»Wenn sie Ihnen nur gefallen hat, Dagobert! Und was hat es weiter auf sich mit Ihren interessanten Vorzimmerstudien?«
Frau Violet sagte das in nicht gerade sehr gnädigem Tone. Freund Dagobert hätte wissen können, daß man bei einer schönen Frau, vielleicht bei einer Frau überhaupt, sehr selten Glück damit hat, wenn man über ein anderes weibliches Wesen besonders entzückt ist. Und nun erst, wenn dieses andere Wesen ein Stubenmädchen ist! Ernste Forscher sind zwar längst darüber einig, daß unter Umständen auch Stubenmädchen ihre ästhetischen Vorzüge haben können, aber über gewisse Dinge ist mit Frauen einmal nicht zu reden.
»Ich meine,« fuhr Dagobert fort, »daß dieses wechselnde und ausdrucksvolle Mienenspiel einer Künstlerin auf der Bühne einen Spezialapplaus eingetragen haben würde. Während der Fahrt zu Ihnen, meine Gnädigste, habe ich mir die Sache dann zurechtgelegt. Die Zofe hat in ihrer Hand zuerst die kleine Münze gespürt. Darob die gerechte Entrüstung. Der rasche Blick belehrte sie, daß es keine kleine Münze, sondern ein Goldstück war. Daraufhin –«
»Erlauben Sie, lieber Dagobert,« unterbrach ihn Frau Violet ein wenig ungeduldig, »Ihre Trinkgeldphilosophie mag ja recht interessant sein, aber eigentlich ist es doch nicht das, was ich von Ihnen wissen wollte.«
»Ich bin ganz bei der Sache, meine Gnädigste, aber man muß einen Menschen doch ausreden lassen. Goldstücke als Trinkgelder sind bei uns nicht recht gebräuchlich. In älteren Opern und Tragödien wirft man der Dienerschaft noch einen Beutel Zechinen hin, aber das ist nicht mehr modern. Heutigestags sind nur noch die französischen Dramatiker besonders verschwenderisch. Die lassen ihre Helden gewöhnlich einen ungeheuern Aufwand treiben – aus eine Million mehr oder weniger kommt es ihnen gar nicht an –, und namentlich lassen sie sie gern riesige Trinkgelder verteilen. In unserem bürgerlichen Gesellschaftsleben ist das nicht Stil. Wir geben einen Silbergulden, und ich meine –«
»Aber – Dagobert!!!«
»Werden Sie mir nur nicht ungeduldig, meine Gnädigste!«
»Wie soll da aber ein Mensch auch nicht ungeduldig werden! Sie wollten von einem Herzensroman sprechen, bei dem ich eine Rolle spielen sollte, und nun halten Sie mir einen Vortrag – über Trinkgelder!«
»Ich sagte, daß ich mir die Sache im Wagen zurechtgelegt habe. Die Trinkgeldgeschichte hat mich erst auf die richtige Fährte gebracht. Der junge Mann ist nicht dumm –«
»Hat auch niemand behauptet!«
»Und geht sehr methodisch vor. Baronin Gretl ist die anmutigste und liebenswürdigste junge Dame, die ich kenne. Wer hat ihn denn eigentlich in die Gesellschaft eingeführt?«
»Gretls Vettern, Fredl, der Kavallerist, und Gustl, der Ministerialsekretär, mit denen er intim befreundet ist. Sie müssen ihn übrigens auch vom Klub her kennen, wo er, seitdem er hier ist, als Gast eingeschrieben ist.«
»Er war mir noch nicht ausgefallen. Also er geht methodisch vor. Er liebt Baronin Gretl, und das ist ihm sicher zu verdenken.«
»Woher wissen Sie das, Dagobert?«
»Zuerst bemerkte ich es daran – aber Sie dürfen nicht böse werden – wie er Ihnen den Hof machte, gnädigste Frau.«
»Mir?!«
»Ihnen. Allerdings. Das war ganz richtig kalkuliert. Sie vertreten dort die Hausfrau und, wie ich gleich hinzufügen will, mit bewunderungswürdiger Grazie und unvergleichlicher Umsicht. Er hat Ihren Einfuß nicht zu hoch eingeschätzt. Seine Chancen stünden schlecht, wenn er Sie gegen sich hätte. Er hatte sich also an Sie herangemacht und, wie ich mit Vergnügen bemerkt habe, nicht ohne Erfolg.«
»Was wollen Sie damit sagen, Dagobert?«
»Was ich gesagt habe. Sie haben ihn in Ihr Herz geschlossen.«
»Weil er ein reizender Mensch ist.«
»Das sage ich auch. Es läßt sich nichts Hübscheres und Liebenswürdigeres denken als die Art, wie Sie, gnädige Frau, trotz der vielseitigen Inanspruchnahme die beiden Leutchen wohlwollend zu bemuttern wußten.«
»Habe ich damit etwas Unrechtes getan?«
»Gewiß nicht. Mir war es eine spezielle Freude, zu sehen, wie sich auch bei Ihnen der echt weibliche Trieb, Ehen zu stiften, betätigte.«
»Und was hat bei alledem – das Trinkgeld zu tun?«
»Nicht viel mehr, als daß es mich auf einige Ideen gebracht hat. Ich hätte sonst kaum über die ganze Geschichte weiter nachgedacht. Methodisch – sagte ich. Sie waren gewonnen. Irgendein Lümmel von den Lakaien hätte ihm kaum etwas nützen können, dagegen kann die Zofe unter Umstünden eine ganz verwendbare Bundesgenossin werden.«
Nun war auch Frau Violet befriedigt. Es hatte ihr doch gefallen, wie Dagobert all das herausgebracht hatte, wovon sie geglaubt hätte, daß es noch kein Mensch bemerkt habe. –
Einige Tage später befand sich Dagobert wieder im Grumbachschen Hause. Sie waren nur zu dritt bei Tisch gewesen, dann begaben sie sich ins Rauchzimmer, wo Frau Violet sich's auf ihrem Lieblingsplätzchen beim Kamin bequem machte, während die beiden Herren sich am Rauchtische einrichteten. Man saß erst eine Weile schweigend, und dann begann Dagobert mit ganz harmloser Miene, als spreche er von der natürlichsten und selbstverständlichsten Sache der Welt: »Weißt du übrigens, mein lieber Grumbach, daß in deinem Klub falsch gespielt wird?«
»Um Gottes willen!« rief Grumbach und fuhr wie von der Tarantel gestochen auf. Er war ganz blaß geworden. »Das ist ja entsetzlich! Und das sagst du mir erst jetzt?!«
»Ich weiß es selber erst seit heute vormittag, und ich wollte dir nicht vor Tisch den Appetit verderben.«
»Ich danke ab!«
»Das heißt, du willst dich um nichts kümmern. Dein Nachfolger soll dann sehen, wie er mit der Geschichte fertig wird.«
»Jedenfalls will ich mit solchen Geschichten nichts zu tun haben.«
»Von dir aus soll also dann ruhig weiter falsch gespielt werden?«
»Aber Dagobert, siehst du denn nicht, daß meine Lage furchtbar ist?«
»Angenehm ist sie allerdings nicht, Herr Präsident!«
»Da wird sich ein namenloser Skandal entwickeln!«
»Das ist wohl anzunehmen.«
»Und der Klub wird dabei zugrunde gehen! Was haben wir uns nicht alles auf unsere bürgerliche Ehrbarkeit zugute getan! Mit welcher Beruhigung haben nicht unsere alten Herren uns ihre Söhne zugeführt, – und nun das, das Allerschrecklichste. Ich geh'!«
»Ich denke, daß du gerade bleiben mußt, um den Klub zu retten.«
»Ich danke dir! Wessen Name wird mit der schmutzigen Geschichte in Zusammenhang gebracht werden? Der meinige! Das Regime Grumbach! Unter seinem Vorgänger war derlei doch nicht möglich! Den Klub retten? Der ist so wie so verloren. Es braucht nur ein Wort davon in die Öffentlichkeit zu dringen, – und wie willst du das verhindern? – und jeder, der nur etwas auf seine Reputation hält, wird sich zurückziehen. Mit Recht. Polizei, Staatsanwalt, ein Skandal, wie er noch nicht da war, – und mitten drin throne ich als Präsident!«
»Es ist eine böse Geschichte, Grumbach, aber eben deshalb müssen wir trachten, den Kopf nicht zu verlieren.«
»Da läßt sich nichts mehr machen, wenn die Sache einmal ins Rollen gekommen ist. Soll ich's vielleicht auf mich nehmen, solche Geschichten zu vertuschen?! Es ist meine Pflicht, die Anzeige zu machen, und damit reiße ich den Klub zusammen.«
»Hja – ehrlich gestanden, bin ich mir in diesem Falle selber nicht klug genug.«
»Was weißt du, Dagobert?«
»Ich weiß zunächst nur, daß falsch gespielt wird, mehr nicht.«
»Hast du Beweise?«
»Ich habe sie in der Tasche.«
Er griff in die Rocktasche und brachte ein Spiel Karten zum Vorschein, das er Grumbach überreichte. Frau Violet, die schon still vor sich hinzuweinen begonnen hatte, weil sie nicht ohne Grund ihre glücklich errungene gesellschaftliche Stellung ernstlich bedroht sah, wenn Grumbach wirklich abdankte, gesellte sich nun zu den beiden Herren und begann mit ihrem Gatten das verhängnisvolle Spiel zu prüfen. Beide waren aber außerstande, irgend etwas Verdächtiges zu entdecken.
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