Hinter ihr ließ sich Finn mit einem gespielten Stolpern und einem theatralischen Aufschrei der Länge nach in das Wasser fallen.
»Gut, dass wir es nicht weit haben«, lachte sie. »Willst du nicht auch?«
»Au ja, Klara. Lass uns vom Steg ins Wasser springen!«
Lust hatte ich schon, aber das Wasser musste doch total kalt sein. Schließlich hatte das Loch eine direkte Verbindung zum Meer. Ein wenig misstrauisch schnürte ich meine Turnschuhe auf und streifte sie ab. Vorsichtig trat ich in das Wasser und war überrascht. Es war wirklich gar nicht so kalt.
Übermütig rannte Finn an mir vorbei und stand schon hüpfend und springend auf dem Steg. Seine dunklen Haare klebten in dicken Strähnen um sein rundes Gesicht.
»Komm schon, Klara! Lass uns springen!«
Fearghas, der sich gerade mit meinem Vater unterhielt, sah zu mir, und das gab mir damit den Rest. Eigentlich war seine Miene neutral, aber sicher erwartete er, dass ich kneifen würde. Jetzt erst recht. Schnell rannte ich zu meinem Bruder, der schon auf eine Stelle zwischen zwei Booten zeigte.
»Hier! Hier ist prima!«
»Wir springen bei drei!«, rief ich. Er nickte begeistert und stellte sich in Sprungposition.
»Eins!«
»Zwei!«
»Dr …«
»Warte!«, schrie ich, plötzlich doch unsicher und kicherte. Das Wasser war total klar, aber vielleicht doch zu kalt, wenn man dann so da reinsprang?
»Ach Mensch, Klara! Was ist denn?«
»Ist es auch tief genug?«
»Ja.«
»Okay, dann bei drei.«
»Eins! … Zwei! …«
»Halt, Moment noch! Bist du sicher?«
Finn verdrehte die Augen. »Also willst du jetzt springen, oder nicht? – Schau mal, da unten ist eine schöne Muschel.«
»Wo?« Neugierig lief ich näher und beugte mich vor, um besser sehen zu können. Da schimmerte mir wirklich eine große runde Muschel verlockend auf dem sandigen Boden des Lochs entgegen.
Plötzlich erhielt ich einen heftigen Stoß in den Rücken. Ich stürzte vor, schrie, als ich in das kalte Wasser eintauchte, und verstummte gerade noch rechtzeitig, bevor das salzige Nass über meinem Gesicht zusammenschlug.
»Finn«, brüllte ich halb wütend, halb lachend, als ich wieder auftauchte. Das Wasser war herrlich erfrischend, während ich mich auf der Stelle tretend nach meinem Bruder umsah. Doch auf dem Steg stand bloß Fearghas, der ein unschuldiges Lächeln aufgesetzt hatte. Neben mir strampelte Finn im Wasser und schlug mit der flachen Hand so gegen die Oberfläche, dass sich ein Schwall über den Steg ergoss. Leider ohne Fearghas zu erreichen.
»Komm auch rein, wenn du dich traust«, brüllte Finn und spritzte erneut.
»Nein, tut mir leid. Ich habe leider keine Zeit.« Entgegnete er mit einem Zwinkern und deutete auf ein näherkommendes Motorboot. »Ich bin verabredet.«
»Ja, klar. Du bist ein Weichei«, murmelte ich leise und lief rot an, als er mir direkt in die Augen sah, als ob er meine Worte verstanden hatte. Doch er schwieg und hob lediglich kurz eine Hand und schlenderte dann über den Steg davon auf das Boot zu, das am anderen Ende hielt. Mehrere Jugendliche saßen darin und begrüßten Fearghas johlend. Kurz darauf brausten sie mit ihm davon.
*
Nach dem Abendessen saß ich noch lange auf der Terrasse des Ferienhäuschens und las in meinem Buch. Meine Eltern spielten mit Finn Uno, doch ich hatte keine Lust darauf. Es lief bei diesem Spiel immer auf dasselbe heraus. Mein Bruder zockte uns alle ab, und mein Vater raufte sich seine spärlichen Haare. Da saß ich doch lieber hier und genoss die Ruhe. Als sich knirschende Schritte auf dem Schotterweg näherten, sah ich auf und bemerkte erst jetzt, dass der Abendhimmel sich inzwischen mit dunklen Gewitterwolken zugezogen hatte. Wind war aufgekommen, den ich gar nicht bemerkt hatte, weil ich völlig windgeschützt zwischen den Häusern saß. Er zerzauste Fearghas das Haar und zerrte an seinem Hemd, das klatschnass an seinem Oberkörper klebte, als er durch das Tor schritt. Sein Gesicht wirkte seltsam angespannt und ja, eigentlich sogar zornerfüllt.
»Hallo«, sagte ich, unsicher, ob ich mich überhaupt bemerkbar machen sollte.
Fearghas stockte und starrte mich an. Seine Augen funkelten so voller Wut, dass ich mich für einen kurzen Augenblick versteifte. Dann fuhr er sich mit der flachen Hand über das Gesicht und seufzte leise. »Hallo«
»Entschuldige, ich gehe wohl besser rein«, sagte ich und wollte aufstehen, dabei fiel mir auf, dass auch seine Jeans völlig durchnässt war.
»Nein, nein!«, stieß er eilig hervor und hob beschwichtigend die Hand. »Nein, ist schon in Ordnung. Das ist eure Terrasse. Du kannst dort sitzen, wann du willst. Und ich hatte sowieso vor, ins Haus zu gehen.«
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich und biss mir auf die Lippen. Es ging mich nichts an. Ich kannte ihn noch nicht mal. Aber dennoch, Fearghas wirkte so aufgebracht, dass ich einfach fragen musste.
Er betrachtete mich kurz, dann zuckte er mit den Schultern. Sein Blick wurde etwas milder, aber immer noch war die Wut darin deutlich zu sehen. Ich sah aber auch, dass sie sich nicht gegen mich richtete. Wahrscheinlich hatte er einen Streit mit seinen johlenden Freunden vom Boot gehabt. Allerdings frage ich mich schon, warum er so nass dabei geworden war. Ob sie ihn wohl ins Wasser geworfen hatten?
»Ich habe mich nur über die Idioten geärgert, mit denen ich unterwegs war. Das ist alles«, entgegnete er langsam und bestätigte damit meine Vermutung. Doch ich hörte auch deutlich heraus, dass das eigentlich nicht alles war. Aber ich schwieg und nickte bloß.
Ein Blitz zuckte über den Himmel und beleuchtete Fearghas auf unheimliche Weise. Seine Augen wirkten dadurch überdimensional groß für sein Gesicht. Donner folgte nahezu zeitgleich, und ich zuckte zusammen. Dieses Bild hätte jedem Gruselfilm alle Ehre gemacht.
»Du solltest doch besser hineingehen«, sagte er, und auf einmal klang es doch ein wenig wie eine Drohung. Ich nickte eilig, nahm mein Buch und war froh, als ich die Tür hinter mir ins Schloss zog und mich zu meiner Familie gesellen konnte. Plötzlich fand ich es gar nicht mehr so dramatisch, dass Finn mir ständig die gemeinen Karten aufdrückte und ich mehr und mehr Karten in der Hand hielt.
Zufrieden strich mein Vater nach einer Weile über seinen Schnauzbart, der inzwischen mit vielen Silberfäden durchzogen war, als er schließlich die letzte Karte ablegte und seine leeren Hände präsentierte: »Gewonnen!«, verkündete er freudestrahlend wie ein Kind. »Der alte Uno-Meister ist abgesetzt! Es lebe der Uno-Meister!«
»Ich will Revanche!«, forderte mein Bruder und schob meinem Vater den Stapel Karten zu, damit dieser sie neu mischen konnte.
Ich lehnte mich zurück und genoss das Geplänkel und die Sicherheit, die in dieser Runde herrschten, während draußen ein Sturm über das Land zog, der einen Lärm veranstaltete, als wollte er alles zerschlagen. Die Begegnung mit Fearghas hatte ich vollständig vergessen, als ich Stunden später schlafen ging.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war von dem Gewitter, nichts mehr zu sehen. Die Sonne schien bereits wieder klar vom wolkenlosen Himmel und leerte die Pfützen, die hier und da entstanden waren.
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