Er zog nachhaltig den Zügel straff, und der stattliche Hannoveraner, dem sein Reiter noch fremd war, schnaubte auf dem Fleck tretend aus und schüttelte störrisch die Mähne.
Dirk konnte den Blick nicht von dem anderen Teil der Warft lösen, den neuerdings ein Wassergraben von der Hauptinsel abgrenzte. Stapel von Bauholz und Backsteinen erhoben sich drüben, abgedeckt mit Planen.
„Man erkennt schon den Rahmen der geplanten Burg“, stellte er fest und wies mit dem Kinn hinüber. Nach wie vor stand der kleine klotzige Fachwerkbau der alten Schmiede mit dem Schornstein, unter dem sich die Ässe der Schmiede befand. Sich im Wind kräuselnder Rauch stieg auf; man hörte das helle Klingen von geschlagenem Erz. Dirk sagte sich, Lüder sei letztlich wohl einsichtig gewesen und arbeite schon im Dienste des Grafen. Langsam ließ er das Pferd hin traben und die anderen Reiter folgten gemächlich, bis er absprang und an dem Gatter neben der Tür den Zügel festzurrte.
An der Stelle von Lüder schwang ein stiernackiger Geselle in blanker Lederweste den Schmiedehammer. Die Muskeln leicht angespannt, hielt er mit einer Zange ein Stück rotwarmes Eisen auf den Amboss gestreckt, und der handliche Schmiedehammer schlug den Takt und formte es, dass es hell und heiter durch die offenstehende Tür in den Morgen hinaus klang. Der Satz, den er sich im Geiste für Lüder zurechtgelegt hatte, blieb Dirk im Hals stecken. „Sei mir gegrüßt, Schmied“, begrüßte er den Mann ganz profan, während Godeke hinter ihm die von stickiger Hitze erfüllte Werkstatt betrat.
Ärgerlich brummte der Mann vor sich hin, ehe er sich umdrehte und sie mit einem scharfen Blick musterte, wer ihn da wohl störte. Sein Gesicht wirkte gewöhnlich, ein grob geschnittenes Bauerngesicht mit hohlen Wangen, die Stirnglatze übersät mit den Spuren verblasster Sommersprossen. Die ruppige Nase erinnerte Dirk seltsam an einen Habicht. „Was wollt ihr von mir?“, fragte er, ohne richtig die Lippen auseinander zu bekommen. „Ist ein Ross zu beschlagen?“
„Wo finde ich Lüder, der vorher diese Schmiede bestellt hat?“
Der neue Schmied zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ob er tot ist? Ich weiß nicht“, erwiderte er kurzsilbig.
„Tot?“ Dirk wiederholte ihn ungläubig. „Seit wann?“
„Fragt mich nicht, ich frag Euch ja auch nicht. Für mich war’s ein Schlendrian. Der ist aus der Schmiede, ohne aufgeräumt zu haben und hat’s auch nicht nachgeholt. Kein guter Mann rennt so von der Arbeit weg.“
„Lüder war ein tüchtiger Schmied“, belehrte ihn Dirk. Ihn ärgerte dieses vorschnelle Urteil.
Der Mann leckte sich unzugänglich die Zähne. „Langweilt mich nicht, auch wenn ihr ein Ritter seid. Langweilt mich nicht.“
„Wie starb Lüder?“, fragte Dirk ihn und blickte Godeke zerknirscht an. „Eigentlich wollte ich mir bei ihm ein Schlachtschwert schmieden lassen.“
Der neue Schmied betrachtete die Edelleute aus zusammengekniffenen Augen, kalt, starr und feindselig und kam zu dem Schluss, lieber zu schweigen.
„Du weißt nicht, was mit Lüder geschehen ist?“, folgerte Dirk.
„Ich bin meinem Grafen verpflichtet und werde mir nicht die Zunge verbrennen oder so.“
„Na das ist ja eine Auskunft“, sagte Dirk und überlegte, ob sich dem Mann nicht ein wenig mehr aus der Nase ziehen ließe. „Auf einem Turnier in Hannover fiel mir ein dänischer Edelmann auf. Der trug geschultert ein blankes Schwert, das war das gewaltigste und furchterregendste, das man sich vorstellen kann… gut vier oder sogar fünf Fuß lang... Kannst du mir eine solche Waffe herstellen, mit einer ungewöhnlich langen Klinge… drei Hand breit der Griff?“
Dirk schätzte ihn richtig ein. Es weckte geschäftliches Interesse an dem Fall und seinen Ehrgeiz. „Bis wann? Sicher… das will ich tun. Ihr habt Glück, ich verfüge über einen Schleifstein und habe lange Jahre bei einem Schwertfeger gearbeitet.“
„Das trifft sich. Der Griff sollte mit schwarzem Leder überzogen sein. Die Klinge muss perfekt ausbalanciert werden, damit das Schwert in der Hand liegt wie ein gewöhnliches. Das setzt Können voraus. Als Knauf nimm ein hübsches Medaillon mit irgendeiner Gravur, in die Klinge arbeite bitte eine Blutrille ein.“
Dirk hielt sich die Hand flach an die Brust. „Das Ganze in etwa so groß, vom Erdboden gemessen.“
Der Schmied furchte skeptisch die Stirn. „Über vier Fuß hinaus geht auf Kosten der Qualität. Also Ihr habt Wünsche, Herr Ritter. Na ja, ein wenig länger als vier Fuß oder so, das ist machbar. Ich habe noch einen halbfertigen Rohling liegen… Trotzdem. Kostet Schweiß und ist mühsam, so ein langes Ding. 20 Mark muss Euch das wert sein, sonst stehlt mir nicht die Zeit.“
Dirk holte vernehmlich Luft. Der, für den der Rohling war würde sich gedulden müssen, und das machte es für ihn teuer. Die Vorstellung, Lüder sei tot, rief Erinnerungen an Ulrike wach. Es war heiß am Schmiedefeuer, und er wischte sich über die Brauen. „Ich schwitze wie ein Bulle, aber ich gehe nicht, ehe ich nicht weiß, was hier los war nach Erntedank.“
Überlegend blickte er Godeke an, und der schüttelte den Kopf über ihn. „Das ist ein Vermögen, Dirk. Bedenke, was du tust.“
Für 20 Mark hätte Dirk einen Bauernhof kaufen können, aber das schien ihm egal. Adalbert gönnte er sich damals ebenso aus einer Laune heraus für viel Geld. Dieses Schlachtschwert war ein lang gehegter Traum, gut genug für einen König. Er hatte sich entschlossen, seinem Leben einen Sinn zu geben, und dieser Leichtsinn würde ihn beflügeln zum nächsten Schritt, gleichgültig, ob es ihn um die gesamte Barschaft brachte und er danach den Freunden auf der Tasche lag. Die unsichere Hoffnung, vermutlich bei den Aumunds unterzukommen, tröstete ihn darüber hinweg. „Gut, Schmied. Der Auftrag gilt. Brauchst du Geld im Voraus?“
„Die Hälfte“, bellte der Schmied begeistert.
„Wohlan, wir werden uns einig. Vorausgesetzt, du verrätst uns, was oder wer Lüder umbrachte.“
„Ich weiß es bloß ungefähr. Sicher ist, seine Töchter brachen vom Gutshof der Aumunds am Sonntag nach dem Erntefest auf zur Kirche von Berne und kamen nie an. Die Pferde gingen durch oder so, hab‘ ich gehört. Der Großknecht des Hofes fand sich tot an der Unfallstelle, und die Fräulein, in dem Versuch, zu Fuß die Kirche zu erreichen, wurden von den Rittern der Lechterburg verschleppt. Daraufhin brach Lüder zur Burg auf, und man munkelt, er wurde umgebracht.“
Dirk schlug sich an die Stirn. „Mein Gott, so starb er. Und Rike?“
„Rike kenne ich nicht“, gab ihm der Schmied zu verstehen, nahm aber gern den Auftrag an, da Dirk ihm zuvorkommend zehn Markstücke auf die offene Hand zählte. „Gebt mir sechs Tage, und Ihr habt Euer Ungetüm von Schwert.“
Als Dirk nach draußen kam, sahen auch Frederik und Ekhard ihm an, ihm wühlte eine schlechte Neuigkeit im Magen. „Arme Rike“, sagte er traurig vor sich hin, setzte den Stiefel in den Steigbügel und warf mit Schwung das Bein über den breiten Pferderücken, um dann, fest im Sattel verankert, Godeke ernst in die Augen zu fassen. „Und das verdankt Lüder unserem werten Freund Konrad. Was sagst du dazu?“
„Wir sollten uns anhören, was deine Liebste dazu zu erzählen weiß.“
„Ja. Und ich bereue nicht länger, mich mit meinem Vater überworfen zu haben. Ulrike braucht mich jetzt.“
Die vier Ritter brachten den Alten Deich in wildem Galopp hinter sich und bogen mit flatterndem Haar ab zur Huntebrücke, um bald darauf vor der Fachwerkfassade des Gutshofes, bei einer schrundigen Trauerweide abzusitzen. Geldis trieb es gerade zu den Kühen, in jeder Hand einen Holzeimer. Sie staunte angesichts der Reiter. Auf dem Erntedankfest sah sie Ulrike mit diesem jungen Ritter ausgelassen tanzen. Sie stellte die Eimer ab, strich sich freudig am grünlich blassen Leinenrock die Hände trocken und knickste. „Hoher Herr, Euch schickt der liebe Gott. Etwas Schreckliches ist geschehen.“
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