Dagobert ließ sich einige Tage nicht blicken und kam erst wieder, um verabredetermaßen Frau Violet zu einer Soiree bei Eichstedt abzuholen. Grumbach, geschäftlich aufgehalten, wollte erst eine Stunde später nachkommen. Während der Fahrt kam Frau Violet wieder auf den Falschspieler zurück. Der Fall interessierte sie doch sehr.
»Dagobert,« begann sie, »ich glaub's nicht, daß Sie's nicht herausgebracht haben, wer es ist. Das kann Ihnen doch keine Ruhe gelassen haben!«
»Ich habe es auch herausgebracht, meine Gnädigste, aber verraten Sie mich Ihrem Mann nicht.«
»Das ist lieb von Ihnen, Dagobert, daß Sie mir's sagen wollen.«
»Das habe ich nicht gesagt, und das werde ich auch nicht tun.«
»Ja, was soll ich denn nicht verraten?«
»Daß ich's weiß; sonst setzt er mir doch zu, und es wäre nutzlos.«
»Warum wollen Sie mir's aber nun nicht sagen?«
»Es gibt ernste Gründe dafür, daß Sie es nicht erfahren.«
»Das verstehe ich nicht, Dagobert.«
»Ist auch gar nicht nötig, meine Gnädige.«
»Aber wie Sie's herausgebracht haben, können Sie mir doch sagen.«
»O ja, schon damit Sie sich keine übertriebenen Vorstellungen von meiner Detektivkunst machen. Dazu bedurfte es keiner besonderen Schlauheit. Ich wußte, daß die Diener in der Garderobe den Mitgliedern und den ständigen Gästen immer dieselbe Nummer anweisen. Das ist ja sehr praktisch. Ich brauchte mich also nur zu erkundigen, wem die betreffende Nummer gehörte, an welcher der bewußte Überzieher hing.«
»So einfach?« sagte Frau Violet ein wenig enttäuscht. Sie hatte sich die Sache viel romantischer vorgestellt. »Sagen Sie noch eins, Dagobert. Haben Sie nicht gefürchtet, daß Sie den Mann zum Selbstmord treiben konnten, als Sie ihm jenen Brief zusteckten?«
Dagobert zuckte die Achsel.
»Ich hätte das für kein Unglück gehalten und mein Gewissen nicht beschwert gefühlt.«
»Sie sind schrecklich, Dagobert. Er hätte aber auch Ihnen etwas antun können.«
»Ich hatte, was ich sonst nicht gern tue, anonym geschrieben. Hätte ich mich genannt, dann hätte ich ja auch nicht schweigen können.«
»Noch eins, Dagobert. Mußten Sie nicht annehmen, daß er auf Ihren Brief hin fliehen werde, und zwar, bevor er die hohe Summe als Buße erlegte?«
»Ich vermutete gleich, daß er nicht fliehen würde, und jetzt weiß ich es bestimmt. Er hat noch ein großes Geschäft vor, das er nur im äußersten Notfall im Stiche lassen wird. Aber wir sind zur Stelle; erlauben Sie, daß ich zuerst aussteige.«
Sie waren als die ersten gekommen, aber bald strömten die Gäste herzu, und Frau Violet machte in ihrer entzückenden Art die Honneurs. Dagobert suchte sich Baronin Gretl auf.
»Baronin Gretl!« begann er. »Wollen Sie mir zwei Minuten schenken?«
»Mit tausend Freuden auch viel mehr, Herr Dagobert!« Sie nannte ihn auch Dagobert, wie die meisten Leute. Viele wußten nicht einmal, daß das gar nicht sein Zuname sei.
»Aber ungestört!« fuhr er fort.
»Dann stellen wir uns in jene Fensternische.«
»Das ist mir nicht ungestört genug.«
»Dann kommen Sie mit in Papas Schreibzimmer. Dort können wir die größten Geheimnisse verhandeln.«
Im Schreibzimmer setzten sie sich zurecht, und Dagobert fuhr sich sorgenvoll mit der Hand über sein Petrusschöpfchen, als er wieder begann: »Baronin Gretl, ich muß Ihnen Schmerz bereiten.«
»Von Ihnen kommt nichts Schlimmes, Herr Dagobert.«
»Wollte Gott, daß Sie es leicht nähmen! Baronin Gretl, Sie interessieren sich für einen jungen Mann.«
»Ach Gott, Herr Dagobert, – nun kommen auch Sie mir damit! Sie werden mir jetzt beweisen, daß er nichts hat. Das alles weiß ich schon, weiß es aus seinem Munde. Er denkt zu vornehin, um das zu verschweigen, und ich vielleicht, um mir etwas daraus zu machen!«
»Nein, Baronin, das wollte ich nicht. Ich bin kein Philister, und ich würde mich über Ihre Tapferkeit nur freuen. Sie haben es nicht nötig, sich von schäbigen Geldrücksichten bestimmen zu lassen.«
»Ich tät's auch nicht, wenn ich's nötig hätte, Herr Dagobert.«
»Brav gedacht, Baronin Gretl! Wenn der junge Mann auch nur brav und tüchtig und nebenbei ein hübscher Mensch ist –«
»Ist er's vielleicht nicht?« fragte Baronin Gretl lachend.
»O – er hat wunderhübsche Augen! Aber davon kann gar keine Rede sein, daß er Ihrer würdig wäre.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Daß er vielleicht alles, aber nur kein anständiger Mensch ist.«
»Herr Dagobert, derlei muß man beweisen können!«
»Natürlich muß man das.«
»Dann beweisen Sie es!«
»Nein, Baronin, das will ich nicht. Es würde für Sie eine zu häßliche Erinnerung sein für das ganze Leben. Auch Ihr Vater soll es nicht erfahren. Er würde es immer als einen Schandfleck auf seiner Ehre empfinden –«
»Herr Dagobert!«
»Als einen Schandfleck, daß ein solcher Mensch in seinem Hause ein- und ausgegangen ist.«
»Und das alles soll ich Ihnen aufs Wort glauben?!«
»Doch nicht ganz, Baronin. Wir wollen nur im allseitigen Interesse über die Qualitäten des jungen Mannes schweigen. Ich hoffe, Sie auch so überzeugen zu können.«
»Und wenn nicht?!«
»Dann rette ich Sie gegen Ihren Willen. Ich habe schon einmal einen Selbstmörder aus dem Wasser gezogen, der mich dann durchgeprügelt hat. Das kommt vor. Ich dulde einfach nicht, daß der Mann Ihnen noch einmal die Hand reicht, noch einmal das Wort an Sie richtet. Ich dulde es nicht. Ich will Ihnen sagen, was sich in der nächsten Viertelstunde begeben wird und was Ihnen als vollgültiger Beweis dienen mag. In dem Moment, wo man sich zu Tische setzen wird, wird ein Diener jenem Herrn diesen Brief überreichen. Lesen Sie ihn Baronin.«
Baronin Gretl las:
»Ich befehle Ihnen, die Gesellschaft sofort und ohne Gruß zu verlassen. Ich befehle Ihnen weiter, innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden von Wien abzureisen und sich nie wieder in dieser Stadt blicken zu lassen, – sonst Polizei! Dagobert Trostler. Wien 1., Tuchlauben 2. I.«
»Das ist entsetzlich!« sagte Baronin Gretl tonlos, als sie gelesen hatte. Sie war ganz blaß geworden, und sie blickte ratlos und wie hilfesuchend zu Dagobert auf.
»Glauben Sie, Baronin,« nahm dieser das Wort, »daß ein anständiger Mensch sich das bieten läßt? Wenn er noch einen Funken Ehre im Leibe hat oder den letzten Rest eines guten Gewissens, dann muß er mich auf der Stelle ohrfeigen – Sie sehen, ich habe mich voll unterschrieben –, oder er schickt mir unverzüglich seine Zeugen, und ich muß mich mit ihm schießen auf Leben und Tod. Nichts von alledem wird der Fall sein. Er wird sich lautlos davonschleichen wie ein verprügelter Hund.«
Baronin Gretl saß bleich und stumm da, aber sie drängte tapfer die aufschießenden Tränen zurück. Plötzlich leuchtete es in ihren Augen auf wie von Entschlossenheit.
»Gut,« sagte sie. »Wenn er sich das gefallen lassen muß, dann ist er ein verlorener Mensch!«
»Er ist verloren, Baronin, und er verdient kein Mitleid. Mich schmerzt es, daß ich Ihnen wehe tun mußte. Glauben Sie, daß ich handelte, wie ich als Ihr Freund und als der Freund Ihres Hauses handeln mußte?«
»Ja, Herr Dagobert, das glaube ich.«
Die Ereignisse spielten sich genau so ab, wie Dagobert sie vorher verkündet hatte. Kalligraphierte Karten auf den Gedecken bezeichneten jedem seinen Platz an der Tafel. Dagobert hatte vorher eigenmächtig seine Karte zwischen die Plätze von Baronin Gretl und Baron André niedergelegt. Als man zu Tisch ging, überreichte ein Diener dem Baron André einen Brief, den dieser ungelesen in die Tasche steckte. Der Diener erlaubte sich, dem empfangenen Auftrage entsprechend, die untertänige Bemerkung zu machen, daß der Brief sehr dringlich sei und unverzüglicher Bescheid erwartet werde. Der Baron öffnete den Brief und durchflog ihn rasch. Dann neigte er sich vor, als wolle er das Wort an Baronin Gretl richten. Dagobert flüsterte ihm leise, aber sehr bestimmt zu: »Allons donc – sans adieu!«
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