch nicht so, – du kannst dir ja denken!«
»Du meinst doch nicht die – die gewisse Affäre?«
»Natürlich meine ich die! Was sollte ich sonst meinen?!«
»Ich dachte, damit dürfe man dir überhaupt nicht mehr kommen!«
»Sei nicht kindisch, Dagobert, ich muß doch wissen, was vorgeht!«
»Ich habe selbstverständlich deinen Auftrag erfüllt. Die Sache ist erledigt. Du kannst ruhig sein: es ist all right .«
»Gott sei Dank!« rief Grumbach aufatmend. »Ich kann also wirklich wieder ruhig schlafen?«
»Wie ein Murmeltier. Kein Mensch wird je etwas davon erfahren. Es müßte denn sein, wofür ich mich natürlich nicht verbürgen kann, daß der betreffende Herr selber plaudert, aber ich glaube, daß das nicht sehr wahrscheinlich ist.«
»Sie müssen erzählen!« drängte nun Frau Violet.
»Aber der Herr Gemahl erlaubt es ja nicht!«
»Unsinn, Dagobert, – erzähle!«
»Es gibt nicht viel zu erzählen, wenigstens nichts Dramatisches, da ich mich natürlich an deine Befehle halten mußte. Ich hatte zu erreichen, daß nicht mehr falsch gespielt werde. Das ist erreicht.«
»Ich bin furchtbar neugierig, wie Sie das gemacht haben,« warf Frau Violet ein.
»Die Sache war von Haus aus nicht schwer, und sie ist noch leichter gegangen, als ich mir es vorgestellt hatte. Zunächst also, meine Gnädige, mußte ich mir klarmachen, wie der Betrug ins Werk gesetzt wurde. Die Karten waren selbstverständlich vorher präpariert, – wie aber wurden sie auf den Spieltisch geschmuggelt? Am einfachsten ließ sich das machen, wenn einer von den Dienern, die mit den Karten zu tun haben, mit im Einverständnis war. Bei uns ist die Einrichtung so, daß zu jedem Spieltisch eine silberne Tasse mit drei Päckchen Karten auf ein niedriges Taburett gestellt wird. Die Herren lieben es, wenn sie eine Stunde mit einem Spiele gespielt haben, ein frisches Päckchen zu nehmen. Der Diener hätte also zu dem betreffenden Spieltisch und der betreffenden Gesellschaft –«
»Welche Spielgesellschaft war es?« fragte Grumbach.
»Keine Ahnung! – unter den drei Spielen nur das gezeichnete mit zu servieren gehabt. So hätte sich die Sache ganz unauffällig gemacht.«
»Und ist es so gemacht worden?« forschte Frau Violet.
»Nein, meine Gnädige. Unser Künstler arbeitet ohne Gehilfen. Das ist sicherer und billiger. En Mitwisser ist immer eine Gefahr, und zu große Spesen will man sich bei dem Geschäft doch auch nicht machen.«
»Ich begreife überhaupt nicht recht,« bemerkte Grumbach dazwischen, »wie einer bei uns auf diese Idee verfallen konnte, wo ich doch grundsätzlich und mit aller Strenge darauf halte, daß im Klub kein Hasardspiel gespielt werde. Das dulde ich absolut nicht!«
»Ein sehr schöner Grundsatz – zweifelsohne, und du hast sehr recht damit, mein lieber Grumbach, aber in der Praxis gibt es auch da einen Haken. Das Verbot muß bestehen – natürlich; der Staat erläßt es ja auch, obschon nur da die Bevormundung weniger gefällt. Wenn ein paar Tagediebe dumm genug sind, sich auch auf solche Scherze einzulassen, so weiß ich nicht, ob man das Recht oder die Pflicht hat, sie gerade da beim Zipfel zu nehmen. Läßt man sie da nicht, so wissen sie sich sicher irgendeine andere, nicht minder ausgiebige Dummheit zu finden.«
»Man muß die Leute vor sich selber schützen,« bemerkte der Herr Präsident.
»Vielleicht die wirtschaftlich Schwachen. Für die Schwachen im Geist und Charakter gibt es keinen Schutz.«
»Nur jetzt keine Philosophie, lieber Dagobert!« flehte Frau Violet. »Erzählen Sie lieber weiter; so neugierig war ich noch nie!«
»Sofort, meine Gnädige – nur noch eine Bemerkung. Der Trieb, Hasard zu spielen, besteht einmal, ist vielleicht in der menschlichen Natur begründet, und da kann er, wenn er sich betätigt, leicht gefährlicher werden, wenn das gezwungenermaßen im geheimen geschieht, als im Lichte und unter der Kontrolle der Gesellschaft. Aber das nur nebenbei. Das Verbot muß natürlich schon anstandshalber doch aufrechtbleiben. In unserem Falle bedurfte es des Hasardspiels gar nicht. Gespielt wird mit Marken. Wie hoch sich die Herren diese bewerten, das ist ganz ihre Sache, und kein anderer braucht es zu erfahren. Unser Künstler konnte sich da auch bei dem harmlosesten und erlaubtesten Spiele ganz ohne alles Aufsehen täglich seine drei- oder fünfhundert Gulden verdienen. Das ist, meine ich, auch schon etwas!«
»Hinrichten müßte man einen solchen Menschen!« meinte Frau Violet so nebenbei.
»Ich habe also die Klubdiener aufs Korn genommen. Es wird dir angenehm sein zu hören, Grumbach, daß sie mit dieser Sache absolut nichts zu tun haben. Ich habe sie, ohne daß sie's merkten, besonders scharf examinierte Sie sind vollkommen ahnungslos.«
»Das ist mir auch angenehm,« bestätigte Grumbach.
»Nun mußte ich also weiter kombinieren. Ich hatte sechs Spiele säsiert, und zwar drei Tarock- und drei französische Spiele, und alle waren nach demselben System gezeichnet. Durchgesehen hatte ich das Material von einer Woche. Nun war ich zu folgenden Schlüssen berechtigt: erstens: es gibt da nur einen Falschspieler. Zweitens: der Falschspieler hat täglich nur ein gezeichnetes Spiel in Verwendung gebracht. Das ist auch erklärlich. Denn drittens: er mußte das vorbereitete Spiel selber auf das Taburett praktizieren und dafür ein anderes Spiel in seiner Tasche verschwinden lassen. Kein ganz leichtes Problem, ich gebe es zu, aber doch immerhin lösbar. Die jungen Herren erscheinen meist im Frack. Denn gewöhnlich haben sie entweder ein Diner hinter sich oder irgendeine andere gesellschaftliche Verpflichtung noch vor sich. Mit Hilfe eines Claque und eines seidenen Taschentuches, die unauffällig auf die Kartentasse gelegt und von dort wieder ebenso unauffällig weggenommen werden können, ist das Problem schon zu lösen. Bei drei Spielern hatte der Fälscher immer zwei Chancen, neben dem Taburett zu sitzen. Bei einiger liebenswürdigen Beflissenheit hatte er überhaupt alle Chancen für sich. Auf die Wahl der Plätze wird ja nicht geachtet; es kommt auch nicht darauf an. Er konnte sogar noch einein der Partner gegenüber zuvorkommend sein und brauchte dann nur dem anderen wirklich zuvorzukommen.«
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